Diskriminierung ist Alltag
14. August 2013Eigentlich ist es die Geschichte einer gelungenen Integration: Anya Arslan, Tochter türkischer Einwanderer, hat an der Universität zu Köln studiert, dann eine Promotion in Medien- und Kulturwissenschaften aufgenommen. Doch das Gefühl, wegen ihrer Herkunft nicht gleich behandelt zu werden, hat Anya Arslan schon seit ihrer Schulzeit. "Ich habe bitter gelitten." Ein Vorurteil findet sie besonders schlimm: Wenn Migranten schlechte Deutschkenntnisse unterstellt werden. "Das wirft man immer den Migranten vor, den Deutschen nie." Auslöser dafür kann schon ein vermeintlich fremder Nachname sein oder leichter Akzent.
Anya Arslan hat schon oft versucht, sich gegen solche Benachteiligungen zu wehren. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass konkreten Fällen zwar nachgegangen wird, doch das Wort Diskriminierung selten fällt. "Die Tatsache wird wie Knetmasse behandelt." Schnell ginge es dann um vermeintliche Defizite anstatt um den Diskriminierungsvorwurf. "Die Gegenseite sagt: Nee, stimmt nicht und das war's dann auch."
Alltäglicher Rassismus
Mit ihrem Unbehagen ist Anya Arslan nicht allein. Jeder vierte Schüler oder Studierende mit Migrationshintergrund fühlt sich im deutschen Bildungssystem nicht gleich behandelt. Das geht aus einer am Dienstag (13.08.2013) veröffentlichten Studie der Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes hervor. Auch Behinderte und homosexuelle Schüler klagten über Benachteiligung und Beleidigungen, so die ADS in ihrem Bericht an den Deutschen Bundestag.
Diskriminierung bei Bildung und Arbeit sei in Deutschland noch nie so umfassend untersucht worden, so die Bundesstelle. Christine Lüders, Leiterin der ADS, erläutert: "Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Diskriminierung, es gibt die subtile Diskriminierung, wenn einer immer wieder beleidigt und beleidigend ist." Dabei geht es auch um alltäglichen Rassismus, wie ihn die Berliner Zehntklässlerin Sharonya, deren Eltern aus Sri Lanka stammen, erlebt hat. Sie beschreibt, wie sie auf der Straße gehässig mit "Hallo Schokolade" begrüßt wurde: "Vielleicht war das auch nur Spaß. Doch irgendwo sind Grenzen."
Bildungserfolg abhängig vom Elternhaus
Die neue Studie berichtet auch von struktureller Diskriminierung. Etwa, wenn zwei Grundschüler, einer mit und einer ohne Migrationshintergrund, die gleichen Noten haben, doch nur der Schüler ohne Migrationsgeschichte eine Gymnasialempfehlung bekommt.
Eine Entscheidung, die Grundschullehrer treffen, um ihre Schüler vor Misserfolgen zu schützen, erklärt Lehrerin Beate Müller (Name geändert). "An vielen deutschen Gymnasien sind die Schüler stark auf die Unterstützung der Eltern angewiesen", sagt die 44-jährige Grundschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen, die ihren echten Namen nicht nennen möchte. Manche Migranteneltern könnten ihren Kindern aber nicht helfen, weil sie dafür weder die Schulbildung noch die nötigen Sprachkenntnisse hätten. "An den Gymnasien müsste es deutlich mehr Förderangebote geben, damit auch Kinder aus Migrantenfamilien eine Chance haben."
Beschwerdestellen an jeder Schule?
Die Auswirkungen der Diskriminierung sind fatal: Die Benachteiligung wirke sich negativ auf die Bildungserfolge, die Leistungen und die Motivation der Betroffenen aus. Doch was kann man tun, um mehr Chancengleichheit zu schaffen? Christine Lüders fordert die Ausweitung der Einrichtung von Beschwerdestellen. Bei Unternehmen seien diese Anlaufpunkte für diskriminierte Menschen gesetzlich bereits vorgeschrieben. "Der Bedarf ist da. Wenn die Opfer erstmal das Gefühl haben, sie werden geschützt, dann hilft das auch."
Auch Sanem Kleff, Bundeskoordinatorin des Netzwerks "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage", möchte, dass Schüler aus Migrantenfamilien mehr unterstützt werden. "Es gibt an Schulen schon die Funktion des Vertrauenslehrers. Bevor wir neue Funktionen schaffen, sollten wir sie schulen und unterstützen."
Sanem Kleff unterstreicht: "Es muss ein gesellschaftlicher Wille da sein, Kinder Zugewanderter zu integrieren." Genau den vermisst sie noch in Deutschland. Es ginge darum, Sprachbarrieren von Anfang an zu beseitigen und eine Schule zu schaffen, die kulturelle Vielfalt ganz anders in den Blick nimmt. Dazu gehörten auch Vorbilder wie Lehrer mit Migrationshintergrund.
Klischees abbauen
"Das gleiche gilt fürs Arbeitsleben", sagt Christine Lüders. "Jeder Mensch hat Klischees im Kopf, und da gilt es vorzubauen. Das kann man unter anderem mit anonymisierten Bewerbungsverfahren." In ihrem Berufsalltag hat sie ständig mit ganz konkreten Diskriminierungsfällen zu tun: "Ich rate solchen Menschen, sich unbedingt an eine Beschwerdestelle zu wenden oder an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Unser Bundesadler wirkt schon."
Und Anya Arslan? "Es bringt nichts, wenn man Leuten von oben herab Regeln aufdrückt", betont sie. "In den Menschen muss sich etwas ändern." An der Uni hat sie erlebt, wie wohltuend Solidarität und Verständnis von Kommilitonen sein können. Sie hofft deshalb, dass kommende Generationen mit Chancengleichheit besser umgehen. Doch bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.