1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Deutschland-Kenner als Premier

Nils Naumann16. Mai 2012

So viel Nähe zum Nachbarland gab es selten in der französischen Regierung: Der neue Premier Jean-Marc Ayrault hat in der Bundesrepublik studiert, spricht fließend Deutsch und hat beste Kontakte in die deutsche Politik.

https://p.dw.com/p/14wSx
Frankreichs neuer Premierminister Jean-Marc Ayrault (Foto: Reuters)
Frankreich Bürgermeister von Nantes Jean-Marc AyraultBild: Reuters

Deutschland ist wichtig für Jean-Marc Ayrault: "Ich habe mich diesem Land immer verbunden gefühlt", erklärt der neue Premierminister auf seiner Homepage. Jahrelang hat der 62-jährige Ayrault als Deutschlehrer gearbeitet. Wenn der stets perfekt gekleidete Franzose seine Kontakte zu bundesdeutschen Politikern pflegt, dann tut er das in fließendem Deutsch. Besonders zu den Sozialdemokraten hat Ayrault beste Verbindungen. Aber auch ins Kanzleramt reichen seine Kontakte, etwa zu Angela Merkels Kanzleramtsminister Ronald Pofalla.

Von Merkozy zu Merkollande?

Ayraults Verbindungen könnten wichtig werden. Denn der Regierungswechsel in Frankreich bedroht die deutsch-französische Harmonie der vergangenen Monate.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der abgewählte französische Präsident Nicolas Sarkozy hatten sich bestens verstanden. Kein Wunder also, dass Merkel im französischen Präsidentschaftswahlkampf ganz offen auf Sarkozy setzte. Seinem Widersacher François Hollande versagte sie sogar einen Termin im Kanzleramt. Doch es half nichts: Sarkozy ist Geschichte, Hollande neuer Präsident Frankreichs. Alles andere als ein vielversprechender Start für eine tiefe Freundschaft.

Nicolas Sarkozy und Angela Merkel am Strand von Deauville (Foto: Reuters)
Deutsch-französisches Tandem: Nicolas Sarkozy und Angela MerkelBild: Reuters

Doch damit nicht genug: Auch inhaltlich gibt es Differenzen zwischen der Bundesregierung und Frankreichs neuer Führungsspitze. Hollande hatte im Wahlkampf den von Berlin propagierten Sparkurs hinterfragt und eine Ergänzung des von Merkel angestoßenen Fiskalpaktes um eine Wachstumskomponente gefordert. Doch Merkel ist skeptisch, die Kanzlerin befürchtet eine Aufweichung des Sparkurses.

Ayrault könnte helfen, die Beziehungen zwischen den beiden großen EU-Staaten am Laufen zu halten. "Die deutsch-französische Partnerschaft", betont der neue Premierminister, "muss weitergehen. Das heißt, wir müssen ganz konkret und ganz ehrlich miteinander diskutieren." Die Priorität allerdings, das macht auch Ayrault klar, sei "das Wachstum in Europa wieder anzustoßen. Jetzt muss jede Seite einen Schritt auf die andere zugehen. Wir brauchen einen Konsens."

Der Politikwissenschaftler Jacques-Pierre Gougeon vom französischen Forschungsinstitut Iris ist optimistisch, dass sich Deutschland und Frankreich nicht voneinander entfernen: "Ayrault ist jemand, der vor allem auf den Dialog setzt. Er weiß, wie Europa tickt".

Vom Parlament in die Regierung

Jean-Marc Ayrault zählt zu den engsten Vertrauten des neuen französischen Präsidenten Hollande. Im Wahlkampf war der als nüchtern und sachlich geltende Ayrault Sonderberater des Kandidaten. Er wird wie Hollande dem gemäßigten Flügel der Sozialisten zugerechnet. Der neue Premier gilt als treuer Parteisoldat.

Francois Hollande und Jean-Marc Ayrault begrüßen sich nach dem Wahlsieg der Sozialisten in Frankreich (Foto: dapd)
Weggefährten: François Hollande und Jean-Marc AyraultBild: AP

Ayraults Gegner werfen ihm vor allem seine mangelnde Regierungserfahrung vor. Dabei ist er alles andere als ein Politikneuling. Der graumelierte Mann mit dem akuraten Seitenscheitel leitete 15 Jahre lang die Fraktion der Sozialisten im französischen Parlament. Außerdem steht er seit 1989 als Bürgermeister an der Spitze der westfranzösischen Großstadt Nantes.

Beinahe hätte ihn eine alte Geschichte aus Nantes um sein neues Amt gebracht. 1997 wurde Ayrault wegen Begünstigung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Grund: Der Druck des Infomagazins von Nantes war ohne eine ordnungsgemäße öffentliche Ausschreibung an eine Firma vergeben worden, deren Chef einer der Geldgeber der Sozialisten in der Region gewesen sein soll.

Er habe damals als Bürgermeister die Verantwortung übernommen, erklärte Ayrault. "Meine persönliche Rechtschaffenheit stand aber nie in Frage. Ich bin ein ehrlicher Mann und ich werde ein ehrlicher Mann bleiben."

Der neue Präsident Hollande hatte angekündigt, er wolle im Elysée keine Politiker um sich haben, die in Gerichtsverfahren verurteilt worden seien. Schließlich entschied sich Hollande aber doch für seinen Weggefährten Ayrault.

Mehr Macht für das Parlament

Als Premierminister erfüllt Ayrault eine Scharnierfunktion zwischen Regierung und Parlament. "Ayrault hat das Parlament stets mit im Blick. Er hält es in Frankreich für nicht einflussreich genug", erklärt Jaques-Pierre Gougeon vom Forschungsinstitut Iris. Dabei dürfte der neue Premier auch das deutsche Beispiel vor Augen haben. Hier hat der Bundestag unter anderem bei den deutschen Beteiligungen an europäischen Hilfsmaßnahmen ein Mitspracherecht.

Als Premier könnte Ayrault stärker im Rampenlicht stehen als sein Vorgänger. Der neue Präsident Hollande hatte im Wahlkampf angekündigt, die Rolle des Premierministers zu stärken. Ayraults konservativer Vorgänger Francois Fillon war dagegen nie aus dem übermächtigen Schatten seines Präsidenten Nicolas Sarkozy herausgetreten. Sarkozy hatte auch die Pflege der Beziehungen zu Deutschland zur Chefsache gemacht.

Weniger Zeit haben dürfte der Vater von zwei Kinder in Zukunft für seine Ausflüge mit dem Wohnmobil. Ayrault besitzt einen 30 Jahre alten VW-Bus, mit dem er früher regelmäßig zu Kurztripps aufgebrochen ist. Das könnte jetzt schon aus Sicherheitsgründen schwierig werden.