Ein "U" mit Geschichte
19. Februar 2002Als nach dem Fall der Berliner Mauer an den ersten Punkten die damalige Ost- mit der West-U-Bahn wiederverbunden wurde, war das für viele Berliner die eigentliche Wiedervereinigung. Damit war eine skurrile Periode der U-Bahn und Stadtgeschichte beendet. Die Strecken mancher West-Linien nämlich führten trotz Stacheldraht durch realsozialistische Erde, vorbei an verfallenden Geisterbahnhöfen auf Ostgebiet. Und an manchen Stellen im Osten konnte man sich auf Belüftungsgitter stellen und das Untergrund-Rauschen des Klassenfeindes hören. Viele Ostberliner erinnern sich mit feuchten Augen an die Momente Anfang der 90er, als im Nachbarhaus die Hauswand eingerissen wurde und ein jahrzehntelang zugemauerter U-Bahn-Eingang zum Vorschein kam.
Eines der erfolgreichsten deutschen Musicals erzählt vom Leben in und um eine U-Bahnlinie. "Linie 1" wurde zum Symbol der Inselstadt West-Berlin und ist heute ein Stück Zeitgeschichte. Kreuzberg war ein Mekka für Aussteiger aus dem gesamten Bundesgebiet, unter anderem auch deshalb, weil man in der von den Alliierten verwalteten Stadt nicht zum Bund gehen musste. Hier blühte die Hausbesetzerszene und lebte die Musik der Neuen Deutschen Welle. Kreuzberg wurde weltbekannt und in den Bildern der "Tagesschau" aus der "Frontstadt" war immer auch das Rattern der U-Bahnzüge zu hören.
Der für eine deutsche Stadt einzigartigen Mischung an unterschiedlichen Menschen begegnete man gestern wie heute am ehesten in der U-Bahn - die Metropole in Miniaturausführung sozusagen. U-Bahn-Fahren war für dutzende Schriftsteller, Filme- und Theatermacher der Ort für Ideen, der Platz für Inspiration. Man konnte auf den oberirdischen Strecken ein wenig über der Stadt schweben - und das jeden Tag.
Das Massenverkehrsmittel U-Bahn ist schnell, beliebt und effektiv und damit auch ein Symbol für Moderne und Fortschritt – vergleichbar dem Auto als DEM Individualverkehrsmittel.
Das U-Bahn-Zeitalter in Deutschland begann hochoffiziell. Am 15. Februar 1902 trafen sich die Prominenz des wilhelminischen Berlins und der preußische Verkehrsminister zu einer Jungfernfahrt mit dem neuen Nahverkehrsmittel. Die erste Strecke war 6 Kilometer lang und führte von Osten her ins Stadtzentrum zum Potsdamer Platz. Wenige Tage später wurde die Anschlussstrecke in Richtung Westen zum Zoologischen Garten in Betrieb genommen.
Damals sprach man noch nicht von der U-Bahn, man sagte Hochbahn, weil die ersten Strecken fast ausnahmslos auf stählernen Viadukten verliefen. Erst als aus Rücksicht auf die Anwohner die ersten Strecken unterirdisch verlegt wurden, setzte sich der Begriff Untergrundbahn durch.
Mit einem großen Festakt und einer "Ministerfahrt" wie vor 100 Jahren hat die deutsche Hauptstadt am 15. Februar 2002 dem "Rückrat des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin" die Ehre erwiesen. In einem blumengeschmückten Sonderzug, umgeben von Mitreisenden in historischen Kostümen haben Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig und Berlins Regierender Bürgermeister die nächsten 100 Jahre der U-Bahn eingeläutet, wie es hieß.