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DW-Interviews mit den bosnischen Präsidentschaftskandidaten Sulejman Tihic und Alija Behmen

18. September 2002

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Köln, den 16.9.2002, DW-radio / Bosnisch

Der Wahlkampf in Bosnien-Herzegowina ist weiter in vollem Gange. Es scheint aber, dass nicht eine Partei ein Programm anzubieten hat, das dem Land den Weg aus seiner schweren wirtschaftlichen Krise weisen kann. Sulejman Tihic, der Vorsitzende der Partei für Demokratische Aktion, SDA, die lange an der Regierung war, wird bei den kommenden Wahlen als Kandidat für die (dreiköpfige) Präsidentschaft antreten. Über die Wahlaktivitäten der SDA sagte Tihic, unmittelbar vor Beginn unserer Sendung gegenüber unserem Kollegen Nihad Penava:

S. Tihic:

Der Wahlkampf der SDA befindet sich seit den letzten zwei Monaten in seiner Hochphase. Jeden Tag führen wir mindestens 50 Wahlveranstaltungen in ganz Bosnien-Herzegowina durch, an Wochenenden sogar 100.

Frage:

In der Zeit ihres letzten Mandates ist sehr viel Geld verschwunden, erwarten Sie, dass die Wähler dies in Ihrer Entscheidung berücksichtigen?

Antwort:

Jetzt sind die Partei für Bosnien-Herzegowina und die Sozialdemokraten an der Regierung, und gerade während ihres Mandats ist sehr viel Geld durch Korruption, Kriminalität usw. verschwunden. Viele dieser Gelder gingen an ausländische Firmen. Während wir es in unserer Regierungszeit geschafft haben, fünf Geberkonferenzen zu organisieren, gab es in der letzten Regierungsperiode keine einzige. Sie haben es nicht geschafft, westliche Gelder zu mobilisieren. Sie haben hingegen die Staatsschulden um weitere 400 Millionen Konvertible Mark erhöht und die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur islamischen Welt abgebrochen.

Frage:

Falls Sie die Wahlen gewinnen, was können die Wähler erwarten?

Antwort:

Wir halten es für sehr wichtig, wirtschaftliche Reformen durchzusetzen. Wir möchten auch eine Wiederaufbaukonferenz für Bosnien-Herzegowina organisieren, an der sowohl die EU und die Weltbank teilnehmen, aber auch die Staaten im Osten, also die islamischen Länder. Des Weiteren möchten wir die Privatisierung weiter vorantreiben, Arbeitsstellen schaffen und so weiter. Wir glauben, dass wir in der Lage sind, dieses auch umzusetzen und so eine Wiederaufbaukonferenz zu organisieren.

Frage:

Nach den letzten Wahlen war es so, dass die Parteien viele gute Pläne vorgelegt haben, sich aber nach den Wahlen nichts geändert hat. Wird es dieses Mal auch wieder so sein?

Antwort:

Die Wähler müssen das selbst einschätzen. In den vergangenen zwei Jahren war die Allianz für Veränderung an der Regierung, und wie wir sagen, die Allianz für nicht gehaltene Versprechen. In der Zeit, als wir an der Regierung waren, gab es bestimmte Ergebnisse. Von der Anerkennung des Staates Bosnien-Herzegowina, über die Annerkennung der bosniakischen Nation und Sprache. Natürlich gab es auch Fehler, aber die Wähler müssen das einschätzen. Wir glauben, dass wir die besten personellen Potentiale haben und dass [die SDA] der gesündeste Teil der bosnischen Politik ist. Die Sozialdemokraten haben sich nie von einer kommunistischen Partei in eine moderne sozialdemokratische Partei umgewandelt. Die Partei für Bosnien und Herzegowina ist zusammengesetzt aus unzufriedenen Teilen der SDP, der SDA usw., und so hat sie keine klaren Ziele.

Frage:

Was sind die Kernziele Ihrer Partei?

Antwort:

Wir haben fünfzig Punkte aufgestellt. Angefangen von Verfassungsänderungen, darunter auch die Umbenennung der Republika Srpska, über die Versöhnung zwischen den Völkern und wirtschaftliche Reformen. Wir glauben, dass es in der Land- und Forstwirtschaft große Beschäftigungspotentiale gibt, die nicht genutzt werden. Die Entwicklung der Dörfer ist für uns ein besonders wichtiges Ziel. Ebenso wie die Nutzung unserer Ressourcen, die Versorgung der Kriegsinvaliden und Veteranen. Wir beabsichtigen, in jedem Jahr 30 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir hoffen, die Arbeitslosigkeit von derzeit 50 auf 20 Prozent zu reduzieren. Was die Renten betrifft, möchten wir, dass sie dem Wachstum der Löhne angepasst werden. Innerhalb von vier Jahren möchten wir die Renten um 50 Prozent erhöhen. Unser Wahlprogramm fordert auch die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge. Auf jeder Regierungsebene möchten wir mindestens fünf Prozent der Mittel für die Rückkehr einsetzen. Auch die Wohnraumfrage ist besonders wichtig, und wir möchten ein Wohnraumförderungsprogramm mit Krediten beginnen. Das Bildungssystem ist ein weiterer wichtiger Punkt, und natürlich die euro-atlantische Integration von Bosnien-Herzegowina. Dafür muss die internationale Gemeinschaft der Republika Srpska ein Paket vorlegen, was sie akzeptieren kann, und welches den Weg ebnet zur Aufnahme in das NATO-Programm Partnerschaft für den Frieden und in die EU.

Am Telefon haben wir nun den Premierminister der Föderation Bosnien-Herzegowina Alija Behmen, einen Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei für einen Sitz in der Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina.

Frage:

Herr Behmen, halten Sie die Pläne, die Herr Tihic geschildert hat, für realistisch und durchführbar?

