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PolitikAfrika

ECOWAS-Staatenbund vor Reform oder Untergang

Antonio Cascais
18. April 2024

Putsche, Sanktionen, Austritte: Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft steckt in der Krise. Beobachter fordern tiefgreifende Reformen.

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Nigeria Dringlichkeitssitzung der ECOWAS zum Putsch im Niger
ECOWAS im Krisenmodus: Dringlichkeitssitzung zum Putsch im Niger, Juli 2023Bild: ECOWAS/Handout via Xinhua/picture alliance

"Die ECOWAS wird nur eine Zukunft haben, wenn ihre Mitgliedsländer sich auf den Geist des Panafrikanismus besinnen, sich zusammenraufen und an einem Strang ziehen", sagt Carlos Pereira, politischer Analyst und Aktivist aus Guinea-Bissau, im DW-Interview. Die Zusammenarbeit und Integration der Region sei wichtiger denn je - aber zurzeit praktisch inexistent, fügt Pereira, der seit vielen Jahren die Entwicklung der ECOWAS beobachtet, hinzu.

Lange galt die ECOWAS als institutionell am weitesten entwickelte Regionalorganisation in Afrika. Diesen Ruf hat sie jetzt in den Augen vieler verspielt, denn nach Militärputschen in verschiedenen Ländern ist die Region an der Belastungsgrenze. Der Organisation fehle es an Autorität, Legitimation und effektiven Sanktions- und Interventionsinstrumenten, sagt Pereira. Deutlich sichtbar seien die Probleme hervorgetreten, als die drei Sahel-Länder Mali, Niger und Burkina Faso im Januar 2024 ihren Austritt aus der ECOWAS erklärten. Diese Austritte hätten die Regionalorganisation in eine tiefe Krise gestürzt, fasst der Analyst die Lage zusammen.

Auslöser waren Militärputsche in allen drei betroffenen Staaten, auf die die ECOWAS zunächst konsequent reagierte: Auf eilig einberufenen Gipfeltreffen beschloss man regelmäßig Sanktionen gegen die Putschisten und forderte vehement die Wiedereinsetzung der abgesetzten Machthaber. Diese Linie ließ sich aber nicht durchhalten. Inzwischen gelten die Sanktionen in allen drei Fällen als komplett gescheitert.

Senegal fordert radikale Reformen der ECOWAS

Vor Kurzem ist ein weiterer potenzieller Instabilitätsfaktor für die Region hinzugekommen: Der im März gewählte neue Präsident Senegals, Bassirou Diomaye Faye, der sich bereits im Wahlkampf als "Kandidat des Bruchs mit der Vergangenheit" bezeichnet hatte, äußerte wiederholt Verständnis für die Putschisten-Regime in Mali, Burkina Faso und Niger - und ruft immer lauter nach "radikalen Veränderungen in der ECOWAS".

Für Senegals neuen Präsidenten stehen viele Gewissheiten aus der Vergangenheit längst zur Disposition: So gehört es zu Fayes wichtigsten Wahlversprechen, zu prüfen, ob die Währung der Region - der Franc CFA - abgeschafft werden soll. Der stammt noch aus der französischen Kolonialzeit und ist heute an den Euro gebunden. Faye will außerdem Fischereiverträge mit der EU neu verhandeln und Verträge mit europäischen Firmen, die große Erdgasvorkommen vor Senegals Küsten ausbeuten wollen, einer kritischen Prüfung unterstellen. Möglichst viele ECOWAS-Partner sollten dem Beispiel Senegals folgen, appelliert die Regierung in Dakar.

Senegals neu gewählter Präsident Bassirou Diomaye Faye
ECOWAS- und europakritisch: Senegals neu gewählter Präsident Bassirou Diomaye FayeBild: Zohra Bensemra/REUTERS

Viele politische Beobachter in der Region fragen sich seit Fayes Wahl, ob im Senegal ein Präsident regiert, der die ECOWAS zum Sündenbock für die Fehler der Vergangenheit machen wird, so wie das die Putschisten-Regierungen in Mali, Burkina Faso und Niger tun. Letztere wenden sich nicht nur immer mehr von der ECOWAS und auch vom Westen ab, sondern wenden sich gleichzeitig - vor allem in Sicherheits- und Militärfragen - Russland und China zu.

Wird die ECOWAS Bestand haben?

