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"Emilia Pérez" - eine gescheiterte Oscar-Kampagne?

Sarah Hucal
12. Februar 2025

Der Skandal um rassistische Tweets der Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón wirft Licht auf das große Geschäft mit der Oscar-Vermarktung. Netflix hat sich von der Schauspielerin distanziert.

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Portraitfoto von  Karla Sofia Gascón
Tweets aus der Vergangenheit werden Karla Sofia Gascón nun zum VerhängnisBild: Shanna Besson/Netflix/picture alliance

Der Film "Emilia Pérez" hatte im Januar mit 13 Oscar-Nominierungen für Schlagzeilen gesorgt und galt als größter Oscar-Favorit. Mit dabei Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón, die als erste bekennende transgeschlechtliche Person in der Kategorie "Beste Schauspielerin" nominiert wurde.

Doch gerade Karla Sofía Gascón sorgte jetzt im Vorfeld der Oscarverleihung für Negativ-Schlagzeilen. Grund sind rassistische und islamfeindliche Aussagen, die sie in der Vergangenheit auf Twitter (jetzt X) gepostet hat. Deshalb wurde die Hauptdarstellerin des spanischsprachigen Musical-Thrillers (Regie Jacques Audiard) nun aus der Oscar-Werbekampagne von Netflix gestrichen.

Netflix zieht Konsequenzen aus Gascón-Skandal

Die kanadische Journalistin Sarah Hagi hatte in der Social-Media-Vergangenheit von Gascón recherchiert und veröffentlichte beleidigende Tweets, die der Kino-Star in den letzten Jahren über den Islam, George Floydund die Diversität bei den Oscars geschrieben hatte.

Nach den Enthüllungen schloss Gascón ihr X-Konto, schickte einen Kommentar an die amerikanische Filmzeitschrift "The Hollywood Reporter", brach in einem Interview auf "CNN en Español" in Tränen aus und veröffentlichte mehrere Instagram-Posts zum Thema.

Sarah Hagi wollte mit ihrer Recherche bewusst für Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sorgen. Im Gespräch mit der Zeitschrift Variety erklärte sie: "Wenn jemand in einer geschichtsträchtigen Position einen Film repräsentiert, der auf sogenannten progressiven Werten aufbaut, aber gleichzeitig in der eigenen Vergangenheit rassistische und bigotte Tweets gepostet hat, dann entlarvt das die Scheinheiligkeit des Ganzen."

Es gehe nicht um sinnvolle Repräsentation, sondern um pures Marketing, so Hagi. Und dieses Konstrukt falle zusammen, "wenn die zentrale Person selbst rassistische und intolerante Ansichten vertritt".

Schlechtes Timing für Netflix

Netflix hatte als globales Streaming-Netzwerk eine große Werbekampagne für den Film "Emilia Perez" gestartet. Der Gascón-Skandal kam gerade zu dem Zeitpunkt ans Licht, als die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars vergibt, in die letzte Wahlperiode eintrat, die vom 11. bis 18. Februar dauert.

Bei den Nominierungen dürfen Akademiemitglieder – von Schauspielern und Autorinnen bis hin zu Regisseurinnen und Kostümbildnern – zunächst nur in den Kategorien abstimmen, die sich auf ihren eigenen Fachbereich beziehen sowie in der Kategorie "Bester Film". In der finalen Abstimmungsrunde hingegen sind alle knapp 10.000 Mitglieder der Academy berechtigt, in jeder Kategorie ihre Stimme abzugeben. Die diesjährige Verleihung ist für den 2. März anberaumt. 

Schauspielerinnen und Filmemacher in Pose im Presseraum der Golden Globe Awards.
"Emilia Perez" und "The Brutalist" waren die Gewinner der Golden Globe AwardsBild: Amy Sussman/Getty Images

Das Geschäft mit den Oscar-Kampagnen

Der Oscar wird alljährlich von der US-amerikanischen "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" (AMPAS) für die besten Filme des Vorjahres verliehen. Die Kampagnen, die Filmen zu Oscar-Preisen verhelfen, werden im Vorfeld von professionellen Strategen der Filmfirmen sorgfältig kalkuliert und großzügig finanziert. Dazu gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit, auf welchen Filmfestivals ein Film erscheint und welche Stars wo auftreten sollten.

Das US-Magazin "The New Yorker" schrieb 2017, dass ein Film bis zu 15 Millionen US-Dollar (knapp 14,5 Millionen Euro) für eine einzelne Kampagne ausgeben kann. Mit einem Jahresumsatz von 39 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 konnte Netflix zweifelslos großzügig investieren für das Marketing von "Emilia Pérez".

Harvey Weinsteins Erbe der Publicity-Stunts

Viele schreiben Harvey Weinstein, dem Chef der großen Hollywood-Produktions- und Vertriebsfirma Miramax, das moderne Drehbuch für die Oscar-Kampagnen zu. Weinstein wurde als verurteilter Sexualstraftäter im Zentrum der #MeToo-Bewegung bekannt.

In den 1990er Jahren begann Weinstein, seine Strategie der aggressiven Kampagnenführung anzuwenden, indem er übertriebene Publicity-Stunts einsetzte und mit den Regeln des guten Sportsgeistes brach.

In den folgenden Jahren lancierte er eine Reihe von Siegen. Er war dafür bekannt, dass er vor nichts zurückschreckte, um Miramax-Filmen zum Sieg zu verhelfen.

Hollywood-Insider sind der Meinung, dass seine Taktik wahrscheinlich dazu führte, dass Weinsteins Miramax-Film "Shakespeare in Love" 1999 den Oscar vor Steven Spielbergs ergreifendem Kriegsdrama "Saving Private Ryan" gewann. Weinstein hatte den Spielberg-Film unter anderem bei Journalisten schlecht gemacht.

Seitdem ist es nicht ungewöhnlich während der Beratungen der Akademiemitglieder einen negativen Artikel über einen Film zu finden, der möglicherweise von der Konkurrenz platziert wurde.

Szene aus dem Film "Shakespeare in Love" mit Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow, die sich umarmen.
"Shakespeare in Love" gewann bei den Oscars 1999 den Preis für den besten Film, sehr zum Entsetzen vieler KritikerBild: Miramax/COLLECTION CHRISTOPHEL/picture alliance

Als "Gangs of New York", ein weiterer Miramax-Film, 2003 für den besten Film nominiert war, wurde ein Meinungsartikel veröffentlicht, in dem der ehemalige Präsident der Academy, "The Sound of Music"-Regisseur Robert Wise, den Film befürwortete. Weinstein veröffentlichte daraufhin "for your consideration" (für ihre Überlegungen) - Anzeigen mit Zitaten aus dem Meinungsartikel.

Es stellte sich jedoch heraus, dass der Meinungsartikel nicht einmal von Wise selbst verfasst worden war, sondern von einem Miramax-Publizisten. Der Film ging leer aus und die Academy verschärfte daraufhin ihre Regeln, um Werbung mit Zitaten oder Kommentaren von Academy-Mitgliedern zu unterbinden.

Taktische Spielchen rund um den Oscar

In den letzten Jahren wurde weiter mit verschiedenen Taktiken gearbeitet, die für Aufsehen sorgten. Im Jahr 2011 bezahlte die Schauspielerin Melissa Leo ihre eigene Werbekampagne in der Hoffnung, für ihre Rolle in "The Fighter" als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet zu werden. Sie zeigte Fotos von sich, auf denen sie Pelze trug, zusammen mit dem Text "Consider...".

Obwohl sich einige in der Branche über die unverschämte Taktik der Schauspielerin lustig machten, sagte Leo, dass sie nur die Art von Kampagne gemacht habe, die immer gemacht werde, aber in aller Öffentlichkeit. "Bei dieser ganzen Preisverleihung geht es in gewisser Weise darum, sich selbst zu vermarkten. Ich bin zuversichtlich, dass meine Fans verstehen werden, dass es in den Anzeigen darum ging, eine andere Seite von mir zu zeigen", sagte sie der New York Times. Das hat sich ausgezahlt: Sie nahm den Oscar mit nach Hause.

Oscar-Preisträgerin Melissa Leo hält ihren Oscar vor einem goldenen Vorhang in der Hand.
Melissa Leos unverblümte Werbetaktik zahlte sich bei der Oscar-Verleihung 2011 ausBild: Charles Sykes/AP Photo/picture alliance

Einer der jüngsten Skandale betraf die Schauspielerin Andrea Riseborough, die für ihre Rolle in dem wenig beachteten Indie-Film "To Leslie" aus dem Jahr 2022 eine Nominierung als beste Darstellerin erhielt, nachdem sich eine Reihe namhafter Stars wie Charlize Theron und Gwyneth Paltrow positiv über Riseboroughs Leistung geäußert hatten.

Es stellte sich heraus, dass der gut vernetzte Regisseur Michael Morris und seine Frau Mary McCormack die A-Promis und andere einflussreiche Medienvertreter wie Howard Stern und Marc Maron dazu veranlasst hatten, Vorführungen zu veranstalten und den Film auf ihren Social-Media-Kanälen zu bewerben. Der Vorfall veranlasste die Akademie zu einer Überprüfung ihrer Verfahren.

Was passiert mit "Emilia Pérez"?

Karla Sofía Gascón, die nicht mehr an der Nachnominierungsphase der Oscar-Kampagne von "Emilia Perez" beteiligt ist, wird voraussichtlich auch nicht an den nächsten geplanten Besuchen der "Critics Choice Awards" und des "Santa Barbara International Film Festival" teilnehmen, um nur einige Orte zu nennen.

Doch abgesehen von Gascóns Tweets gab es von Anfang an auch andere Kontroversen um den Film. Trotz der begeisterten Kritiken in Cannes, wo der Streifen uraufgeführt wurde, hat der Film in Mexiko Kritik ausgelöst, weil er Stereotypen verwende, den Drogenkrieg trivialisiere, der zu Tausenden von Opfern und Verschwundenen geführt hat, und weil er die Transidentität nicht authentisch darstelle.

Dennoch wurde der Film am 9. Februar bei der spanischen Version der Oscars, den Goya Awards, als bester europäischer Film ausgezeichnet. Die Abstimmung über die Filme für die Goyas endete am 24. Januar - also bevor die beleidigenden Tweets veröffentlicht wurden.

Adaption aus dem Englischen: Gaby Reucher