Elysée-Vertrag als Modell
9. Januar 2013Es ist ein bitterkalter Wintertag, als sich Frankreichs Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer im Elysée-Palast treffen. Paris liegt am Abend des 22. Januar 1963 früh im Dunkeln. Die Regierungschefs und ihre Delegationen sitzen sich in einem hell erleuchteten Salon mit Spiegeltüren und goldverzierten, cremefarbenen Wänden gegenüber. Ein paar letzte Erklärungen, dann unterschreiben Adenauer und de Gaulle das Abkommen über die deutsch-französische Zusammenarbeit, den "Elysée-Vertrag". Ein historischer, ein hochemotionaler Moment.
Die beiden Politiker umarmen sich. De Gaulle küsst die Wangen Adenauers. Sie glauben daran, dass sie mit der Vertragsunterzeichnung die künftige deutsch-französische Geschichte prägen und das Zusammenwachsen Europas beschleunigen werden. Die Hoffnung auf diese Tragweite bringt Adenauer auf der späteren Pressekonferenz zum Ausdruck. Auf Französisch, in der Sprache des Nachbarn, sagt er: "Ohne diesen Vertrag gäbe es keine europäische Einigung. Die Methoden mögen sich ändern, aber das Wichtigste ist dabei, das Vertrauen seiner Freunde nie zu verlieren."
Markstein der Geschichte
Der Elysée-Vertrag, der schon bald als deutsch-französischer Freundschaftsvertrag bezeichnet wurde, ist ein entscheidender Markstein in der Geschichte beider Länder: Die dort beschlossene Annäherung Deutschlands und Frankreichs trug maßgeblich dazu bei, dass aus den früheren Feinden die wichtigsten Partner in Europa geworden sind. In dem Abkommen verpflichten sich beide Regierungen zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik. Ebenso wurden Treffen auf Regierungsebene in regelmäßigen Abständen beschlossen.
Die Versöhnung sei auch deswegen so wichtig gewesen, weil sie bewiesen habe, dass Europa in Frieden leben kann, sagt Gérard Foussier, Herausgeber von "Dokumente", der Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog. Noch Anfang der sechziger Jahre habe es Menschen gegeben, die von Erbfeinden gesprochen hätten. "Und es war sehr notwendig, dass zumindest zwei größere Völker in Europa in der Lage sind, nicht mehr von Erbfeindschaft, sondern von Freundschaft zu sprechen und von Zusammenarbeit", so Foussier im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Modellcharakter der Aussöhnung
Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen gilt als vorbildlich. Andere europäische Länder, vor allem benachbarte Staaten mit historischem Konfliktpersonal, verweisen immer wieder auf den Modellcharakter der Aussöhnung. Mit diesem Thema befasst sich auch ein Buch, das Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg herausgegeben hat. Es heißt "Deutsch-Französische Beziehungen als Modell einer Friedensordnung?" und beschreibt Faktoren, die auf andere Konflikte und bilaterale Beziehungen übertragbar sind.
Als ein übertragbares Element nennt Seidendorf die im Elysée-Vertrag vereinbarten regelmäßigen Treffen, an denen politische Vertreter aller Ebenen teilnehmen müssen. "Keiner dieser verschiedenen Vertreter konnte sich diesen Treffen entziehen", so Seidendorf im DW-Interview, "und insofern hat es bis heute eine Bedeutung auch in Krisenzeiten, wenn man sich lieber mal nicht sehen würde oder lieber aus dem Wege gehen würde." Häufig habe es zwar Treffen gegeben, bei denen man sich sehr wenig oder auch gar nichts zu sagen hatte. Dennoch seien es immer Gelegenheiten gewesen, "die Position des anderen zur Kenntnis zu nehmen, sich bewusst zu sein, dass vor dem Sitzungssaal die Medien und die Presse auf Ankündigungen warten, dass eine Erwartungshaltung existiert und letztendlich Druck aufgebaut wird, zu Kompromissen und zu einer Einigung zu kommen."
Hoffen auf die Jugend
Dieser vertraglich geregelte und permanente Austausch sei auf andere Länder mit Konfliktpotential durchaus übertragbar. Neben der politischen Verflechtung führt Seidendorf die Zusammenarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene als beispielhaft an. Visionär ist für ihn, dass Frankreichs Präsident de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer damals auf die vertrauensbildende Kraft der Jugend Wert gelegt hätten.
Denn im Elysèe-Vertrag ist auch die Einrichtung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) vereinbart worden, das am 5. Juli 1963 gegründet wurde, ein wahrhaft zukunftsweisendes Projekt. Das Jugendwerk ermöglicht jedes Jahr Tausende von Treffen zwischen Jugendlichen beider Völker. Seit seiner Gründung habe das DFJW rund acht Millionen jungen Deutschen und Franzosen die Teilnahme an rund 300.000 Austauschprogrammen ermöglicht, sagt Stefan Seidendorf. Die Besonderheit des Vertragswerks bestehe darin, dass das Jugendwerk zunächst als internationale Organisation geschaffen worden sei, "also mit einem Statut, das außerhalb der nationalen Regierungen lag und das keine der beiden Regierungen wieder abschaffen konnte. Das heißt, das Jugendwerk war ein gleichberechtigter Akteur auf Augenhöhe mit den Regierungen und konnte deshalb diese besondere Wirkung entfalten".
Wie eine schnell verblühte Rose
Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte stand aber das drohende Scheitern des Elysée-Vertrages. Der Deutsche Bundestag, der den Staatsvertrag ratifizieren musste, sorgte im Mai 1963 dafür, dass dem Abkommen eine Präambel vorangestellt wurde. Darin wurde die Verpflichtung zu engen politischen, wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Beziehungen mit den USA, Großbritannien sowie der NATO bekräftigt. Die französische Regierung hingegen verfolgte das Ziel, mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland die Position Europas gegenüber den USA zu stärken und auszubauen.
Der enttäuschte Präsident de Gaulle soll daraufhin im vertrauten Kreis gesagt haben: "Verträge sind wie Rosen und junge Mädchen, sie haben ihre Zeit." Als de Gaulle im Juli 1963 zu einem Staatsbesuch nach Bonn reiste, griff Bundeskanzler Adenauer in der Tischrede beim Abendessen das Gleichnis seines Gastes auf: "Rosen und junge Mädchen - natürlich haben sie ihre Zeit"“, sagte der passionierte Rosenzüchter. "Aber die Rose - davon verstehe ich nun wirklich etwas - ist die ausdauerndste Pflanze. Sie hält jeden Winter durch." De Gaulle zeigte sich letztlich von dem Abkommen überzeugt und entgegnete: "Eine Rose dauert nur einen Morgen, ein junges Mädchen bleibt nicht immer jung. Aber ein Rosengarten überdauert sehr lange, wenn man will, dass er dauert und blüht. Das ist der Fall bei dem Vertrag, den wir geschlossen haben.“
Eine beispielhafte Erfahrung
Auch später mussten Hürden genommen und gegenseitige Vorurteile abgebaut werden, bis sich die deutsch-französische-Freundschaft verfestigte. Der Herausgeber von "Dokumente", der Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, Gérard Foussier, spricht deshalb von einer beispielhaften Erfahrung, die Deutsche und Franzosen gemacht hätten. Gerade weil es solche Schwierigkeiten gegeben hätte, sei eine Freundschaft entstanden, an der sich andere Länder orientieren könnten. "Wenn wir das richtig kommunizieren, könnten andere Regionen dieser Welt sagen, vielleicht wäre die Zeit endlich gekommen, uns Gedanken zu machen, wie beispielsweise wir Israelis und Palästinenser auch solche Fortschritte erreichen können."