Droht ein Krieg zwischen Äthiopien und Ägypten?
13. September 2024Parallel zum Wasserspiegel am Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) im Nordwesten Äthiopiens steigen in diesen Tagen auch die Spannungen mit dem flussabwärts gelegenen Ägypten.
Mit einer Staumauer höher als die Pyramiden von Gizeh staut Äthiopien das Wasser des Blauen Nil; der Stausee wird in diesem Jahr wohl seinen vollständigen Füllstand erreichen. Ägypten fürchtet, das flussaufwärts gelegene Land könnte die Durchleitung als Druckmittel in Trockenzeiten einsetzen. Doch der geopolitische Streit zwischen den beiden neuen BRICS-Mitgliedsländern geht inzwischen weit über das Nilwasser hinaus.
Kairo steht dem Vier-Milliarden-Dollar-Projekt bereits seit dem Baubeginn 2011 kritisch gegenüber. "Ägypten ist stark vom Süßwasser des Nils abhängig", sagt Timothy E. Kaldas zur DW. Er ist Vizedirektor des Tahrir-Instituts für Nahostpolitik in Washington. "Aber bisher ist es Ägypten nicht gelungen, Äthiopien zu irgendeiner verbindlichen Regelung zu bewegen, die Ägypten Garantien für seine Wasserressourcen einräumt, die ein nationales Sicherheitsinteresse sind."
Der Pegel steigt - die Spannungen auch
Äthiopien nutzt auch in diesem Jahr die Regenzeit zur Füllung des Reservoirs. Weil dieser Schritt nicht abgesprochen war, rief Ägypten Anfang September den UN-Sicherheitsrat an. Aus äthiopischer Sicht sei diese Beschwerde kaum verständlich, meint Susanne Stollreiter. Sie leitet das Äthiopien-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nahe steht. Äthiopien beschwichtige, der Staudamm sei bereits so gut wie gefüllt. "Man hat ihn immer zur Regenzeit gefüllt und hat damit vermieden, dass die unteren, also die Nilanrainerstaaten unterhalb des Staudamms extrem in Mitleidenschaft gezogen werden durch zu geringe Wassermengen", sagt Stollreiter im DW-Gespräch. Die Befüllung sei dank überdurchschnittlicher Regenmengen sogar schneller verlaufen als erwartet.
Der Staudamm gilt in Äthiopien als Prestigeprojekt. Allerdings hat der Enthusiasmus der Bevölkerung nachgelassen, da rund die Hälfte der Bevölkerung weiterhin auf Zugang zum Stromnetz wartet. Vielmehr intensiviert der staatliche Betreiber den Export von Strom ins Ausland - in diesem Monat könnte Äthiopien erstmals Strom über Kenia nach Tansania liefern. Seit Ende August sind vier Turbinen mit einer Gesamtleistung von 1550 Megawatt am Netz; am Ende sollen es 13 Generatoren werden.
Ägyptens neues Interesse an Somalia
Doch der Staudamm ist nicht der einzige Konfliktpunkt: Geopolitisch sensibel sind ein Sicherheitsabkommen und gemeinsame Militärübungen, die Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und sein somalischer Amtskollegen Hassan Sheikh Mohamud im August vereinbart hatten. "Ägyptens Entscheidung, Somalia mit Waffen zu beliefern und sich auch an der nächsten Friedensmission der Afrikanischen Union dort zu beteiligen, hat das Ziel, einen weiteren Nachbarn Äthiopiens zum Partner zu gewinnen", sagt Tahrir-Vizedirektor Kaldas. Ende August landeten zwei ägyptische Transportflugzeuge mit Rüstungsgütern in Mogadischu. Kurz zuvor gab die AU bekannt, dass sich an der neuen Somalia-Mission AUSSOM erstmals auch Ägypten beteiligen soll.
Entsprechend aufgebracht war die Reaktion aus Äthiopien: Premier Abiy Ahmed erklärte, sein Land werde "mit niemandem über Äthiopiens Souveränität und Würde verhandeln". Man werde "jeden demütigen, der uns zu bedrohen wagt".
"Der GERD-Damm ist sicherlich die tieferliegende Motivation Ägyptens, eine stärkere Präsenz am Horn von Afrika zu zeigen in Anbetracht der geopolitischen Rivalität mit Äthiopien", sagt Hager Ali vom Hamburger GIGA-Institut zur DW.
