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Eine Metropole zwischen Ceausescu und Kapitalismus

3. September 2003

Portrait der rumänischen Hauptstadt Bukarest

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Bonn, 3.9.2003, DW-radio / Rumänisch, Christian Stefanescu

Rumänien ohne Bukarest - das ist unvorstellbar! Doch die Wunden der Vergangenheit im Stadtbild sind tief. Überall sieht man die Spuren der größenwahnsinnigen Urbanisierungspläne des einstigen kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu. Christian Stefanescu hat sommerliche Impressionen aus der 2,5-Millionen-Stadt gesammelt:

Im Volksmund heißt es immer noch "Haus des Volkes". Das Haus von Nicolae Ceausescu - so nennen es die Touristen. Ganz gleich, wo man sich in Bukarest aufhält - das Gebäude scheint aus jedem Winkel nah zu sein. Aber auch wenn man vor ihm zu stehen glaubt, ist es noch ein gehöriges Stück bis zum Hauptportal, oben auf dem Hügel. Der Koloss beherrscht den riesigen Platz davor, der von Wohnblocks im gleichen verschnörkelten Baustil gesäumt wird. Es ist, als ob der Diktator die Menschen spüren lassen wollte, wie klein und unbedeutend sie sind - man fühlt sich tatsächlich irgendwie verloren auf diesem Platz und auf dem kilometerlangen Boulevard, den Ceausescu "Sieg des Sozialismus" getauft hatte. Heute beherbergt es das rumänische Parlament.

Kein anderes Wahrzeichen Bukarests wird von den Einheimischen so gehasst wie dieser Palast des ehemaligen Diktators. Die Gäste sollten sich lieber den alten, historischen Stadtkern ansehen, meinen die Bukarester. Das alte Zentrum wird gerade restauriert - zwar langsam, aber äußerst liebevoll. Weshalb wollen alle das Meisterstück der Megalomanie eines kommunistischen Diktators besichtigen? Warum müssen die Taxifahrer ihren ausländischen Touristen unbedingt den Koloss zeigen, der auf den Ruinen eines plattgemachten Stadtviertels errichtet wurde?

"Ich habe eine zeitlang in diesem riesigem Gebäude gearbeitet. Seine Proportionen sind überwältigend. Soweit ich mich richtig erinnere, hat es eine Fläche von 365.000 Quadratmetern und ist das drittgrößte Gebäude der Welt, nach der Pyramide von Cheops und dem Pentagon. Über die Ästhetik kann man lange streiten, aber die Größe ist beeindruckend."

Joachim Alexander gehört zur deutschen Minderheit in Rumänien. Er ist in Bukarest geboren, hat die deutsche Schule in der Hauptstadt besucht und anschließend Musik studiert. Eine Zeit lang hat er als Angestellter des Parlaments gearbeitet, das nach der Wende im "Haus des Volkes" untergebracht war.

Joachim gehört zur neuen Generation der rumänischen Intellektuellen. In seinem Innersten trägt er die Erinnerung an das Bukarest seines Vaters, eines angesehenen Dichters, der sich mit den pro-sowjetischen Machthabern nie anfreunden konnte. Wie sein Vater hat Joachim die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das kulturelle Erbe seiner Stadt den grauen Plattenbauten in den Vororten Bukarests nie weichen würde:

"Um für das riesige Gebäude Raum zu schaffen, wurde ein ganzes Wohnviertel abgerissen, darunter mehrere Kirchen. Einige von diesen Kirchen wurden mehrere hundert Meter versetzt. Die Bewohner des Uranus-Viertels wurden in Plattenbauten umgesiedelt. Die ganze Konstruktion hat das Land an den Rand des finanziellen Ruins gebracht und passt nicht zum Bild der Stadt, trotz ihrer administrativen Nützlichkeit."

Zwischen den Weltkriegen wurde die rumänische Hauptstadt "Klein-Paris" genannt. Heute nehmen Träume überhand von einer zukünftigen europäischen Metropole an den Toren des Orients.

