Kleine Sektion mit viel Talent
15. Februar 2011Der Film endet mit einer schwarzen Leinwand. Nach einer kurzen Stille, bricht der Applaus aus. Wie Dirk Lütter sich die letzten 85 Minuten gefühlt hat, lässt sich nur erahnen. Es ist die Premiere seines ersten Kinofilms "Die Ausbildung", gezeigt im zweitgrößten Saal eines Multiplexkinos am Potsdamer Platz, alle 500 Plätze sind besetzt.
Verlegen steht der junge Regisseur auf der Bühne, wartet den Applaus ab und stellt sein Team vor. Die Angespanntheit fällt erst nach den offiziellen Ansprachen von ihm ab: "Ich hatte Angst und war ziemlich überfordert. Aber alles ist gut gelaufen und ich bin echt erleichtert."
Von Null auf Hundert
Im Foyer drängen sich anschließend die Kinogäste um den Regisseur. Eine Zuschauerin bittet ihn gar um ein Autogramm, lobt ihn für den genauen Blick seines Films. In seinem Debut zeigt Dirk Lütter, einen Auszubildenden, der mit den Zwängen der modernen Arbeitswelt ringt.
"Die Ausbildung" ist einer von elf Filmen, die dieses Jahr in der Sektion "Perspektive Deutsches Kino" laufen, ausgewählt von 250 Einreichungen. "Ich freue mich sehr über ein so großes Publikum und dass so viele Leute meinen Film sehen können. Und natürlich auch über die Möglichkeit in der Öffentlichkeit und von der Presse wahrgenommen zu werden", sagt Dirk Lütter, der an der Kunsthochschule für Medien in Köln Regie studiert hat.
Dieses Gefühl, von Null auf Hundert plötzlich als Filmemacher wahr- und vor allem auch ernst genommen zu werden, kennt auch Robert Thalheim. Sein Film "Netto" lief 2005 in der Perspektive. "Das war schon ein irres Gefühl, als ich in dem riesigen Kino saß und plötzlich der Berlinale-Trailer vor meinem eigenen Film lief."
Nach der Berlinale: von Chile bis Shanghai
Viel besser fühlte es sich dann noch an, als die Resonanz auf seinen Film alle Erwartungen übertraf. "Netto", ein feinfühliger und humorvoller Film über die Beziehung zwischen einem Teenager und seinem arbeitslosen Vater, wurde im Anschluss an die Berlinale auf unzählige Festivals "von Chile bis Shanghai" eingeladen, erhielt einige wichtige Preise, unter anderem auch den Deutschen Filmkunstpreis.
"Das Tolle ist, dass man dann plötzlich dazu gehört." Robert Thalheim erinnert sich daran, wie er 2005 zwischendurch die Berlinale-Übertragungen im Fernsehen mitverfolgt hat. "Auf dem Roten Teppich wurde der Schauspieler Florian Lukas gefragt: Was ist denn für Sie die Zukunft des deutschen Kinos?" Lukas hätte daraufhin geantwortet, dass er eben "Netto" von "so einem Filmstudenten" gesehen habe, mit Mini-DV gedreht, aber so voller Wucht. "Und da dachte ich: Okay, ich gucke mir das nicht mehr nur im Fernsehen, ich mache da jetzt selbst mit."
Das sei die "emotionale Eintrittskarte" in die Filmbranche gewesen, sagt Robert Thalheim heute. Was nicht bedeutet, dass der Rest dann von alleine läuft. Im Geschäft zu bleiben ist harte, kreative Arbeit. Ihm ist es gelungen: Sein zweiter Film "Am Ende kommen Touristen" wurde 2007 nach Cannes eingeladen, weitere Kinofilme sind derzeit in Planung.
Allerdings sind heute nur eine Handvoll Filme in den Kinos zu sehen, die von ehemaligen Debütanten gemacht wurden. "Es geht ja nicht nur darum, dass jetzt alle große Regisseure werden", sagt Linda Söffker, Leiterin der Perspektive. "Natürlich wünsche ich mir das. Aber ich möchte auch Filme zeigen, die sonst nie ins Kino kommen würden, die aber eine besondere Handschrift haben. Das ist mir genauso wichtig."
Außerdem gibt es die Perspektive ja auch erst seit zehn Jahren - bedenkt man die langen Vorlaufzeiten bei Filmproduktionen, ist das tatsächlich ein kurzer Zeitraum. Stolz fügt Linda Söffker aber noch hinzu: Dieses Jahr laufen vier Filme in den Sektionen Forum und Panorama der Berlinale, von Regisseuren, die ihr Debüt in der kleinen, feinen und sehr liebevollen Perspektive hatten.
Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Sabine Oelze