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Deutschlands "Waldpapst" macht sich Sorgen

8. September 2022

Klimawandel, Trockenheit, Hitze: Dem deutschen Wald geht es schlecht. Peter Wohlleben, der bekannteste Förster Deutschlands, sagt: Für eine Rettung ist es nicht zu spät.

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Förster Peter Wohlleben
"Wo die Natur in Ordnung ist, passiert nichts. Wo nicht, gehen Sachen kaputt" - Förster Peter WohllebenBild: Oliver Pieper/DW

Sein kleiner schwarzer Freund hat schon auf ihn gewartet. Wenn Peter Wohlleben seinen Hauswald in der Eifel betritt, kräht ein Kolkrabe, um Deutschlands bekanntesten Förster pflichtgemäß zu begrüßen. Der 58-Jährige kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und sagt: "Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn höre, das ist ja auch ein Erfolg des Artenschutzes, vor 20 Jahren waren die Kolkraben hier ausgestorben."

Wohlleben kommt ins Schwärmen, fabuliert über die Intelligenz der Tiere, die es mit Menschenaffen aufnehmen könnten, mit ihrer eigenen Sprache, 80 verschiedene Wörter der Kolkraben seien schon entschlüsselt worden. Der Mann, der den deutschen Wald mit seinem Buch "Das geheime Leben der Bäume" ins Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit gebracht hat, ist spürbar in seinem Element.

Seit Wohlleben vor 30 Jahren sein erstes Forstrevier erhielt, ist die Waldrettung zu seiner Lebensaufgabe geworden. Und das wird wegen des Klimawandels von Tag zu Tag schwieriger. Wohllebens Prognose: "Wir sind jetzt in der größten Dürre der letzten 100 Jahre. Ich schätze, dass wir in den nächsten zehn Jahren die Hälfte der Waldfläche in Deutschland verlieren. Die ganzen Nadelplantagen sterben jetzt überall ab."

Zustand des Waldes dramatisch

Deutschlands Waldzustandsbericht, der früher den wohl passenderen Namen Waldschadensbericht trug, zeichnet ein erschütterndes Bild: Die Absterberate ist nochmals gestiegen, vor allem Bäume über 60 Jahre sind betroffen. 380.000 Hektar sind wiederzubewalden, eine Fläche größer als Berlin und das Saarland zusammen. Nur jeder fünfte Baum ist ohne Kronenschaden. Gerade Fichten und Kiefern reagieren besonders empfindlich auf Hitze und Dürre. Der deutsche Wald ist krank - und das hat Gründe.

Infografik Häufigste Bäume im deutschen Wald

"Wenn man Holz ernten möchte, braucht man erst einmal funktionierende Wälder, sonst gibt es für die Forstindustrie selbst in Zukunft kaum noch Arbeitsplätze. Aber wir sind im Moment in Bezug auf den Holzeinschlag auf einem Niveau, welches das höchste der letzten Jahrzehnte ist, als gäbe es kein Morgen. Die Forstindustrie arbeitet da ähnlich wie die Erdölindustrie, nur der Profit der nächsten zehn, 20 Jahre zählt", kritisiert Wohlleben.

Wohlleben will Wald in Ruhe lassen

Es sind kritische Aussagen wie diese, mit denen der prominente Förster viele der 35.000 Beschäftigten in der Forstindustrie auf die Palme bringt, die sich fragen, wie sie dann überleben sollen. Wohllebens Zauberformel lautet dagegen: 20 Prozent des Waldes schützen, 80 Prozent mit heimischen Baumarten bewirtschaften. Und sein Credo: Der Wald kann nur gerettet werden, wenn man ihn in Ruhe lässt. Tschernobyl sei doch das beste Beispiel, 36 Jahren nach der Reaktorkatastrophe sei dort wieder richtige Wildnis entstanden.

"Dort, wo der Laubwald noch selbst machen darf, kühlt er sich im Vergleich zur freien Landschaft um zehn Grad herunter. Der Wald macht es seit 300 Millionen Jahren selber. Forstwirtschaft gibt es dagegen erst seit 300 Jahren, nicht mal ein halbes Baumleben lang. Und die hat bis jetzt noch nie bewiesen, dass sie es besser kann."

