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Filmklassiker "Eine Komödie im Mai"

Jochen Kürten4. Oktober 2015

Das Umbruchjahr 1968 aus der Perspektive der Provinz: Louis Malles sanfte Gesellschaftsstudie "Eine Komödie im Mai" ist ein wunderbarer Film über Menschen zwischen Hoffen und Habgier. Er sagt uns auch heute noch viel.

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Eine Komödie im Mai (Filmszene) (Foto: Studiocanal)
Bild: Studiocanal

Gedreht hat Louis Malle "Eine Komödie im Mai" 1990. Die Handlung blickt zurück in das Jahr 1968. Sieht man den Film heute wieder, ein Vierteljahrhundert später, erscheint er taufrisch, kaum gealtert und vielleicht noch besser als zur Zeit seiner Uraufführung. In Frankreich wurde "Eine Komödie im Mai" nach seiner Premiere damals von der linken Kritik zerrissen. Die Tageszeitung "Liberation" warf dem Regisseur vor, er habe einen rückwärtsgewandten Film gedreht, ein "reaktionäres Machwerk".

Wie konnte das passieren: den Regisseur Louis Malle, einer der Lieblinge des französischen Kinos, der zuvor das hochgelobte, bewegende Holocaustdrama "Auf Wiedersehen Kinder" inszeniert hatte, als "Reaktionär" zu brandmarken?

Ein Frankreich wie aus dem Bilderbuch…

Malle erzählt in "Eine Komödie im Mai" von Milou (Michel Piccoli), dessen Mutter gestorben ist, und der seine Familie nun zum Begräbnis der alten Dame zusammentrommelt. Milou wohnt im alten Familienwohnsitz im Südwesten Frankreichs, in einem schönen Herrenhaus. Ein wenig Land mit Obstbäumen und Forellenteichen gehört auch zum Besitz. Es ist ein Frankreich wie aus dem Bilderbuch: romantisch und provinziell, wunderschön und ein wenig rückwärtsgewandt.

Eine Komödie im Mai von Louis Malle Filmstill mit diversen Darstellen (Foto: picture-alliance/dpa/United Archives/IFTN")
Frühling auf dem Lande: "Eine Komödie im Mai"Bild: picture-alliance/dpa/United Archives/IFTN

Milou bekommt nun Besuch: von seiner bourgeoisen Tochter, dem als Journalist in London arbeitenden Bruder und dessen englischer Frau, von Neffen und Enkeln, von einigen anderen mehr. Der Notar der Familie stößt zur Runde um die Erbschaft zu regeln, ein Fernfahrer aus Paris hält sich ebenfalls für einige Tage auf Milous Anwesen auf. Da das ganze im Mai 1968 spielt und im Hintergrund im Radio die Nachrichten laufen, bekommen die einzelnen Familienmitglieder mit, was in Paris vor sich geht.

Der Umbruch von 1968 - aus der Provinz betrachtet

Paris, im Mai '68, das ist die Zeit der Studentenproteste, in der Frankreichs Präsident de Gaulle um die Macht im Staate ringt, eine Zeit der Unruhe, der Anarchie, einer in der Luft liegenden Revolution. Aber auch eine Zeit, in der die freie Liebe praktiziert wird, Drogen konsumiert werden, in der über ein neues Leben philosophiert wird und sich Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den Köpfen vieler junger Menschen breit macht.

Lous Malle Produzent Regisseur Frankreich Porträt (Foto: picture-alliance/dpa/KPA Copyright)
Louis MalleBild: picture-alliance/dpa/KPA Copyright

Louis Malle spiegelt diese Umbruchzeit in seinem Film nur indirekt wider. Er zeigt Menschen fernab der Metropole, die sich kaum ausmalen können, was da geschieht im fernen Paris. Doch irgendwie spüren Milou und die anderen, dass die Proteste auch sie betreffen könnten, vor allem, als der Nachrichtensprecher meldet, Präsident de Gaulle habe seinen Amtssitz verlassen. Zwei Tage weiß kaum einer, wo sich das Staatsoberhaupt aufhält. Da gerät die Gruppe in Panik und flieht in die Wälder. Die Kommunisten stehen vor der Tür, raunt man sich zu und versucht sich in Sicherheit zu bringen.

Die Bourgeoisie und die jungen Revolutionäre

Im französischen Original heißt Malles Film "Milou en mai", in Deutschland lief er unter dem Titel "Eine Komödie im Mai". Eine sanft-spöttische Komödie hat der Regisseur hier auch vorgelegt. Liebevoll macht er sich lustig über beide Seiten: die Bourgeoisie, wie sie in dieser Form wohl nur in Frankreich überlebt hat, aber auch über diejenigen, die glauben, nun sei eine völlig neue, bessere Zeit angebrochen.

Eine Komödie im Mai (Filmszene) (Foto: Studiocanal)
Ein Philosoph im Forellenteich: Michel Piccoli in "Eine Komödie im Mai"Bild: Studiocanal

Louis Malle, der aus großbürgerlichem Hause kam, hat sich später selbst zum engagierten Linken gewandelt, hatte zum Beispiel zusammen mit seinen Regiekollegen Jean-Luc Godard und François Truffaut dafür gesorgt, dass das Filmfestival in Cannes 1968 abgebrochen wurde - aus Protest gegen Vietnam und reaktionäre Tendenzen in Frankreich. Doch Malle war kein Dogmatiker, eher ein stiller Beobachter, einer der sich Gedanken machte über den Lauf der Welt.

Ein skeptischer Blick zurück auf das Jahr '68

Das merkt man einem Film wie "Eine Komödie im Mai" an: Revolution und Anarchie werden hier auf profane menschliche Aspekte runter gebrochen. Der Publizist Stephan Hollensteiner schrieb nach der deutschen Premiere: Der Film entzieht sich "wegen seiner komödiantischen Struktur und seines ironisch-distanzierten, humoresken Grundtons einer wirklichen Aufarbeitung der Ereignisse jenes Mai '68: Malles Sujet scheint vielmehr die zeitlose Furcht vor revolutionärer Veränderung zu sein, die Angst des Menschen vor der eigenen Courage."

Eine Komödie im Mai (DVD-Cover) (Foto: Studiocanal)
Bild: Studiocanal

Der Regisseur selbst merkte später an: "Wir glaubten doch alle, nun breche ein neues Zeitalter an - er hat ja nicht lange gedauert, dieser Traum." Eben jene skeptische Grundhaltung Malles gegenüber allen idealistisch geprägten Blicken auf revolutionäre Veränderungen war der (linken) Presse in Frankreich ein Dorn im Auge und Grund genug "Eine Komödie im Mai" als reaktionäres Machwerk einzuordnen.

Malles humaner Blick auf die menschliche Psyche

Heute ist man schlauer. Malle war seiner Zeit voraus. Und vor allem war er ein großer Menschenkenner. Dieses Wissen über die menschliche Psyche ist in seine Komödie eingeflossen. Nicht die großen Spruchbänder der Revolution sind sein Thema, sondern die nur scheinbar unwichtigen Nebensächlichkeiten des menschlichen Lebens. Das macht seinen Film auch heute noch so groß.

Louis Malle: Eine Komödie im Mai, Frankreich/Italien 1990, 97 Minuten, auf DVD beim Anbieter Studiocanal erschienen.