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Politik

Dominic Raab und die Johnson-Nachfolge

Barbara Wesel
7. April 2020

Der kranke Premier Boris Johnson hat Außenminister Dominic Raab zu seinem Stellvertreter ernannt. Aber Großbritannien kennt keine langfristige Regelung für diesen Fall - es droht ein politisches Vakuum.

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Dominic Raab
Manchmal hölzern: Der britische Außenminister Dominic Raab im Sommer 2019Bild: picture-alliance/empics/V. Jones

Der britische Außenminister Dominic Raab wirkte wie das schockstarre Kaninchen im Scheinwerferlicht, als er am Montag Fragen von Journalisten zu Boris Johnsons Gesundheitszustand beantworten musste. Erst hatte der designierte Stellvertreter versichert, der Premierminister sei guter Stimmung und würde an Akten arbeiten. Ein paar Stunden später dann musste er einräumen, Johnson sei auf die Intensivstation verlegt worden. Und als er schließlich versicherte, in der Downing Street gebe es zu seiner Unterstützung einen "außerordentlich starken Teamgeist", wirkte das eher wie Ironie: Überall erscheinen derzeit Berichte über die bitteren Machtkämpfe innerhalb der Regierung.

Dominic Raab erscheint in seiner neuen Rolle kaum als der geschmeidige Diplomat, der er von Amts wegen sein müsste. So brachte ihn die Frage, wann er denn zuletzt mit dem kranken Premier gesprochen habe, ziemlich aus der Fassung. Schließlich musste er zugeben, das sei zwei Tage her, was mitten in der Corona-Krise nicht gerade das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Regierung erhöht. Einem politischen Profi wäre das nicht passiert.

Dominic Raab: Nicht charismatisch, nicht flexibel

Dem Juristen Raab fehlt eine Fähigkeit, die Boris Johnson im Übermaß besitzt: Ein Publikum für sich einzunehmen und zu überzeugen. Der Stellvertreter wirkt hölzern und eher unflexibel. Das wurde auch in den wenigen Monaten deutlich, die er der damaligen Premierministerin Theresa May im vergangenen Jahr als Brexit-Minister diente. EU-Unterhändler Michel Barnier ließ sich dabei ertappen, wie er über den dogmatischen, starrsinnigen Briten herzog. Raab warf bald das Handtuch, weil nach seinen Maßstäben May der EU gegenüber zu kompromissbereit auftrat.

Großbritannien London | Coronavirus | Boris Johnson, Premierminister
Premier Boris Johnson bei einer Fernsehansprache zum "Lockdown" am 23. MärzBild: picture-alliance/empics

Außerdem wollte er die Hände frei haben für den aufziehenden Machtkampf um ihre Nachfolge an der Spitze der konservativen Partei. Dabei allerdings wurde ihm sein Mangel an politischer Begabung schnell zum Verhängnis - er fiel schon nach der ersten Ausscheidungsrunde der parteiinternen Abstimmung raus.

Stark ist Dominic Raab dagegen in seinem Glauben an den Brexit, den er mit fast religiöser Inbrunst vertritt. So schockierte er vor kurzem im Unterhaus nicht nur Abgeordnete der Opposition, als er die Corona-Krise zum idealen Zeitpunkt erklärte, den Brexit bis zum 31. Dezember über die Bühne zu bringen. Eine Verlängerung der Übergangszeit, um der Wirtschaft Zeit zur Erholung zu geben, kommt für Raab nicht infrage.

Wer die Macht hat, ist unklar

Angesichts dieses Stellvertreters ohne Hausmacht wird jetzt gefragt, wie viel Entscheidungsmacht Dominic Raab tatsächlich besitzt. Die Antwort ist unklar, denn im britischen System ist formal kein Stellvertreter des Regierungschefs vorgesehen. Derzeit führt der Außenminister zwar die Kabinettssitzungen und hält Pressekonferenzen ab. Aber könnte er allein über die Aufhebung oder Fortsetzung der Corona-Quarantäne entscheiden? Was über die Alltagsgeschäfte hinausgeht, müsste er wohl im Kabinett abstimmen.

England | Coronavirus | Britischer Premierminister Johnson auf Intensivstation
Das St. Thomas' Hospital in London, auf dessen Intensivstation Premier Boris Johnson liegtBild: AFP/T. Akmen

"Die Regierung und das Kabinett haben Raab eindeutig als ersten unter den Ministern benannt", sagt der frühere Chef der politischen Beamten, Lord Bob Kerslake. Aber das sei vor einiger Zeit geschehen, als noch niemand etwas von einer Corona-Krise ahnte. Will heißen: Niemand hatte erwartet, dass Raab wirklich die Führung übernähme. Und Kerslakes Ex-Kollege Lord Gus O'Donnell präzisiert: "Boris Johnson bleibt Premierminister." Raab führe lediglich die Geschäfte, bis…. - das spricht derzeit im politischen London noch niemand aus.

Tatsächlich könnte die Ministerrunde auch jemand anderen aus den eigenen Reihen zum Stellvertreter des Premiers ernennen. Dazu dürfte es allerdings erst kommen, wenn Boris Johnson noch längere Zeit erkrankt bleibt. Michael Gove, der schon etliche Ministerämter innehatte, scharrt als erfahrenster der Runde schon heftig mit den Füßen. Allerdings hat auch er sich jetzt in selbstgewählte Quarantäne begeben, weil ein Familienmitglied Corona-Symptome zeigt.

Einzige Lösung: Neuwahlen

Die Epidemie schlägt eine Schneise in die britische Regierung und schafft in kritischer Zeit ein Machtvakuum. Jetzt rächt es sich, dass Boris Johnson im vorigen Herbst zwei Dutzend der moderaten Altgedienten aus seiner Partei vertrieben hat. Jetzt fehlen Leute mit Erfahrung wie Ex-Schatzkanzler Philip Hammond, der das Schiff stabilisieren könnte. Stattdessen besteht das Kabinett überwiegend aus Neulingen und Leichtgewichten.

England, London: Boris Johnson hält erste Kabinettssitzung
Boris Johnson und sein Kabinett im Juli 2019Bild: Reuters/A. Chown

Sollte Boris Johnson sich von seiner Krankheit nicht erholen, käme es am Ende zu Neuwahlen. Allerdings erst nach einer Übergangszeit von mehreren Monaten, in der die Konservativen zunächst versuchten, ihre Macht zu festigen. Dennoch dürfte ihnen diese Aussicht den Schweiß auf die Stirn treiben: Taugliche Nachfolger für den Premier sind weit und breit nicht zu sehen. Und die Labour-Opposition formiert sich gerade neu als Partei der linken Mitte.

In einer Situation, in der die Wirtschaft unter den Corona-Folgen ächzt und die Sozialsysteme ausgeblutet sind, in der der Brexit vor der Tür steht und die Personaldecke der Parteien mehr als dünn ist, erscheint die politische Lage in Großbritannien durchaus bedrohlich.