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Ein Haus voller Literatur

12. Juli 2015

Wer sich mit Franz Kafka, Kurt Tucholsky oder anderen großen Schriftstellern der deutschen Geschichte beschäftigt, kommt an einer Reise nach Marbach kaum vorbei. Das Deutsche Literaturarchiv dort wird heute 60 Jahre alt.

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Marbach Blick in die Ausstellung
Bild: DLA Marbach

Die Schillerstadt Marbach ist für Literaturwissenschaftler aus ganz Deutschland und Germanisten aus der ganzen Welt eine erste Adresse. Denn dort, in der Geburtsstadt Friedrich Schillers, befindet sich das Deutsche Literaturarchiv, kurz DLA, das an diesem Sonntag ein Jubiläum feiern kann. Am 12. Juli 1955 beschloss die Deutsche Schillergesellschaft, das Nationalmuseum auf einem Felsen über Marbach am Neckar um ein Literaturarchiv für die Nachlässe bedeutender Schriftsteller und Gelehrter zu erweitern. Gut 1400 solcher Sammlungen sind es inzwischen.

Die Besonderheiten des Archivs

Die Deutsche Presse-Agentur hat zusammen mit dem Archivleiter Ulrich von Bülow die herausragenden Besonderheiten des Archivs zusammengetragen:

DAS TEUERSTE Einzelstück ist vermutlich Franz Kafkas unvollendetes Romanmanuskript "Der Process". Das DLA hat die Handschrift 1988 auf einer Londoner Auktion für umgerechnet 1,75 Millionen Euro ersteigert. Seitdem wurde das Manuskript mehrfach neu ediert und bereits zweimal in Marbacher Ausstellungen gezeigt. Einzelne Seiten sind auch in der Dauerausstellung des Hauses zu sehen.

Originalmanuskripts des Romans Der Process
Das Original-Manuskript von Kafkas "Der Prozess"Bild: picture-alliance/dpa

DAS ÄLTESTE Schriftstück ist ein Brief, den Martin Luther am 9. September 1529 an den Grafen Albrecht von Mansfeld schrieb. 1968 kam er als Teil einer wertvollen Autographensammlung nach Marbach. Dabei beginnt das Sammelgebiet des DLA erst mit der Epoche der Aufklärung des 18. Jahrhunderts.

DER GRÖSSTE Ankauf bisher ist das Siegfried-Unseld-Archiv, das 2010 hinzukam. Die 10.000 Archivkästen enthalten sämtliche Unterlagen der Verlage Suhrkamp und Insel: von Autorenkorrespondenzen und Lektoratsunterlagen bis hin zu den Abrechnungen in der Zeit des legendären Verlegers Unseld.

Ulla Unseld-Berkewicz
Ein Bild von Verleger Siegfried Unseld mit seiner Witwe Ulla BerkewiczBild: picture-alliance/dpa

DER SCHWIERIGSTE Kauf sei immer die Erwerbung von Schiller-Manuskripten, erklärt Archivleiter von Bülow. "Das liegt daran, dass seine Nachkommen viele Handschriften in kleine Schnipsel zerschnitten haben, um möglichst viele Verehrer damit zu erfreuen." Zwar sei vieles "Gott sei Dank" sorgsam aufbewahrt und tauche im Autographen-Handel auf. Doch was man kaufen kann, sei "immer nur ein kleiner Teil des Werks, manchmal nur einige Worte". Es brauche viel Geduld, solche Puzzle zu vervollständigen.

DAS JÜNGSTE Stück stammt laut von Bülow vom nach wie vor munter schreibenden Autor Günter Kunert (86). Bereits vor Jahren habe er dem DLA seinen Vorlass übergeben. Quasi als Nachträge schicke er laufend neue Gedichte samt ihren Vorfassungen mit der Post nach Marbach. "Manche Handschriften sind bei ihrer Ankunft im Archiv erst wenige Tage alt, die Tinte ist sozusagen noch feucht."

Autor Peter Handke
Peter HandkeBild: picture-alliance/dpa

DAS NACHGEFRAGTESTE Objekt sind laut von Bülow Peter Handkes 66 Notizbücher aus den Jahren 1975 bis 1990, die insgesamt mehr als 10.000 Seiten umfassen. Als sie nach Marbach gingen, sei er damit einverstanden gewesen, dass sie von Forschern ohne weitere Rücksprache eingesehen werden dürfen. "Inzwischen hat es sich herumgesprochen, um was für einen Schatz, um was für eine schier unerschöpfliche Quelle es sich handelt", sagte von Bülow. Im Marbacher Lesesaal bekomme man daher nicht mehr die fragilen Originale, sondern hochaufgelöste Scans zu sehen.

Kurt Tucholsky
Kurt TucholskyBild: picture-alliance/akg-images

Ganz BESONDERE FUNDSTÜCKE in Marbach sind außerdem die privaten Briefwechsel Kurt Tucholskys, etwa seine Wortmeldungen aus dem schwedischen Exil, als er längst aufgehört hatte, in Nazi-Deutschland zu publizieren. Die unter dem Titel "Briefe aus dem Schweigen" veröffentlichten Stücke im Original zu lesen, bringt einem den 1935 verstorbenen Schriftsteller in ganz eigener Art nahe.

ml/se (dpa)