Doch Bukarest ist schwer von den Spuren der Zeit gezeichnet. Der Geist der östlichsten Kulturhauptstadt des Westens wurde hart getroffen: Zuerst machte der Kommunismus wie eine Dampfwalze jegliche Tradition platt, die auch nur im geringsten mit der westlichen Kultur in Zusammenhang gebracht werden konnte. Die alten großbürgerlichen Stadtviertel wurden regelrecht niedergerissen, ihren Platz nahmen graue Wohnsilos ein. Hinter diesen Blocks wuchs eine neue Welt auf, die von der berühmtesten rumänischen Hip-Hop-Gruppe "BUG-Mafia" in ihren Songs besungen wird.

Während viele der alten Fassaden im historischen Stadtzentrum darauf warten restauriert zu werden, erheben sich zwischen den Altbauten die neuen Wahrzeichen des Kapitalismus: Wolkenkratzer. Hinter riesigen Glaswänden residieren rumänische und ausländische Firmen mit gut bezahlten Arbeitsplätzen. Wenn die jungen Bukaresterinnen und Bukarester nicht gerade ihr Land verlassen wollen, um im Westen besser zu arbeiten und zu leben, versuchen sie, einen Job bei einer dieser Firmen zu ergattern.

Die Bukarester beklagen sich seit eh und je über ihr geringes Einkommen. Tatsache ist aber, dass die Straßen und Boulevards voller westlicher Autos sind und dass täglich rund 500 Personen ihre Fahrprüfung ablegen. Ein Zeichen dafür, dass das Auto nicht länger einen Luxus darstellt, sondern eine Notwendigkeit, die sich der rumänische Durchschnittsbürger leisten kann. Mercedes, BMW, VW, Audi, Opel - das sind die gängigen Marken in Bukarest. Vor kurzem wurde sogar ein Maseratti-Showroom eröffnet. Man erzählt sich, dass eines der drei ausgestellten Modelle sofort von einem Rumänen gekauft wurde - gegen Bargeld, versteht sich. Das Grundmodell ist aber immer noch der "Dacia". Dieses Auto, mit dessen Herstellung man Anfang der 70er Jahre unter Renault-Lizenz begonnen hatte, ist das Wahrzeichen auf den Straßen Bukarests geblieben.

Ein weiteres Symbol der Hauptstadt aus der kommunistischen Zeit ist das Haus der Presse. Hier war früher der Sitz des Zentralorgans der KP, heute sind hier Redaktionen mehrerer Zeitungen und Zeitschriften untergebracht. Vor dem Gebäude - einer Kopie der Moskauer Lomonossow-Universität - steht ein leerer Denkmalsockel. Vor der Wende stand hier eine imposante Statue Lenins, der mit ausgestreckter Hand in Richtung Innenstadt zeigte. Heute hängen hier nur eine rumänische und eine EU-Fahne.

Anette Müller, eine junge Journalistin aus Leipzig, die für die deutsch-sprachigen Tageszeitung "Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien" arbeitet, lebt seit einigen Jahren in Bukarest:

"Wenn im Sommer hier die Tage und Nächte sehr heiß sind, dann kann man sich vorstellen, wie viel gearbeitet wird in dieser Stadt oder wie viel eigentlich ein Cocktail getrunken wird mit Eiswürfeln und man sich im Schatten ausruht. Ich glaube, dass Bukarest sehr anziehend sein muss für die Leute von Lande, vielleicht auch in der früheren Zeit, weil es ein Ort ist, wo man Geld verdienen kann, dass meiste im Land. Deshalb ist, glaube ich, Bukarest so ein Anziehungspunkt. Aber ob man hier sein großes Glück findet, weiß ich nicht."

Nach der glühenden Hitze des Tages genießen viele Bukarester das kulturelle Angebot ihrer Stadt: die Premiere eines neuen Kinofilms, ein gutes Theaterstück an einer der rund 15 Bukarester Bühnen, ein Konzert im Athenaeum oder ein Ballett in der Oper - die Hauptstadt ist voller Überraschungen. Gegen Mitternacht ziehen sich die Reicheren in die exklusiven Nachtclubs zurück - die anderen setzen sich in eines der vielen Straßencafés. Und träumen von ihrer Hauptstadt als Tor Europas zwischen Orient und Okzident - bevor es mit dem letzten Bus zurück geht in die traurigen Plattenbauten. (...) (TS)