Äthiopien will Zugang zum Roten Meer
Denn Äthiopien verfolgt eigene Interessen am Horn von Afrika: Ministerpräsident Abiy Ahmed spricht seit Längerem vom Wunsch nach einem eigenen Zugang zu den Weltmeeren - den hatte Äthiopien mit der Abspaltung Eritreas 1993 verloren. Anfang 2024 kam Abiy seinem Ziel bedeutend näher: Er vereinbarte mit der somalischen Provinz Somaliland Zugang zum Tiefseehafen von Berbera; im Gegenzug würde Äthiopien die Unabhängigkeit des de-facto-Staats anerkennen. Erwartungsgemäß provozierte die Absichtserklärung einen Konflikt mit der somalischen Zentralregierung in Mogadischu. Für die war Äthiopien bislang ein wichtiger Partner: Addis Abeba hat bis zu 10.000 Soldaten in Somalia stationiert; teils aufgrund bilateraler Abkommen, teils im Rahmen der UN-gestützten Stabilisierungsmission der Afrikanischen Union.
Seit Januar hat man von den Hafen-Plänen wenig gehört, doch FES-Expertin Stollreiter glaubt, dass Äthiopien lautlos weiter daran arbeite, um "Somalia nicht nochmal aufs Extremste herauszufordern, sondern einfach durch die normative Kraft des Faktischen weiter vorzugehen und zu hoffen, dass das dann einfach anerkannt wird".
Eskalation mit Ansage
Doch genau das könnte Somalia wohl kaum akzeptieren. Aus Sicht der Sicherheitsanalystin Samira Gaid, die in der Vergangenheit auch die somalische Regierung beraten hatte, operiert Mogadischu mit zwei Botschaften: "Einerseits wird Äthiopien vor die Wahl gestellt: Es zieht die Absichtserklärung zurück oder seine Truppen sind in Somalia nicht mehr willkommen. Andererseits richtet man sich näher an Ägypten aus, sowohl in bilateralen Verbindungen als auch durch die neue AU-Mission." Die jüngste Eskalation komme also nicht überraschend, sagt Gaid im DW-Gespräch.
Obwohl die aggressive Rhetorik von Premier Abiy andere Schlüsse zulässt, glaubt Stollreiter nicht, dass Äthiopien den Konflikt weiter eskalieren will: "Ägypten ist afrikaweit die stärkste Militärmacht. Das ist auch Abiy bewusst. Abiy hat sehr, sehr viele Konflikte im eigenen Land zu bewältigen. Ich glaube, er kann kein Interesse haben, da jetzt eine militärische Auseinandersetzung mit Ägypten zu suchen."
Dschibuti macht ein weitreichendes Angebot
Einen möglichen Friedenszweig hat Äthiopiens kleinster Nachbar Dschibuti angeboten, der sicher auch kein Interesse an einer Eskalation am Roten Meer hätte. Schon heute Äthiopiens Tor zur Welt, hat Dschibuti Äthiopien ein weitreichendes Angebot unterbreitet: Beide Länder würden den 2017 eröffneten Hafen von Tadjoura gleichberechtigt verwalten.
"Das hat vielleicht auch noch ein bisschen zu Überlegungen auf äthiopischer Seite geführt, inwiefern man das jetzt in Hinsicht auf Somaliland weiter eskalieren soll mit Somalia", meint FES-Äthiopien-Expertin Susanne Stollreiter. "Zumal sich durch die Stationierung ägyptischer Truppen eine neue sicherheitspolitische Gemengelage ergeben hat."
Kann die Türkei vermitteln?
Als Vermittler stünde weiterhin die Türkei bereit, die über den Gaza-Krieg ihr Verhältnis zu Ägypten verbessert und im August bereits zwischen Somalia und Äthiopien zu schlichten versucht hatte. Für Äthiopien ist Ankara als Lieferant von Kampfdrohnen wichtig, und auch Mogadischu sieht eine wichtige Voraussetzung für eine mögliche Vermittlerrolle der Türkei erfüllt, meint Enis Erdem Aydin, Direktor der Londoner Sicherheitsberatungsfirma RDM Advisory: "Die Türkei erkennt Somalias Integrität an und scheint die Bedürfnisse beider Länder zu berücksichtigen", sagt Aydin zur DW. Dazu komme, dass auch Somalia einen Seezugang für Äthiopien nicht per se ablehne.
Sicheres Nilwasser für Ägypten, Seezugang für Äthiopien - diese beiden Faktoren sind also gerade eng mit der Lage in Somalia verknüpft.
Mitarbeit: Eddy Micah Jr.