Welthandel Doha
29. Juni 2011Die im November 2001 in der Hauptstadt Katars begonnene Welthandelsrunde hatte ehrgeizige Ziele. Die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO wollten die Märkte für landwirtschaftliche und industrielle Erzeugnisse und für Dienstleistungen weiter öffnen, Regelwerke für geistiges Eigentum, Investitionen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen festigen, Zollverfahren vereinfachen und die Welthandelsregeln mit dem Umweltschutz in Einklang bringen.
Doch seit drei Jahren gibt es praktisch keine Fortschritte mehr. Die Verhandlungskörbe über Investitionen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen wurden still und heimlich begraben, und bei den übrigen Körben hakt es gewaltig zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern auf der einen und Europa und den USA auf der anderen Seite. Grob gesagt, wollen die Entwicklungs- und Schwellenländer eine Marktöffnung für landwirtschaftliche Produkte, während Europa und die USA auf mehr Marktöffnung für Industrieprodukte und Dienstleistungen drängen. Die Positionen sind verhärtet - selbst ein Versuch der G20, noch einmal neuen Schwung in die Runde zu bringen, hat nicht viel gebracht.
Wenig Spielraum
"China und die Vereinigten Staaten treten derzeit auf der Stelle", sagt Klaus Deutsch von Deutsche Bank Research. "Die Chinesen haben im Zuge ihres WTO-Beitritts 2001 schon sehr viele Zugeständnisse gemacht und sehen wenig Spielraum für eine weitere Marktöffnung." Und in den USA verlange vor allem der Kongress weit reichende Zugeständnisse von den Schwellenländern, "ohne selbst viel anbieten zu können".
Viele seiner Kollegen sagen deshalb, die Doha-Runde sei tot. "Mindestens Intensivstation", sagt auch Jürgen Matthes, beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zuständig für internationale Wirtschaftspolitik. In den Sonntagsreden der Politiker freilich lebt die Doha-Runde fröhlich weiter: "Wir sind Meter vor dem Ziel", so Angela Merkel noch im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. "Jeder wird im Zuge des Kompromisses etwas abgeben müssen. Aber es wird sich für alle lohnen."
Kostenloses Konjunkturprogramm
Lohnen würde sich ein erfolgreicher Abschluss der Doha-Runde allemal, sagt Klaus Deutsch von Deutsche Bank Research. Die besten Schätzungen liegen in der Größenordnung von 300 bis 800 Milliarden US-Dollar, die an zusätzlichen Impulsen für den Handel entstehen würden. "Der Weltwirtschaft würde dieser Impuls einen halben Prozentpunkt zusätzliches Wachstum bringen."
Ein kostenloses Konjunkturprogramm also. Und weil das so ist, verlieren viele Staaten die Geduld, lassen Doha Doha sein und setzen auf bilaterale oder regionale Handelsabkommen. Zuletzt hat China ein Abkommen mit den ASEAN-Staaten geschlossen, und auch die EU hat eine Reihe von Verhandlungen begonnen oder neu belebt, unter anderem mit Indien, Singapur, Malaysia, Vietnam, Kanada und der lateinamerikanischen Freihandelszone MERCOSUR. Doch solche Abkommen sind nur die zweite Wahl, sagt DB-Forscher Klaus Deutsch: "Sie machen unglaublich viel Arbeit. Das Abkommen der EU und Südkoreas umfasst 1500 Seiten an eng bedrucktem Rechtstext."
Einzelabkommen keine Alternative
Auch sein Kollege Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft hält bilaterale Abkommen nicht wirklich für eine Alternative zu Doha: "Letztlich schaffen wir damit einen großen Spaghettitopf von sich gegenseitig überschneidenden Regelungen. Ein Dschungel, der gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die im Export tätig sind, nicht mehr durchschaubar ist."
Wenn die Doha-Runde scheitert und an deren Stelle viele kleine bilaterale oder regionale Handelsabkommen treten, drohe eine Erosion des gesamten Welthandelssystems, sagt Jürgen Matthes: "Wenn die WTO die Liberalisierung nicht schafft, ist es fraglich, ob dann ihre zweite wichtige Aufgabe, nämlich das Regelwerk des internationalen Handels zu verwalten, nicht auch allmählich bröckelt und letztlich die Autorität der WTO erodiert."
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Henrik Böhme