documenta-Chefin Schormann legt Amt nieder
16. Juli 2022Erst vor wenigen Tagen hatte documenta-Chefin Sabine Schormann ihr Vorgehen nach dem Antisemitismus-Eklat mit Verweis auf die künstlerische Freiheit noch verteidigt. Sie veröffentlichte dazu eine ausführliche Erklärung auf der Homepage der documenta 15, über die sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth "sehr erstaunt und befremdet" zeigte.
Am Freitagabend kamen schließlich der documenta-Aufsichtsrat und die Gesellschafter zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. An diesem Samstag hieß es dann, man habe sich einvernehmlich geeinigt, den Dienstvertrag mit Sabine Schormann aufzulösen. Es werde zunächst eine Interimsnachfolge angestrebt. Das Gremium um den Vorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und dessen Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), zog damit die Konsequenz aus dem Antisemitismus-Eklat auf der diesjährigen documenta.
Fachteam soll documenta unter die Lupe nehmen
Der Aufsichtsrat äußerte seine "tiefe Betroffenheit" darüber, dass am Eröffnungswochenende der Kunstschau "eindeutig antisemitische Motive" zu sehen gewesen seien. Die Präsentation des Banners "People's Justice" des Künstlerkollektivs Taring Padi sei in "seiner antisemitischen Bildsprache" eine "klare Grenzüberschreitung" gewesen. "Der documenta wurde damit ein erheblicher Schaden zugefügt." Es sei viel Vertrauen verloren gegangen. Dies müsse man nun zurückgewinnen.
Hierbei soll nun auch "eine fachwissenschaftliche Begleitung" aus Wissenschaftlern helfen, deren Fachgebiete Antisemitismus, Postkolonialismus und Kunst sind. Sie sollen sich zum einen "Abläufe, Strukturen und Rezeptionen" der documenta 15 ansehen und Empfehlungen für die Aufarbeitung geben. Zum anderen sollen sie prüfen, ob weitere antisemitische Elemente auf der documenta zu sehen sind.
Claudia Roth und Felix Klein begrüßen Entscheidungen
Kulturstaatsministerin Claudia Roth begrüßte die Trennung von Schormann sowie die Aufsichtsratsbeschlüsse zur Aufarbeitung des Eklats. "Das sind erste wichtige Schritte in Richtung einer notwendigen Neuaufstellung dieses so wichtigen Fixpunktes für die zeitgenössische Kunst weltweit", sagte sie der "Frankfurter Rundschau".
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte Schormanns Rücktritt "überfällig". Nun komme es darauf an, die notwendigen strukturellen Konsequenzen zu ziehen. "Antisemitismus darf in keiner Form im Kulturleben akzeptiert werden, gleichgültig, woher die Kulturschaffenden kommen", so Klein. Der Beschluss des Bundestages zur sogenannten BDS-Bewegung müsse künftig "die verbindliche Richtschnur bei der Verwendung öffentlicher Gelder bei der Kulturförderung sein".
Weiterhin scharfe Kritik von jüdischen Verbänden
Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach ebenfalls von einem überfälligen Schritt, "der viel zu spät kommt". "Die documenta, aber noch viel schlimmer, das Ansehen der Bundesrepublik hat durch das unverantwortliche Handeln immensen Schaden genommen", teilte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, am Sonntag mit. Das Problem mit dieser documenta sei mit dem Rücktritt Schormanns nicht ausgestanden, so Schuster weiter. Zusätzlich müssten Verantwortungsträger nun einen kritischen Blick in alle vom Bund getragenen und geförderten Kultureinrichtungen werfen.
Das American Jewish Committee ist der Meinung, der Aufsichtsrat habe das Problem immer noch nicht begriffen, wenn er von Antisemitismusvorwürfen spreche. "Es geht hier seit Wochen schließlich nicht um 'Vorwürfe', sondern um den Skandal, dass im Zuge der documenta antisemitische Karikaturen im Stürmer-Stil ausgestellt worden sind", sagte Direktor Remko Leemhuis der "Bild"-Zeitung. "Der Stürmer" war ein antisemitisches Hetzblatt, das 1923 in Nürnberg gegründet wurde und fast bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland erschien.
Ruangrupa in Deutschland nicht willkommen?
Das Banner "People's Justice" war nach heftiger Kritik erst verhüllt und dann abgehängt worden. Das Künstlerkollektiv entschuldigte sich öffentlich. Damit hatte die Antisemitismus-Debatte um die documenta 15 aber nur ihren Höhepunkt erreicht. Schon Monate vor Beginn hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.
Schormann hatte dazu in ihrer Erklärung geschrieben, es hätten seit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Januar viele Gespräche stattgefunden - mit den Kuratoren und Künstlern, externen Experten, dem Aufsichtsrat, dem Zentralrat der Juden in Deutschland sowie mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Damals hätten Kuratorinnen und Künstler "Zensur befürchtet und deswegen ein externes Expert*innengremium abgelehnt". Schormann nannte den Vorfall "ungeheuer schmerzlich" und drückte ihr "tiefstes Bedauern" darüber aus, dass das Banner überhaupt installiert wurde. Zugleich betonte sie aber auch die Freiheit der künstlerischen Leitung und sprach von der Sorge des indonesischen Kollektivs Ruangrupa, in Deutschland nicht willkommen zu sein.
Auf Distanz zur documenta
Schormanns Umgang mit dem Eklat wurde in den vergangenen Wochen heftig kritisiert. Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, forderte ihren Rücktritt sowie den des Kasseler Oberbürgermeisters Geselle, des Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH.
Vergangene Woche waren auch Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, und die Künstlerin Hito Steyerl auf Distanz zur documenta-Leitung gegangen. Mendel, der bei der Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats hatte helfen wollen, gab sein Berater-Mandat zurück. Die deutsch-japanische Medienkünstlerin und Autorin Hito Steyerl ließ aus Protest ihre Film-Arbeit aus der Ausstellung entfernen.
Die documenta findet alle fünf Jahre in Kassel statt und gilt neben der Biennale in Venedig als die wichtigste Schau für Gegenwartskunst.
Dieser Artikel wurde am 17.07.2022 um das Zitat des Zentralrats der Juden ergänzt.
bb/jj (dpa, afp, epd, documenta)