Angesichts dieser Entwicklungen müsse sich in der ECOWAS vieles ändern, sagt der nigrische Politikanalyst Dicko Abdourahamane im DW-Interview. Wenn nichts unternommen werde, könne dies ihr "systematisches Verschwinden" bedeuten.

Welche Schritte wären jetzt nötig, um das Überleben der ECOWAS langfristig sicherzustellen? Für den Bissau-guineischen Aktivisten Carlos Pereira kann das nur gelingen, wenn die politischen Führer der Region es schaffen, eine neue "panafrikanistische Vision" zu entwickeln.

Übergangspräsidenten von Mali: Assimi Goïta. Niger: Abdourahamane Tiani, von Burkina Faso: Ibrahim Traoré
Übergangspräsidenten von Mali, Niger und Burkina Faso: Assimi Goïta, Abdourahamane Tiani, Ibrahim Traoré (von links)Bild: Francis Kokoroko/REUTERS; ORTN - Télé Sahel/AFP/Getty; Mikhail Metzel/TASS/picture alliance

Eine ähnliche Position vertritt der senegalesische Journalist Hamidou Sagna: "Das Überleben der ECOWAS ist nur möglich, wenn alle beteiligten Länder der Region das Konzept der Demokratie als wichtiger erachten als ihre partikulären wirtschaftlichen Interessen", formuliert er gegenüber der DW. "Nur dann ist es möglich, echte Reformen durchzuführen, sodass die ECOWAS wirklich den Völkern der Mitgliedsstaaten in dieser Region Afrikas dient."

Rückkehr der Putschisten-Regime zur ECOWAS?

Ein schneller Wiedereintritt von Niger, Burkina Faso und Mali in die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft gilt den meisten politischen Beobachtern in der Region als sehr unwahrscheinlich. Die betreffenden Länder hätten sich der Kontrolle der ECOWAS entzogen und hätten sich mit ihrer neuen Rolle arrangiert, beschreibt Analyst Pereira die Lage. Der einzige Weg, diese Länder vielleicht noch zu einem Wiedereintritt in die ECOWAS zu bewegen, sei, alle Sanktionen aufzuheben.

Malischer Mann sitzt vor einem Porträt des russischen Präsidenten Putin während einer Demonstration zur Feier der Ankündigung Frankreichs, französische Truppen aus Mali abzuziehen
Frankreichs Truppenabzug aus Mali war auch ein Sieg für Russland - wie dieses Banner zeigt, mit dem Malier die Ankündigung 2022 feiertenBild: Florent Verges/AFP

Genau diese Strategie verfolgt augenscheinlich Nigerias Präsident Bola Tinubu, der zurzeit den ECOWAS-Vorsitz innehat. Bereits Ende Februar erklärte er, dass die gesperrten Land- und Luftgrenzen zu den sanktionierten Ländern wieder geöffnet werden sollten. Handels- und Finanztransaktionen zwischen den Staaten sollten wieder möglich sein. Nur persönliche und politische Sanktionen sollten bis auf Weiteres weiterbestehen.

Militärdiktaturen kehren ECOWAS den Rücken

Der nigrische Politikanalyst Dicko Abdourahamane bleibt dennoch skeptisch: Die drei Länder unter Militärherrschaft hätten mit ihrer eigenen Organisation namens "Sahel-Staaten-Allianz" (AES) längst Tatsachen geschaffen, die nicht so einfach rückgängig zu machen seien: "Wenn Niger, Burkina Faso und Mali wirklich irgendwann wieder beitreten sollten, wird das höchstwahrscheinlich nur im Rahmen und im Namen der AES geschehen können."

Wenn es darum gehe, die drei Staaten zur Rückkehr zu überreden, könne Senegals neuer Präsident eine Schlüsselrolle übernehmen, sagt Journalist Hamidou Sagna: "Diese drei Sahel-Länder haben die Position von Senegals neuem Präsidenten ihnen gegenüber überaus positiv aufgenommen. Sie haben die große Hoffnung, dass sich Senegal ihren Positionen annähert."

Und tatsächlich gebe es in mehreren Punkten gewisse Übereinstimmungen. Doch auch Sagna rechnet kurz- und mittelfristig nicht damit, dass das Wirtschaftsbündnis wieder zusammenwächst. Damit steht das Fortbestehen der ECOWAS weiter auf dem Spiel.

Mitarbeit: Djariatú Baldé