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Vor zehn Jahren begann der Dopingfall Dieter Baumann.

18. Oktober 2009

Kein anderer Dopingfall hat den deutschen Sport so erschüttert: Am 19. Oktober 1999 wird 5000 Meter-Olympiasieger Dieter Baumann bei einer Dopingkontrolle im Training positiv getestet. Was folgte war ein Glaubenskampf.

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Dieter Baumann bei seinem Olympiasieg in Barcelona(Foto: dpa)
Dieter Baumann bei seinem Olympiasieg in BarcelonaBild: picture-alliance / Werek

Sein Olympiasieg 1992 war für Dieter Baumann der positive Höhepunkt seiner Sportlerkarriere – der Tiefpunkt beginnt vor genau zehn Jahren, am 19. Oktober 1999. Der erfahrene Dopingkontrolleur Klaus Wetter steht in Tübingen vor dem Haus der Baumanns. Die unangemeldete Trainingskontrolle verläuft wie immer. Die Urinprobe wird auf zwei Spezialbehälter in eine A- und B-Probe verteilt.

Schock per Telefon

Dieter Baumann bei der Pressekonferenz nach dem positiven Befund (AP Photo/Michael Latz)
Dieter Baumann bei der Pressekonferenz nach dem positiven BefundBild: AP

Wochen später klingelt dann das Telefon. "Von den positiven Proben erfahren habe ich per Anruf. Mir war sofort klar was hier passiert“, erzählt Baumann heute, "und von da an begann eine Welle die nicht mehr aufzuhalten war.“ Die Symbolfigur unter Verdacht Baumann lädt zur Pressekonferenz nach Stuttgart. Der zierliche Langstreckenläufer sitzt gebeugt auf dem Podium und verkündet die positiven Ergebnisse. In zwei Proben wurde 19-Norandrostendion gefunden – ein Abbauprodukt des Anabolikums Nandrolon. "Ich war in einem solchen Schockzustand, dass ich mich an die Pressekonferenz gar nicht erinnern kann“, sagt er rückblickend.

In den Jahren zuvor hatte sich Baumann vehement als Anti-Doping-Kämpfer profiliert. Er legte sich mit Athleten und Trainern aus der ehemaligen DDR an, forderte härtere Strafen für Dopingsünder und eine bessere finanzielle Ausstattung für die Labore. Ausgerechnet dieser Baumann steht nun selbst unter Verdacht. Das macht den Fall zum Medienspektakel.

Hinter den Kulissen beginnt die Suche nach der Ursache. Die Experten vermuten zunächst ein verunreinigtes Nahrungsergänzungsmittel. Prof. Hans Geyer vom Kölner Dopingkontrolllabor reist früh morgens nach Tübingen und entnimmt Lebensmittelproben aus dem Kühlschrank der Familie Baumann. Die Analysen ergeben nichts. Baumann und seine Frau Isabelle gehen tagelang im Restaurant essen und liefern täglich Urinproben ab. Beide sind positiv.

Die Zahpasta war's

Am 29.November hat die Suche ein Ende: Das Nandrolon steckt in der Zahnpasta. Der Fall wird zur Glaubensfrage Das Rätsel ist nur scheinbar geklärt, in Wahrheit ist dieser Befund der Auslöser für viele Fragen. "Das war eine völlige Wendung dieses Falles die ich noch viel weniger verstand“, erzählt Baumann. Er schaltet die Kriminalpolizei ein. "Damit war der Dopingfall im Grunde genommen kein Dopingfall mehr, sondern das war eine ganz andere Sphäre.“

Mit dieser Nachricht zerfällt Deutschland in zwei Lager. Die einen glauben dem Vorzeigeathleten – die anderen verdammen den mutmaßlichen Doper für so viel Kaltschnäuzigkeit. In den großen deutschen Sendern und Zeitungen spiegelt sich dieser Lagerkampf wider. "Als Protagonist hat man das nicht mehr im Griff“, erinnert sich Baumann, "irgendwann war es auch egal was ich sage, es hat auch keiner mehr gefragt.“ Ob wahr oder falsch, jede Interpretation sei möglich gewesen. Expertenstreit und ein Marathon durch die Instanzen

Baumann (li.) bei einer seiner Gerichtsverhandlungen
Baumann (li.) bei einer seiner GerichtsverhandlungenBild: AP

Für Baumann selbst ist klar: es war ein Anschlag. Es beginnt der juristische Langstreckenlauf durch Anhörungen und Sportgerichtsverfahren. Er setzt 100.000 DM Belohnung aus und besteht einen Lügendetektortest mit Bestwert. Die Experten im Landeskriminalamt haben unterdessen herausgefunden mit wie viel Sachkenntnis die Tuben manipuliert wurden. Bei einer rot-weißen Zahncreme war nur der rote Teil mit Nandrolon versetzt. Der Kölner Doping-Analytiker Prof. Schänzer sagte dazu: "Ich hätte die Zahnpasta so nicht präparieren können, das Wissen lag mir und meinen Mitarbeitern nicht vor.“

Hinweise führen in die ehemalige DDR. Dort war an solchen Doping-Methoden geforscht worden, doch die Nachforschungen der Staatsanwaltschaft verlaufen im Sande. Weder kann geklärt werden wer die Tuben manipuliert haben könnte, noch wer sie Baumann untergejubelt haben sollte. Aber auch der Verdacht der Olympiasieger selbst habe manipuliert kann nicht erhärtet werden. Olympia ist passé Nach monatelangen Verhandlungen fällt der Deutsche-Leichtathletik-Verband die umstritte Entscheidung Baumann nicht zu sperren.

Fall ungeklärt, Baumann gesperrt

Dieter Baumann bei der EM 2002
Noch einmal Silber bei der EM 2002Bild: AP

Er qualifiziert sich für die Olympischen Spiele in Sydney 2000. Kurz vor seinem Wettkampf dort aber kassiert der Weltverband das Urteil und sperrt den Athleten für zwei Jahre. Baumann versucht danach seine Ansprüche bei zivilrechtlich, also außerhalb der Sportgerichtsbarkeit durchzusetzen. Ihm sei es dabei auch um die Stärkung der Athletenrechte gegangen erzählt er heute: "Wir hatten auch einige Teilerfolge, aber letztendlich hat man gegen Weltverbände, wo auch sehr viel Politik im Spiel ist, keine Chance.“

Den Frust über die Zahnpasta-Affäre schreibt sich Baumann von der Seele und macht daraus ein Buch. Und er läuft. Weil er seine Karriere nicht als Dopingsünder beenden will, geht er nach Ablauf der Sperre bei den Europameisterschaften 2002 in München an den Start und holt Silber. Nach einem missglückten Versuch im Marathon ist dann Schluss.

Doeter Baumann beim Hamburger Marathonlauf
Der Marathonlauf war für Baumann zu langBild: AP

Die Zahnpasta aber verfolgt ihn bis heute. Seit Anfang 2009 ist der Trainer und Kolumnist mit einem eigenen Kabarettprogramm unterwegs. "Ohne Zahnpasta geht das natürlich überhaupt nicht“, erklärt er lachend, "das Thema soll aber eine Art Befreiung sein, auch fürs Publikum.“ Rechtfertigen mag er sich nicht mehr. Sollte ihn heute noch einer wegen Dopings anfeinden könne er nichts dagegen tun. "Ich habe ja eine Strafe bekommen. Und das war vor zehn Jahren. Irgendwann ist es dann auch mal gut.“

Autor: Jens Krepela
Redaktion: Wolfgang van Kann