Waldakademie als neuer Renner

Peter Wohlleben wird für solche Sätze von seiner immer größer werdenden Fangemeinde gefeiert. Seine Waldakademie boomt, auch Wirtschaftsminister Habeck ist schon mit dem Förster durch den Wald spaziert. Der Tages-Workshop "Wald im Klimawandel" für 98 Euro ist genauso stark nachgefragt wie der Crashkurs Artenbestimmung oder auch die Ausbildung zum Waldführer. Gelder zum Schutz der Wälder und für Wohllebens Urwaldprojekt, bei dem die Käufer 50 Jahre lang die Patenschaft für ein eigenes Schutzgebiet übernehmen.

Förster Peter Wohlleben
"Bei den heimischen Laubwäldern ist die Lage noch entspannt, bei den Nadelbäumen sieht es sehr schlecht aus"Bild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Was Peter Wohlleben Landwirtschaftsminister Cem Özdemir raten würde, um den deutschen Wald zu retten? "Wenn es in einem Revier acht Grad kühler ist als beim Nachbarn, dann sollte der Förster auch dementsprechend mehr Förderung bekommen. Also nicht mehr Fördergelder für Aufforstung oder für Plantagenanlagen, sondern für Kühlung. Als Kompensationszahlung, dass man an den Wald nicht herangeht."

Unpopuläre Maßnahmen gefragt

Christian Ammer gehört zu den größten Kritikern von Wohlleben. Der Forstwissenschaftler und Professor für Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen an der Universität Göttingen hat vor fünf Jahren sogar eine Online-Petition gegen Wohllebens Bestseller gestartet, weil er Fakten mit Mutmaßungen vermische. Was ihn nicht davon abhält, Wohllebens Engagement gleichzeitig zu loben: "Er hat meine Anerkennung, weil er das Thema Wald populär gemacht hat."

Infografik: Wem gehört der Wald?

"We agree to disagree" beschreibt Ammer lakonisch den gemeinsamen Austausch, doch eigentlich sind die beiden gar nicht so weit auseinander, weil sie das gleiche Ziel verbindet: den Kahlschlag in den deutschen Wäldern zu stoppen. Auch Ammer fordert unpopuläre Maßnahmen: "Natürlich wird sich auch die Forstwirtschaft anpassen müssen. Es bleibt dann allerdings die Frage, ob das Weniger an Holz, was da auf den Markt kommt, dann durch energieaufwändigere Produkte, zum Beispiel Stahlbeton, ersetzt wird. Reduzieren wir wirklich unseren Verbrauch oder holen wir uns das Holz aus anderen Ländern, in denen es möglicherweise nicht nachhaltig genutzt wird?" 

Förderung für Förster neu denken?

Deutschland brauche achtmal so viel Wald, um das Co2 zu binden, was jährlich hierzulande ausgestoßen wird, rechnet Ammer vor. Deswegen kann sich auch der Forstwissenschaftler andere Kategorien für die Verteilung der Fördergelder vorstellen: "Wenn jemand das alles natürlicherweise schafft, weil er zum Beispiel die Wildbestände niedrig hält und sich dadurch seltene Baumarten verjüngen können, dann wird er nach dem bisherigen Förderschema nicht honoriert. Bislang wird immer nur eine Ausgabe belohnt. Aber man könnte sich ja auch Konzepte ausdenken, wo der Erfolg bewertet wird."

Christian Ammer  Forstwissenschaftler
Christian Ammer: "Mit gezielten Pflanzungen nachzuhelfen ist nicht verwerflich und geht schneller"Bild: Ausdruckslos.de

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter dem Grünen Cem Özdemir will in den nächsten fünf Jahren 900 Millionen Euro in ein klimaangepasstes Waldmanagement investieren,  Schwerpunkt ist die Anpassung des deutschen Waldes an Hitze und Dürre. Die natürliche Klimaanlage, so wie Özdemir die Wälder nennt, ist immer mehr in Gefahr.

Christian Ammers Fazit: "Dem Wald geht es angesichts des trockenen Jahres genauso schlecht wie befürchtet. Das ist keine Zukunftsversion mehr, das ist Realität. Ohne Verzicht wird es deshalb nicht gehen. Wir müssen unser Mobilitäts- und Konsumverhalten ganz grundsätzlich umstellen, wenn wir das Fortschreiten des Klimawandels aufhalten wollen."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur