"Ich bin dann 98 Jahre"
8. März 2017Ganz einträchtig sitzen sie da nebeneinander: Die Umweltministerin (von der SPD) mit Abgeordneten von CDU und Grünen, und sie verkünden nichts weniger als einen Frieden in einem Streit, den sie über viele Jahre mit großer Energie geführt haben: Wohin kommt der hoch strahlende Müll aus den einstmals über 20 deutschen Atomkraftwerken, die nach und nach bis 2022 abgeschaltet werden sollen? Bis 2031 soll feststehen, wo dieses Lager tief unter der Erde gebaut wird.
Suche in ganz Deutschland
Gesucht wird danach in ganz Deutschland, sowohl in Salzgesteinen, aber auch in Granit und Ton. Und auch der Standort in Gorleben kommt in Frage, als einer von vielen möglichen Orten: "Das ist das vielleicht wichtigste umweltpolitische Gesetz dieser Legislaturperiode", verkündete Barbara Hendricks, die Umweltministerin, am Mittwoch in Berlin.
Seit den Siebziger Jahren hatte sich die Suche nach einem deutschen Endlager auf das Dorf Gorleben in Ost-Niedersachsen konzentriert. Dort wollte die alte Bundesrepublik - an der Grenze zur damaligen DDR - das Lager in einem Salzstock errichten. Ein Erkundungsbergwerk wurde mit Milliardenaufwand errichtet. Aber Gorleben wurde vor allem zum Ort der Massenproteste gegen die Kernenergie. "Gorleben auszuwählen, bevor die Eignung feststand, war von Anfang an verkorkst", meinte die Ministerin nun.
2011: Ausstieg aus der Kernenergie
Am Ende aber war der Kampf erfolgreich: Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 wandte sich als letzte der Parteien im Bundestag auch die Union von Kanzlerin Angela Merkel von der Kernenergie ab. Und jetzt wollen alle Beteiligten nach einem Standort für das Endlager suchen, in das der Müll gebracht werden kann, der bis dahin zumeist an den Standorten der Kernkraftwerke zwischengelagert wird. "Ich möchte allen Respekt zollen, die mit gewaltfreiem Widerstand die Festlegung auf Gorleben bekämpft haben", verbeugte sich die Ministerin vor ganzen Generationen von Atomkraftgegnern in Deutschland.
Für die CDU, die jahrzehntelang die eifrigste Befürworterin der Kernenergie in Deutschland war, sagte der Abgeordnete Steffen Kanitz: "Wichtig finde ich, dass die Generationen, die sich für die Kernenergie eingesetzt haben, sich jetzt auch um die Endlagerung kümmern muss."
"Testfall für die Demokratie"
Mit möglichst großer Bürgerbeteiligung und viel Transparenz, immer auf der Grundlage der Wissenschaft, wird jetzt nach dem Endlager gesucht. Allen Beteiligten ist klar: Gerne wird keine Kommune den strahlenden Müll bei sich aufnehmen. Einen „Testfall für unsere Demokratie" nennt Barbara Hendricks das ganze deshalb. "Nicht vor meiner Haustür" werde künftig als Argument gegen ein nahes Lager nicht mehr ausreichen, so Hendricks: "Die Beteiligung der Bürger bedeutet auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen", mahnte sie. Und für den SPD-Abgeordneten Matthias Miersch ist das neue Gesetz der endgültige Schlusspunkt unter die Kernkraft in Deutschland. "Jedem, der jetzt noch mit der Kernenergie liebäugelt, muss wissen: Die Folgen sind unermesslich. Die Kernenergie ist eine Sackgasse."
Beschäftigen wird sie die Deutschen aber noch lange: Wenn 2031 feststeht, wo das Lager gebaut wird, kann erst mit den Arbeiten begonnen werden. Hinter diesem Datum stehen nach Ansicht von Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen noch immer berechtigte Zweifel. Schon seit Jahrzehnten werde über einen möglichen Standort diskutiert, immer wieder komme es zu Verzögerungen. 2050, in sage und schreibe 33 Jahren, soll das Endlager dann fertig sein: "Ich bin dann 98, ich komm dann mal gucken", nimmt Ministerin Hendricks das mit Humor.
Kritik von Umweltgruppen
Auch die Umweltgruppen werden diesen Prozess weiterhin kritisch begleiten: Am neuen Gesetz bemängelt etwa der Bund für Umwelt-und Naturschutz in Deutschland (BUND), dass nicht klar ist, dass wirklich in allen Gesteinsarten gesucht wird: Der Vorsitzende der Organisation, Hubert Weiger, meinte in Berlin: "Erforderlich ist eine verbindlich festgelegte Zahl von Erkundungen in verschiedenen geologischen Formationen wie Granit, Ton und Salz". Nur so könne sichergestellt werden, dass es trotz der jahrzehntelangen Bevorzugung von Salzgestein in Deutschland zu einem fairen Vergleich von Standorten komme.