Prunksucht trotz Wirtschaftskrise
12. September 2020Seit fast zwei Jahren steckt die Türkei in einer schweren Währungs- und Wirtschaftskrise: Der Kurs der Türkischen Lira befindet sichim freien Fall. Die Arbeitslosigkeit ist besonders unter Jugendlichen seit vielen Monaten hoch. Erschwerend kommen die Entbehrungen in der Coronakrise hinzu: Die Pandemie hat die Tourismusbranche in dem Land schwer getroffen - einen der profitabelsten Wirtschaftszweige des Landes.
Schwierige Zeiten also für die türkische Bevölkerung, die entweder den Gürtel enger schnallen oder - so wie es viele junge Türken bereits getan haben - auswandern muss, um der Perspektivlosigkeit zu entgehen. Unterdessen macht der türkische Präsident nicht mit Lösungsvorschlägen von sich reden, sondern mit dekadenten Bauprojekten.
Erdogan setzt umstrittenen Palastbau fort
Aller Kritik von der Opposition zum Trotz treibt Recep Tayyip Erdogan seine millionenschweren Bauprojekte voran. So lässt er sich einen herrschaftlichen Palast direkt am Vansee-Ufer errichten. Der Bau soll an den früheren Kubad-Abad-Palast des seldschukischen Sultans Kai Kobad I. aus dem 13. Jahrhundert erinnern. Nach Angaben der Regierung befinde sich das Grundstück des Palasts genau an der Stelle, wo der seldschukische Sultan Alp Arslan bei seinem Sieg gegen die Byzantiner sein Zelt aufgeschlagen hatte. Dies geschah in der Schlacht von Mandzikert im Jahre 1071. Deshalb wird auch Erdogans Palast eine Wohnfläche von genau 1071 Quadratmetern besitzen. Türkische Medien berichten, dass der Bau bereits über 14 Millionen Euro verschlungen habe, obwohl die türkische Regierung ursprünglich nur rund 3,5 Millionen Euro veranschlagt hatte. Der Bauunternehmer, so heißt es, sei ein alter Schulfreund des Präsidenten.
Besonders ärgerlich für die Opposition: Eigentlich wurde der Palastbau im Juli 2019 vom türkischen Verfassungsgericht gestoppt, weil er den öffentlichen Zugang zum Ufer und Umland des Sees behindere. Doch Erdogans Regierung hebelte das Urteil mithilfe einer Gesetzesänderung aus - das Verbot des obersten türkischen Gerichts wurde schließlich ad acta gelegt. "Da können sie sich so sehr auf den Kopf stellen, wie sie wollen, dieser Palast wird gebaut", entgegnete der Präsident trotzig seinen Kritikern, als der Bau fortgesetzt wurde. Ende August hielt Erdogan in Erinnerung an die Schlacht von Mandzikert eine Festrede in Ahlat am Ufer des Vansees. Danach begab er sich zum nahegelegenen Palast, eröffnete ihn symbolisch und verbrachte eine Nacht dort.
Baukosten steigen exorbitant
"Wegen der Gier eines Mannes wird das Ufer des Vansees dem Profit geopfert", kritisierte der CHP-Politiker Gülizar Bicer Karaca den Präsidenten im türkischen Parlament. "Während Millionen unserer Staatsbürger mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, gönnt sich ein einziger Mann ein Schloss nach dem anderen." Der artige Kritik perlt an der Regierungspartei AKP jedoch ab. "Für uns ist der Bau ein Heim für die ganze Nation", entgegnete der stellvertretende Vorsitzende der AKP-Fraktion Cahit Özkan.
Neben der Residenz am Vansee gönnt sich Erdogan auch eine prunkvolle Sommerresidenz in der Bucht von Okluk nahe der Mittelmeerstadt Marmaris. Auch dieses Bauprojekt ist laut der türkischen Presse äußerst teuer und nicht besonders umweltfreundlich. Über 37 Millionen Euro habe der Bau des 300-Zimmer-Palastes bisher gekostet. 50.000 Bäume seien dafür gerodet worden.
Es ist mittlerweile der dritte prunkvolle Palast, den sich der türkische Präsident mit Steuergeldern errichten lässt. Erst 2014 bezog Erdogan seinen gigantischen Amtssitz in Ankara. Wegen der hohen Baukosten von einer halben Milliarde Euro und weil das Gebäude mitten in ein Naturschutzgebiet gesetzt wurde, hatte es schon damals heftige, letztlich aber vergebliche Kritik von Seiten der Opposition gegeben.
Kritisiert wird auch, dass der türkische Präsident in seiner Erinnerungspolitik immer selbstbewusster das osmanische Erbe über die Türkische Republik und ihren Gründer Atatürk stellt. Erdogans drei Prunkpaläste und viele weitere Bauprojekte der letzten Jahre unterscheiden sich stark von den typischen Monumentalbauten aus der Zeit nach der Staatsgründung im Jahr 1923. Stattdessen sind sie eine deutliche architektonische Hommage an die seldschukisch-osmanische Vergangenheit.