Deutsches Künstlerschicksal
3. April 2014Es sind heitere Bildergeschichten von einem strubbelhaarigen Sohn und einem kugelförmigen Vater mit Schnauzbart, die meist ohne Worte auskommen. Zeitlos gezeichnet mit einem humorvollen Blick auf zwei Menschen, die sich lieb haben. Ihr Schöpfer, der Zeichner e.o.plauen, ist nicht nur in Deutschland vor allem für diese Vater und Sohn-Geschichten bis heute bekannt.
Am 13. Dezember 1934 erschien mit "Der schlechte Hausaufsatz" die erste der Zeichnungen - ab dann im wöchentlichen Rhythmus in der "Berliner Illustrirten Zeitung" (BIZ) mit der eigenwilligen Schreibweise. Bis Dezember 1937 waren es insgesamt 157 Vater und Sohn-Geschichten. Sie gelten nach den Max und Moritz-Geschichten von Wilhelm Busch als die deutschen Vorläufer des Comics.
Doch e.o.plauen, der eigentlich Erich Ohser hieß, zeichnete zuvor auch politische Karikaturen für die sozialdemokratische, Nazi-kritische Zeitung "Vorwärts". Er illustrierte zudem die Gedichtbände seines Freundes Erich Kästner, die am 10. Mai 1933 von den Nazis während der Bücherverbrennung zusammen mit Werken anderer unliebsamer Autoren ins Feuer geworfen wurden. Der politische Zeichner Ohser bekam in Nazi-Deutschland Berufsverbot.
Beschränkte Arbeitserlaubnis
Mit Unterstützung einiger Freunde wurde Ohser doch noch die Arbeitserlaubnis durch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels erteilt, dem auch die Reichskammer der bildenden Künste unterstand. Die Zulassung beschränkte sich allerding auf unpolitische Zeichnungen, und Ohser durfte nicht mehr unter seinem eigenen Namen veröffentlichen. Er legte sich deshalb das Pseudonym e.o.plauen zu - zusammengesetzt aus seinen Anfangsbuchstaben und der Stadt Plauen, in der er groß geworden ist.
Die anschließend entstandenen Vater und Sohn-Geschichten waren ein großer Erfolg. Nach dem Abdruck in der BIZ wurden sie als Bücher herausgebracht, die Bestseller wurden. Die beiden freundlichen Tuschefiguren machten Werbung für Kaffeefilter oder Zigaretten, es wurden Vater und Sohn-Puppen verkauft. Bereits in den 1930er Jahren entstand ein umfassendes Marketing für Vater und Sohn. Selbst die Nationalsozialisten benutzten die Bildergeschichten, um für ihr so genanntes "Winterhilfswerk" zu werben.
Verspielte Figuren mit Herz und Seele
Dabei entsprachen die beiden Protagonisten in keiner Weise dem von den Nazis idealisierten Menschenbild soldatischer, disziplinierter, autoritätshöriger Kinder und Erwachsener. Im Gegenteil war Ohser mit seinem Ideal eines verspielten, liebe- und verständnisvollen Umgangs der Generationen miteinander vom Zeitgeist weit entfernt.
Im März 2014 ist erstmals eine Biografie über Leben und Werk des Zeichners herausgekommen ("Erich Ohser alias e.o.plauen - Ein deutsches Künstlerschicksal", Südverlag). Die Kunsthistorikerin Elke Schulze zeichnet darin das Bild eines Mannes, der den Nationalsozialismus und den Krieg ablehnte, der aber trotzdem für die propagandistische Nazi-Zeitschrift "Das Reich" arbeiten durfte und seinen Erfolg genoss. "Erich Ohser hat offenkundig geglaubt, dass er die Nazi-Zeit überstehen kann, wenn er Kompromisse eingeht, und hat unterschätzt, welchen Preis er dafür zahlen muss", ordnet die Biografin Schulze der DW gegenüber die Zerrissenheit des Künstlers ein.
Ab 1940 lieferte Ohser für "Das Reich" regelmäßig "Angst- und Spottbilder". Von der Freundlichkeit der Vater und Sohn-Geschichten war in den Zeichnungen nichts mehr zu finden: "In dieser Welt regiert rohe Gewalt, Lüge und Gier - hier sind Menschenfresser im Blutrausch, skrupellose Kapitalisten und heuchlerische Kolonialisten versammelt", so Schulze über Ohsers Werk in diesen Jahren.
Im Privatleben hielt er sich mit seiner Kritik an Hitler und dem Krieg hingegen immer weniger zurück. Ein Nachbar denunzierte Ohser vor 70 Jahren, im März 1944, die nationalsozialistische Geheime Staatspolizei ("Gestapo") verhaftete ihn zusammen mit seinem Freund Erich Knauf. Sie wurden der "Wehrkraftzersetzung und landesverräterischen Feindbegünstigung" beschuldigt. "Ohser muss gewusst haben, welche Konsequenzen seine Äußerungen haben können. Warum er sich trotzdem so leichtsinnig verhalten hat, ist eigentlich unklar", sagt Ohser-Expertin Schulze, die auch Vorstand der Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung in Plauen ist. Am 6. April 1944 sollte vor dem Volksgerichtshof unter dem gefürchteten Richter Roland Freisler das Todesurteil über Ohser gefällt werden. Erich Ohser brachte sich jedoch in der Nacht zuvor in seiner Zelle um.
Zweite Erfolgsgeschichte nach 1945 für Vater und Sohn
Seine Frau Marigard und der 1931 geborene Sohn Christian lebten zu dieser Zeit in Süddeutschland. Sie blieben auch nach dem Krieg in Baden-Württemberg. Nach 1945 wurden die Vater und Sohn-Zeichnungen erneut veröffentlicht - in der neu gegründeten Zeitung "Südkurier" und als Sammelbände im "Südverlag". Im März 2014 erschien erstmals in Farbe "Vater und Sohn - Zwei, die sich lieb haben. Die 33 schönsten Geschichten" im Südverlag. Zum 80. Jubiläum der beiden Figuren hat der Verlag zudem drei Klassikerbände mit insgesamt 150 Geschichten neu aufgelegt. Auch ein zweiten Farbband ("Vater und Sohn - Zwei, die sich verstehen") ist im Südverlag erschienen.
"Nach 1945 sind die Geschichten auch in Mittel- und Lateinamerika beliebt geworden", weiß Schulze von der Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung. "In China wurden sie bereits in den 1930er Jahren nachgedruckt. Dort sind sie bis heute am populärsten - nach Deutschland. Im Ohser-Museum in Plauen haben wir besonders viele chinesische Besucher." Aber auch in Japan oder dem Iran soll es Nachdrucke der Bildergeschichten geben.
Sohn und Erbe Christian Ohser unterstützte später die Gründung der Stiftung für seinen Vater, indem er ihr seinen Nachlass übergab. Als Christian Ohser 2001 starb, wurde er neben seinem Vater in Plauen bestattet. Die Biografie Erich Ohsers zeigt einmal mehr, dass die Unterteilung in Täter, Opfer oder Mitläufer unter lebensbedrohlichen Verhältnissen, wie sie in Nazi-Deutschland herrschten, schwierig ist. "Es ist in soweit auch ein recht typisches deutsches Künstlerschicksal", sagt die Biografin Schulze.
Mit den Vater und Sohn-Geschichten sind bereits mehrere Generationen an Vätern und Söhnen, Eltern und Kindern groß geworden. Und das wird wohl auch so bleiben.