1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Ein Marshall-Plan für die Ukraine

Silja Thoms
25. Juni 2022

Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordern erneut einen Marshall-Plan für die Ukraine. Doch was genau war der Marshall-Plan? Und was kann er für das kriegszerstörte Land leisten?

https://p.dw.com/p/4D7Kp
Olaf Scholz (r.) Mitte Juni bei dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew
Olaf Scholz (r.) Mitte Juni bei dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in KiewBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Wenn große Aufgaben zu stemmen sind, fordern Politiker häufig einen Marshall-Plan - vom Marshall-Plan für die angeschlagene Wirtschaft in der Corona-Pandemie bis hin zum Marshall-Plan für die Umwelt. Bereits kurz vor dem G7-Gipfel im Juni hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz für einen Marshall-Plan für die Ukraine starkgemacht. In seiner Regierungserklärung zum Gipfel hatte Scholz erklärt, er habe sich bei seinem Besuch in der Ukraine an die Bilder von zerstörten deutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert gefühlt. Er zog eine weitere Analogie: "Und wie damals das kriegszerstörte Europa braucht heute auch die Ukraine einen Marshall-Plan für den Wiederaufbau." Es gehe um eine "Generationenaufgabe".

Das haben Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jetzt wiederholt. Auf ihre Einladung hin haben an diesem Dienstag in Berlin internationale Experten über den Wiederaufbau der Ukraine nach einem Ende des Kriegesberaten. An der Tagung nahm auch der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal teil. "Es geht darum, dass wir jetzt ein Zeichen der Hoffnung setzen, mitten in dem Grauen des Krieges, dass es wieder aufwärts geht." Das hatte Scholz am vergangenen Wochenende betont.

Ein Plan für den Wiederaufbau 

Um dem in Trümmern liegenden Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen, schlug der damalige amerikanische Außenminister George C. Marshall im Juni 1947 das European Recovery Program (ERP) vor, das nur noch unter dem Namen Marshall-Plan bekannt ist. 

Wohnungsbau in Berlin mit Marshall-Plan-Hilfe
Der Marshall-Plan sollte der europäischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine helfen Bild: akg-images/picture-alliance

Der Plan sah vor, dass die USA für einen Wiederaufbau Kredite bereitstellen und Waren, Rohstoffe sowie Lebensmittel an Europa liefern. So flossen zwischen 1948 und 1952 über 12 Milliarden Dollar an 16 europäische Länder, darunter Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien. Westdeutschland erhielt von dem Geld rund 1,5 Milliarden Dollar. Die finanziellen Hilfen förderten nicht nur ein Wirtschaftswunder in Europa, sondern schafften auch neue Absatzmärkte für die USA. 

Der Marshall-Plan hatte auch eine politische Seite, denn nicht alle europäischen Länder profitieren von dem Geld der USA. Während die USA den Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa einschränken wollten, fürchtete Moskau die westliche Kontrolle und untersagte kurzerhand Ländern wie Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen, sich am Wiederaufbauprogramm zu beteiligen. 

Im kollektiven deutschen und europäischen Gedächtnis gilt der Marshall-Plan gemeinhin als erfolgreiches Konzept. Das European Recovery Program hatte dafür gesorgt, dass sich Europas Wirtschaft erholte und sich demokratische Strukturen verankern konnten. So wird der Marshall-Plan auch heute noch häufig als Beispiel genannt, wenn es um einen Wiederaufbau nach Kriegs- oder Krisenzeiten geht. 

Wie könnte ein Marshall-Plan für die Ukraine aussehen?

Dem Bundeskanzler geht es mit der Forderung nach einem Marshall-Plan vor allem um eine langfristige Perspektive. Er rechne damit, dass der Krieg in der Ukraine noch einige Zeit dauern werde, sagte Scholz bereits im Juni in seiner Erklärung vor dem Bundestag. Ähnlich wie beim Marshall-Plan müsse sich der Westen auf einen langwierigen Wiederaufbau des Landes einstellen: "Wir werden viele weitere Milliarden Euro und Dollar für den Wiederaufbau brauchen - und das über Jahre hinweg." Gleichzeitig betonte er, die Ukraine mit vereinten europäischen Kräften weiterhin massiv unterstützen zu wollen und zwar "finanziell, wirtschaftlich, humanitär, politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen". 

Unmittelbar vor der Wiederaufbaukonferenz heißt es aus der Ukraine, dass Deutschland 500 Millionen US-Dollar (506 Millionen Euro) pro Monat zur Finanzierung des Staatshaushalts in Kriegszeiten überweisen solle.

Der Wirtschaftsberater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Alexander Rodnyansky, sagte Medien zufolge: "Wir brauchen jeden Monat vier bis fünf Milliarden Dollar für unseren Haushalt. Wir glauben, dass Deutschland etwa 500 Millionen Dollar pro Monat übernehmen könnte, vor allem mit Blick auf das Jahr 2023." Die Ukraine hoffe, dass die EU sich mit rund zwei Milliarden Dollar pro Monat beteilige. 

Der Präsident der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, rechnet mit einem billionenschweren Hilfspaket für die Ukraine. Benötigt werde etwas, das "sich wirklich an ein globales Publikum und nicht nur an die Steuerzahler der EU wendet". Die Leitung für den Wiederaufbau - so die Idee der Europäischen Union - solle die Ukraine in Abstimmung mit der EU, mit den G7- und G-20-Staaten sowie internationalen Finanzinstituten und -organisationen übernehmen. 

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 25.06.2022 veröffentlicht und am 25.10.2022 aktualisiert.