Keine Botschaft
21. Mai 2012Am Ende richtete der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck noch einen Appell an die Teilnehmer des 98. Deutschen Katholikentags in Mannheim. Nach dem abschließenden Gottesdienst am Sonntag (20.05.2012) rief er die Christen zu mehr Engagement in Politik und Gesellschaft auf. Der Staat könne von christlich geprägten Menschen profitieren. In der DDR seien es gerade Christen gewesen, die "auch in Zeiten der Dikatur an ihren Werten festhielten, als sich die meisten Bewohner des Landes schon in ihr Schicksal ergeben hatten", sagte er. Am Abschlussgottesdienst nahmen 20.000 Menschen teil.
Zuvor hatte der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Christen in Deutschland gesellschaftspolitische Passivität vorgeworfen. "Die fröhliche Gleichgültigkeit macht mich nervös", gestand er. Dabei hätten die Christen doch einen Gestaltungsauftrag, der alle Lebensbereiche umfasse und sie in die Pflicht nehme.
Zumindest in der Tendenz passt seine Mahnung zur Befindlichkeit, die die Tage von Mannheim prägte. Denn eigentlich wollen Katholikentage wie auch Kirchentage nicht nur "Fest der Begegnung" oder "Glaubenstage" sein oder ein Spiegelbild der katholischen Kirche in Deutschland liefern, sondern auch sozialethische, gesellschaftspolitische und ökologische Großthemen ansprechen und damit in die gesamte Gesellschaft hineinwirken. Die Evangelischen Kirchentage mit zumeist größeren Teilnehmerzahlen sind da stärker. Aber die in ihrer Tradition weit älteren Katholikentage haben schon im 19. Jahrhundert soziale Fragen angesprochen und sind dem treu geblieben. In den 1970er und 1980er Jahren pushten Großtreffen beider Kirchen gelegentlich Themen in die politische Debatte.Das Mannheimer Katholikentreffen mit seinen gut 30.000 Dauerteilnehmern und zwischen 10.000 und 30.000 Tagesgästen blieb hinter diesem Anspruch zurück. Vielleicht auch, weil innerkirchliche Problem- und Reformfragen im Mittelpunkt standen. Das Motto der fünf Tage - "Einen neuen Aufbruch wagen" - galt den kirchlichen Umbrüchen: Da verschwinden Gemeindestrukturen und liebgewordene kirchliche Nähe, der Priestermangel hinterlässt seine Spuren. "Dialog“ und "Reform" sollen diese Probleme lösen. Da funktioniert Kirche so wie Parteipolitik.
Bühne für politische Themen
Mag es auch nicht die eine Botschaft, die große Ansage in Mannheim geben, so kommen doch politische Botschaften aus Mannheim. Dafür sorgten die zahlreich in die Industriestadt zwischen Rhein und Neckar gekommenen Politiker. Sie brachten Themen von ihrer Agenda auf die Katholikentagsbühne.
So wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die auf dem Weg zum G8-Treffen in den USA in Mannheim Station machte. Sie legte den Fokus auf den demografischen Wandel in Deutschland und rief die Kirchen zur Mitarbeit angesichts dieser großen Herausforderung auf. "Was wir heute tun oder unterlassen, entscheidet darüber, wie unsere Welt in Zukunft aussieht." Wichtige Entscheidungen dürften nicht länger herausgezögert, Jung und Alt nicht gegeneinander ausgespielt werden. Als Beispiel führte die Regierungschefin – wenig überraschend – die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre an.Immerhin: Bei der Betonung der Bedeutung der Familie formulierte Merkel Sätze, die sie wohl kaum vor dem Deutschen Arbeitgebertag anbringen würde. Vielen Unternehmen fehle es an Respekt für die Bedürfnisse von Familien. Die Erwartungen der Arbeitswelt dürften aber nicht zu einer "völligen Ökonomisierung des Familienlebens" führen. Das Katholikenherz fühlt sich angesprochen. Auch Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse, der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf (beide SPD), Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und weitere Gäste aus der Politik thematisierten die Folgen der demografischen Entwicklung für die Gesellschaft.Es gab zahlreiche weitere Beispiele dafür, dass Politiker die Bühne des Katholikentages für ihre Anliegen nutzten. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) prangerte den gedankenlosen Umgang mit Lebensmitteln an, die längst nur eine Industrieware seien. Die SPD kritisierte mal wieder die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik. Generalsekretärin Andrea Nahles warb für eine Bürgerversicherung und forderte die rasche Abschaffung der Praxisgebühr. Winfried Kretschmann, als Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in Mannheim sehr präsent, warb wie seine grüne Parteifreundin, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, für mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger: Es gelte, den neuen Aufbruch in die Bürgergesellschaft zu wagen.
Die großen Wünsche nach Gerechtigkeit und Frieden
Auch die Kirchenoffiziellen äußerten sich zu politischen Themen. Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, zugleich auch Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, nannte den Lebensstil Deutschlands und der anderen Industriestaaten "nicht zukunftsfähig" und forderte eine gerechtere und friedlichere Welt. "Allein mit dem immer neuen Ruf nach Wirtschaftswachstum brechen wir die Strukturen weltweiter Ungerechtigkeit nicht auf." Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, plädierte für die Abkehr von einer pauschalen Wachstumsideologie.Im Vergleich mit den offiziellen Vertretern aus Kirche und Politik zeigen sich die Laienkatholiken hingegen in Mannheim geschwächt. Die großen Sozialverbände wie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) oder der Kolpingverband haben an Präsenz und Gestaltkraft verloren – auch beim Katholikentag.
Kirchliche Veränderungen, spirituelle Sehnsucht
So steht Mannheim nicht für politische Mitsprache des deutschen Katholizismus, aber doch für kirchliche Veränderungen und Sehnsucht nach spirituellen Elementen - auch jenseits der Großthemen Zölibat oder Beteiligung von Frauen, die offiziell tabuisiert sind und doch selbstverständlich dabei sind. In Werkstattgesprächen und an zahlreichen Ständen tauschten sich aktive Katholiken über künftiges Gemeindeleben aus, das auf ganz andere Formen setzen muss. Ordensleute warben – nicht nur im sogenannten geistlichen Zentrum – für die Vielfalt religiösen Lebens. Ein Beispiel: Ein Geheimtipp wurde in Mannheim ein Ökumenisches Stundengebet zu vier Zeiten am Tag, das beim Ökumenischen Kirchentag in München 2010 Premiere hatte und sich nun bewährte. Auch das Abendgebet der Brüder von Taizé braucht jeweils eine große Halle, weil Kirchenräume zu klein sind. In – kirchlich und politisch - verunsicherten Zeiten spricht daraus die Sehnsucht nach Vergewisserung.Norbert Lammert erzählte in Mannheim übrigens auch von seinen Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Von der Begeisterung, der Spannung. Nie habe er sich seiner Kirche verbundener gefühlt als in jenen Tagen. Die Botschaft einer offenen, der Welt zugewandten Kirche fehle heute. Wenige sind Lammert in der kirchlichen und politischen Erfahrung wie in der Intellektualität ihrer Rede so nahe wie ZdK-Chef Alois Glück. Die nächsten Jahre würden zeigen, ob die katholische Kirche in Deutschland noch eine Zukunft habe. Da sei noch ein "Zeitfenster", in dem sich viel entscheiden werde.