Antwort:

Nein, sicherlich sind sie nicht realistisch und durchführbar, weil sich das bereits in der Vergangenheit gezeigt hat. Wir müssen vor allem den Parallelismus [das Nebeneinander-Bestehen identischer Institutionen, die ethnischen Gemeinschaften zugeordnet werden] in der Regierung und den Institutionen der Regierung überwinden. Wir müssen Verfassungen verabschieden, die die SDA und die HDZ blockiert haben, und zwar sowohl in der Föderation als auch in der Republika Srpska. Wir müssen eine totale und radikale Reform und eine Stabilität der Steuerpolitik umsetzen, unter Berücksichtigung aller Schulden, die uns die letzte Regierung hinterlassen hat. Wir müssen die Nachhaltigkeit des Haushalts garantieren. Wir müssen die Arbeitslosen und Rentenfonds stabilisieren. Wir brauchen Fortschritte in der Sozialpolitik. Wir haben es geschafft, für 10 000 ehemalige Soldaten Abfindungen in Höhe von jeweils 10 000 Mark zu zahlen usw. Die Geheimdienste waren ethnisch getrennt, und ich glaube wirklich, dass keiner in eine Partei Vertrauen haben kann, die praktisch Bosnien-Herzegowina in zwei Hälften teilt, und zwar sowohl politisch als auch institutionell. Niemand wird glauben, dass die SDA und HDZ eine Stärkung der Organe und Institutionen von Bosnien-Herzegowina wollen. Auch von ihrer bisherigen Arbeit her betrachtet, wird es ihnen niemand abnehmen, dass sie eine schnellere Integration in die EU wollen.

Frage:

Was halten Sie von der Idee, eine Wiederaufbaukonferenz unter Einbeziehung arabischer Staaten ins Leben zu rufen?

Antwort:

Wissen Sie, alle bisherigen Geberkonferenzen sind schon vorbei. Außer Infrastruktur haben diese wenig sichtbare Spuren hinterlassen. Ich glaube, dass es hier noch viel Arbeit gibt, und auch in Zukunft geben wird. Bosnien-Herzgowina kann sich nicht nur entweder der EU, den USA oder der islamischen Welt zuwenden. Es muss sich mit allen beschäftigen - der islamischen Welt, der EU und allen Arten der euro-atlantischen Integration. Daher ist es nicht vereinbar, wenn wir Europa wollen, aber unsere Finanzierung nur aus einer Region der Welt bestreiten wollen.

Frage:

Was sind die zentralen Elemente Ihrer Politik, und was möchten Sie ändern, wenn Sie gewinnen?

Antwort:

Vor allem möchte ich betonen, dass die Struktur der Staatsorgane von Bosnien-Herzegowina, gegründet auf der heutigen Version der Dayton-Verfassung, den Erfordernissen der Zuständigkeiten in Bosnien-Herzegowina nicht entspricht. Und das ist einer der Gründe, weshalb der Staat nicht in der Lage ist, die eigenen Probleme zu lösen und Beziehungen zu anderen Staaten aufzubauen. Ich werde mich besonders für vier Punkte, die auch im Programm der Sozialdemokratischen Partei sind, einsetzen. Das ist vor allem eine gemeinsame Außenpolitik, die zu einer schnelleren Aufnahme von Bosnien-Herzegowina in die EU führen wird. Des Weiteren eine Rechtsangleichung der Gesetzgebung von Bosnien-Herzegowina mit den Standards der EU. Weiter eine Ermächtigung der Institutionen von Bosnien-Herzegowina, damit sie effizient die Aufgaben übernehmen können, die die Aufnahme in den Europarat Bosnien abverlangt. Vor allem betonen wir die territoriale Integrität und Gesamtheit des Staates. Sie sehen, dass jeden Tag bestimmte Kreise in dieser Region sich zu Wort melden, die glauben, dass Bosnien-Herzegowina ein geteiltes Land ist. Wir haben jetzt auch den Grenzdienst von Bosnien-Herzegowina vollständig im Einsatz, der nun jeden Zentimeter der Grenze kontrolliert. Das Zweite ist die Erneuerung gemeinsamer Institutionen. Wir brauchen ein gemeinsames Verteidigungs- und Sicherheitssystem. Das ist in der Tat eine Voraussetzung für die Aufnahme von Bosnien-Herzegowina in das Partnerschaft für den Frieden-Programm und andere europäische Institutionen. Die Integration der Armeen und die Annahme von NATO-Standards ist ebenso eine wichtige Aufgabe, genauso wie die Reduzierung der Streitkräfte auf 15 000 Soldaten, aber damit wird die Verteidigungsstabilität des Landes nicht gefährdet. Weiter haben wir im Programm die schnelle Umsetzung der Verfassungsgebung für Bosnien-Herzegowina, für die Föderation von Bosnien-Herzegowina und für die Republika Srpska. Diese Änderungen wurden vom Bosnien-Beauftragten der internationalen Gemeinschaft durchgesetzt und sie werden die politische Situation von Bosnien-Herzegowina grundlegend ändern, ebenso wie die Lage der Kroaten und Muslime in der Republika Srpska und der Serben in der Föderation. Dadurch schaffen wir die Bedingungen für multiethnische Entitäten. Dann wird es keine Elemente einer [ethnisch-nationalen] Staatlichkeit mehr geben. Das geht einher mit der Stärkung individueller Freiheiten und Rechte. Und ein gemeinsamer Wirtschaftsraum beinhaltet Steuer- und Zollverwaltungen auf der Staatsebene und eine Stärkung der Informationsdienste, was den Kampf gegen die organisierte Kriminalität verstärken wird. (Behmen-Interview: Belma Fazlagic-Sestic) (md)