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Erwachsene mit ADHS können höheres Demenzrisiko haben

3. November 2023

Bleibt die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung unbehandelt, kann das weitreichende Folgen für Gesundheit, Familie und Beruf haben. Vor allem Frauen sind betroffen.

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Frau sitzt vor Computer und fasst sich an den Kopf
Vor allem bei Mädchen und Frauen wird ADHS oftmals nicht erkannt. Bild: Kasper Ravlo/Zoonar/IMAGO

Wer im Erwachsenenalter an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leidet, könnte laut einer neuen Studie ein fast dreifach höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken.

An der prospektiven, also vorausschauenden Kohortenstudie nahmen fast 110.000 Erwachsene in Israel teil. Als die Probanden vor etwa 20 Jahren in die Studie aufgenommen wurden, waren sie zwischen 51 und 70 Jahre alt und hatten zu diesem Zeitpunkt weder eine ADHS- noch eine Demenzdiagnose.

Außerdem fanden die Forschenden anhand der Studie heraus, dass Erwachsene mit ADHS, die Psychostimulanzien zur Behandlung der Erkrankung erhielten, kein erhöhtes Demenzrisiko hatten.

ADHS betrifft nicht nur Jüngere

ADHS und Demenz - wie passt das zusammen? Ein Zusammenhang mag verwundern, weil ADHS überwiegend bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert wird, nachdem zuhause oder in der Schule ein vermeintlich auffälliges Verhalten festgestellt wurde.

Hauptmerkmale sind Hyperaktivität, die sich etwa in einem übersteigerter Bewegungsdrang äußert, Impulsivität, die sich in unüberlegtem Handeln zeigt, und eine geringe Aufmerksamkeitsspanne, für die Unaufmerksamkeit und eine gestörte Konzentrationsfähigkeit typisch sind.

Auch sehr schnelle und heftige Gefühlschwankungen sind für ADHS charakteristisch. Das kann emotionale Überreaktionen auslösen, also plötzliche Wut, tiefe Trauer oder auch überschwängliche Freude.

Aber wie bei vielen psychiatrischen Erkrankungen können die ADHS-Symptome stark variieren. Einzelne Symptome können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und müssen nicht immer alle gleichzeitig auftreten.

Behandlung mit Ritalin erhöht Suchtgefahr

Wird die Verhaltensstörung erkannt, dann wird ADHS sehr häufig mit Psychostimulanzien wie Methylphenidat ("Ritalin") behandelt. Das kann die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit verbessern, Betroffene können so leichter ihren Alltag strukturieren und Probleme lösen.

ADHS - Kind unscharf im Hintergrund, vorne Medikament Ritalin
Die vermehrte Freisetzung des "Glückshormons" Dopamin erhöht die Gefahr einer Abhängigkeit sehr deutlich.Bild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Die Verhaltensstörung entsteht durch Veränderungen der Botenstoffe im Gehirn. Ritalin gleicht bei ADHS-Patienten den Mangel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn aus. Die vermehrte Freisetzung des "Glückshormons" Dopamin wirkt ähnlich wie Kokain und erhöht die Gefahr einer Abhängigkeit von Psychostimulanzien wie Rauschmittel, Nikotin oder auch Kaffee sehr deutlich.

Zu häufige Diagnose

ADHS bzw. die englischsprachige Abkürzung ADHD für Attention Deficit Hyperactivity Disorder ist keine Modekrankheit, wie dies manchmal unterstellt wird. Diese Verhaltensstörung gab es schon immer und für wirklich betroffene Menschen ist sie eine sehr große Belastung.

Allerdings wird nach Ansicht von Experten ADHS viel zu häufig falsch diagnostiziert. Nicht jede Konzentrationsschwäche ist  ADHS, nicht jedes unruhige oder unaufmerksame Kind leidet wirklich unter einer ADHS. Etwa 2 bis 6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden unter krankhaften Störungen der Aufmerksamkeit und an motorischer Unruhe.

ADHS trotzdem oftmals unerkannt

Da die einzelnen Symptome unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und nicht immer alle gleichzeitig auftreten, wird  eine ADHS häufig auch nicht diagnostiziert. Dann leiden Betroffene oftmals ihr ganzes Leben lang – im Beruf oder auch in Beziehungen, etwa weil sie sich im Beruf schnell ablenken lassen, weil sie wichtige Dinge immer wieder aufschieben oder durch heftige Gefühlsausbrüche ihre Beziehung belasten.

ADHS beginnt im Kindes- und Jugendalter und bleibt oft im Erwachsenenalter bestehen. Und gerade bei Erwachsenen ist die Erkrankung nicht sehr gut untersucht, denn die meisten Studien zu ADHS werden an Kindern durchgeführt.

ADHS im Erwachsenenalter

Im Erwachsenenalter ändern sich die Symptome von ADHS deutlich. Nur noch rund fünf bis 15 Prozent erfüllen die Kriterien für eine Diagnose. Bei rund 70 Prozent treten nur einzelne Symptome auf. Statt an Hyperaktivität leiden Erwachsene mit einer ADHS unter einer sehr starken inneren Unruhe, die ihnen etwa nachts den Schlaf raubt. Sie neigen zu sehr riskanten Verhaltensweisen beispielsweise im Straßenverkehr.

Betroffene haben zwar den Wunsch, eine Aufgabe zu erledigen, aber es funktioniert einfach nicht, sie sind wie gelähmt oder blockiert. Ihre Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit oder Planlosigkeit kann vor allem im Berufsleben sehr negative Auswirkungen haben.

Bei Frauen bleibt ADHS oftmals unentdeckt

Vor allem bei Mädchen und Frauen wird ADHS oftmals nicht erkannt. Jungen entsprechen häufiger dem Hyperaktiven-Typ, der Vorstellung vom "Zappelphillip". Entsprechend wird bei Jungen in der Kindheit etwa doppelt so häufig eine ADHS diagnostiziert wie bei Mädchen. Denn Mädchen mit einer ADHS verhalten sich in Schule und Familie eher unauffällig, sie stören den Unterricht nicht, sondern sind eher unaufmerksam oder verträumt.

ADHS Symbolbild - blauer Monitor mit  den Buchstaben ADHS
Bleibt ADHS unbehandelt, kann das weitreichende Folgen für den Alltag, den Beruf und Beziehungen haben.Bild: Zerbor/Shotshop/picture alliance

Als erwachsene Frauen meistern sie oftmals Alltag, Familie und Beruf – allerdings unter großer Kraftanstrengung. Betroffene Frauen haben meist gelernt, zu funktionieren und sie verhalten sich meistens sozial verträglicher als betroffene Männer. Auch deshalb wird bei Frauen eine Erkrankung seltener entdeckt.

Risiken einer nicht erkannten ADHS

Bleibt ADHS unbehandelt, kann das weitreichende Folgen für den Alltag, für Beruf und Beziehungen haben. Und es kann auch – wie die Studie aus Israel zu ADHS und Demenz zeigt - selbst im hohen Alter ernsthafte Folgen für die Gesundheit haben. Umso wichtiger ist es, so früh wie möglich eine Diagnose zu erhalten.

Wer einen begründeten Verdacht hat, sollte einen ADHS-Schnelltest machen, die es zuhauf im Internet gibt. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt einen solchen Schnelltest zur Verfügung, der zumindest erste Anhaltspunkte liefern kann, ob eine ADHS vorliegen könnte.

Aber natürlich ersetzt solch ein Schnelltest keinen Arztbesuch. Eine sichere Diagnose können nur Fachleute mit psychotherapeutischer oder psychiatrischer Ausbildung erstellen. Und dafür braucht es intensive Gespräche – mit der betroffenen Person und im Idealfall auch mit Menschen aus deren sozialem Umfeld.

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund