Entflohener Häftling aus Berlin stellt sich
2. Januar 2018Berlins Justizsenator Dirk Behrendt teilte auf Twitter mit, einer der vier Entflohenen vom 28. Dezember habe sich mit seinem Anwalt gestellt. "Er wird nun in eine Anstalt mit höheren Sicherheitsvorkehrungen verlegt." Derweil wurde bekannt, dass aus der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr noch mehr Häftlinge geflohen sind als bisher bekannt. Insgesamt geht es jetzt um neun Männer, die entweder ausbrachen oder aus dem offenen Vollzug entwichen, wie Behrendt erklärte. Demnach floh auch am Samstag sowie am Sonntag je ein Häftling aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) im Stadtteil Charlottenburg. Um einen klassischen Ausbruch handelt es sich dabei aber nicht. Unklar war, ob die Männer tagsüber von einem genehmigten Ausgang nicht zurückkamen oder sich heimlich aus dem Gefängnis schlichen. Seit dem 1. Januar 2013 bilden die JVA Plötzensee, die JVA Charlottenburg und das Justizvollzugskrankenhaus Berlin eine gemeinsame Behörde namens "Justizvollzugsanstalt Plötzensee".
Vier Gefangene waren am Donnerstagmorgen aus der Haftanstalt Plötzensee im Nordwesten der Hauptstadt ausgebrochen. Am Freitag wurde bekannt, dass sich ein Mann nicht aus dem offenen Vollzug zurückgemeldet hatte. Am Montagmorgen flüchteten zwei Gefangene aus dem offenen Vollzug. Einen von ihnen fasste mittlerweile die Polizei. Damit wird nun noch nach sieben flüchtigen Häftlingen gefahndet.
Kuriose Flucht
Die beiden zuletzt Entkommenen waren durch das Fenster einer Nachbarzelle ausgestiegen. "Dabei hätten sie das Gefängnis auch einfach am nächsten Morgen durch die Tür verlassen können", sagte ein Sprecher der Senatsjustizverwaltung. Die beiden saßen wegen mehrfachen Schwarzfahrens im offenen Vollzug, durften das Gefängnis also tagsüber verlassen, sie mussten nur hinter Gittern übernachten.
Die vier Ausbrecher waren wegen schwerer Körperverletzung, Diebstahls, Wohnungseinbruchs und Erschleichens von Leistungen in Haft. Drei der Männer sollten in diesem Jahr entlassen werden. Die vier Männer im Alter von 27 bis 38 Jahren hatten mit einem Trennschleifer und einem schweren Hammer die Gefängnismauer aufgebrochen und waren entkommen. Eine Kamera, die eine Eingangspforte überwacht, filmte die Aktion. Trotzdem wurde erst später Alarm ausgelöst. In der JVA Plötzensee mit 360 Insassen herrscht eine mittlere Sicherheitsstufe. Nach dem Ausbruch wurde eine interne Sicherheitsüberprüfung eingeleitet.
Rücktritt gefordert
Die Opposition in Berlin spricht inzwischen hämisch vom "Haus der offenen Tür". Sie machte Justizsenator Behrendt für die Pannen verantwortlich und forderte den Grünen-Politiker zum Rücktritt auf. "Berlin kann sich keinen justizpolitischen Dilettanten im Senat leisten", erklärte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger. Behrendt müsse gehen. Ähnlich äußerte sich der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe.
Auch aus den Reihen der rot-rot-grünen Landesregierung kam Kritik am Grünen-Senator auf. "7 Ausbrüche in 5 Tagen aus 1 Berliner Knast. Rekord. Wer will nochmal, wer hat noch nicht?", twitterte der SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrinck. "Das wäre eigentlich ein Rücktrittsgrund für einen Justizsenator". Die SPD regiert in Berlin zusammen mit den Grünen und der Linkspartei. Auch die Opposition fordert Behrendts Rücktritt. Der Senator sei "nicht mehr zu halten", erklärte der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger.
Gewerkschaft sieht Sanierungsbedarf
Der Senator lehnt einen Rücktritt ebenso ab wie die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten in Berlin. Nötig sei jetzt kein neuer Justizsenator, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Thomas Goiny. Vielmehr müsse aufgeklärt werden, wie es zu den Ausbrüchen kommen konnte. Er sieht einen Sanierungsbedarf von 400 bis 500 Millionen Euro bei den Berliner Haftanstalten. Außerdem fehle Personal. "Sogenannte innere Sicherheitsrunden werden in den verschiedenen Anstalten gar nicht mehr gelaufen", betonte Goiny. Seine Leute vermissten auch Drogen-Suchhunde und Fahndungstrupps, die sich speziell um Drogen kümmern würden.
Eigentlich gelten die Berliner Gefängnisse angesichts von mehr als 4000 Häftlinge und bisher verhältnismäßig seltenen Ausbrüchen als sicher. Aber viele der oft mehr als hundert Jahre alten Gebäude haben unübersichtliche Ecken und andere Probleme. Senator Behrendt gibt zu: "Sie würden so heute nicht mehr gebaut." Außerdem verwies er darauf, dass im vergangenen Jahr allein aus dem offenen Vollzug in Plötzensee 42 Mal Häftlinge entwichen seien. Dabei ging es vor allem um Menschen mit sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen, die verhängt werden, wenn jemand eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Oft sind das Schwarzfahrer - und keine Schwerkriminellen. Auch in den Jahren davor gab es zwischen 10 und 43 "Entweichungen".
kle/stu (dpa, afp, ard)