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DW-radio im Gespräch mit Kroatiens Vizepräsident Goran Granic zu Kriegsverbrecher-Prozessen in Kroatien

14. Juni 2002

– Granic: Dokumente beweisen, dass 200 000 Serben während der Aktion "Sturm" Kroatien verlassen haben

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Köln, 13.6.2002, DW-radio / Kroatisch

Kroatien sei sehr zufrieden damit, wie sich seine Beziehungen zum Haager Tribunal entwickeln, erklärte der kroatische Vizepräsident Goran Granic in einem Interview mit DW-radio. Bei einem kürzlichen Treffen einer kroatischen Delegation mit der Haager Chef-Änklägerin Carla del Ponte sei vereinbart worden, diejenigen wegen Kriegsverbrechen angeklagten Personen, die sich auf niedriger oder mittlerer Stufe der Befehlskette befunden hätten, in Kroatien vor Gericht zu stellen.

"Es wurde viel darüber spekuliert, ob es uns erlaubt wird oder nicht. Und jetzt stört es keinen, dass wir mögliche Kriegsverbrecher vor Gericht stellen. Wir, das heißt unsere Gerichte, führen derzeit sieben bis acht solcher Prozesse. Kroatien sucht bisher ungefähr 1 500 mutmaßliche Kriegsverbrecher per Steckbrief".

Da aber viele dieser Personen für die kroatischen Behörden unerreichbar sind, wurde nun ein Treffen zwischen der Haager Anwaltschaft und der kroatischen Staatsanwaltschaft vereinbart. In einigen Fällen wurde bereits eine Zusammenarbeit festgemacht.

"Im Fall Lora (Gerichtsverfahren gegen ehemalige Angehörige der kroatischen Militärpolizei, die angeklagt sind, im Jahre 1992 im Militärgefängnis des Kriegshafens Lora, bei Split, Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen zu haben – MD) haben wir von vorne herein eine Zusammenarbeit vereinbart, da wir meinen, dass im Bereich der Beweise Unterstützung von Seiten der Haager Anwaltschaft für unsere Prozesse hilfreich sein kann. Dies gilt unserer Meinung nach auch für die anderen Fälle in Kroatien, die bereits verhandelt werden oder sich in Vorbereitung befinden beziehungsweise für die Personen, an die wir noch nicht herangekommen sind".

Die Aussage von Ivica Pasalic, innenpolitischer Berater des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman, dass Kroatien während des Krieges seine Streitkräfte nach Bosnien-Herzegowina geschickt habe, hat im offiziellen Sarajevo bereits negative Reaktionen hervorgerufen. Vizepräsident Granic hält dies für unstrittig.

"Das ist richtig in dem Sinne, dass es keine Entscheidung irgendeines verantwortlichen Organs gibt, das als einziges diese Entscheidung hätten fällen können. Natürlich ist die kroatische Armee auf verschiedene Weise vor Ort gewesen. Zum Teil als Verteidigerin ihres Territoriums und zum Teil wegen bestehender Verträge. Ich glaube, dass die wichtigste Beteiligung der kroatischen Armee auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas nach der Befreiungsaktion, dass heißt nach der Aktion 'Oluja' (dt. 'Sturm' – MD), stattgefunden hat, als gerade die Aktivitäten der kroatischen Armee und der Sieg über die Armee der Republika Srpska dazu beigetragen haben, die Voraussetzungen für das Friedensabkommen von Dayton zu schaffen."

Bereits vor zehn Tagen hatte Granic erklärt, dass vor und während der Aktion "Oluja" 200 000 Serben Kroatien verlassen hätten. Dies, so Granic, sei durch Dokumente der Behörden der Krajina bewiesen:

"Das zeigen die Dokumente - nicht Kroatien oder die kroatische Propaganda oder kroatische Organe - sondern Dokumente, die über Vorbereitungen, Handlungen, Entscheidungen etwas aussagen. Nun ist es wichtig, zu betonen - der Exodus kroatischer Bürger serbischer Nationalität ist kein provoziertes Verbrechen gewesen. Aber kroatische Bürger, Kroaten, wahrscheinlich teilweise Mitglieder bestimmter Einheiten, haben nach der Aktion 'Oluja' in bestimmten Fällen Kriegsverbrechen begangen und dafür müssen sie sich verantworten."

Vizepräsident Granic betonte, dass die heutige kroatische Regierung sich für eine Bestrafung aller Fälle, aber auch für eine objektive Bewertung der jüngsten kroatischen Geschichte einsetze. (md)