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„Diskreditierung des Staates“ wird in Belarus strafbar

15. Dezember 2005

Das Oberhaus des belarussischen Parlaments hat Änderungen des Strafgesetzbuchs zugestimmt: Für die Diskreditierung des Staates drohen Freiheitsstrafen. Oppositionelle und Menschenrechtler sind alarmiert.

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Offene Kritik ist nicht mehr möglichBild: AP

Die vom Republikrat gebilligten Änderungen zum Strafgesetzbuch sehen für die Diskreditierung des Staates, die Tätigkeit für nicht zugelassene oder aufgelöste Organisationen und Stiftungen sowie für Aufrufe an ausländische Staaten, Maßnahmen zu ergreifen, die der Sicherheit des belarussischen Staates schaden, Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren vor.

Der belarussische Innenminister, General Wladimir Naumow, erklärte in einem Interfax-Interview, die Gesetzesänderungen seien notwendig, um die Lage im Land noch besser stabilisieren zu können. Er betonte ferner, in letzter Zeit würden im Internet immer häufiger bewusst falsche Informationen verbreitet, mit dem Ziel, den Staat zu diskreditieren. Dank der Änderung des Strafgesetzbuches könne die Miliz sich der Personen annehmen, die solche Informationen verbreiteten.

Opposition erwartet Schauprozesse

Aber nicht alle bewerten den Gesetzentwurf so positiv wie General Naumow. Der Führer der belarussischen Vereinigten Bürgerpartei, Anatolij Lebedko, sagte in diesem Zusammenhang der Deutschen Welle: „Die Änderungen sind absurd, sie überschreiten nicht nur den Rahmen der Verfassung, sondern auch den des gesunden Menschenverstands. Man muss jetzt damit rechnen, dass wahrscheinlich schon Anfang des Jahres mehrere Schauprozesse gemäß der geänderten Artikel der geltenden Gesetzgebung stattfinden werden.“

Schlag gegen die Medien

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen äußerte inzwischen die Befürchtung, dass die Änderung des Strafgesetzbuches ein Schlag gegen die Medien sein wird. In einer Erklärung der Menschenrechtsorganisation heißt es, unklare Formulierungen im Gesetzentwurf würden für jegliche Kritik strafrechtliche Ermittlungen sowie unverhältnismäßige Gerichtsurteile ermöglichen.

Der Fall Marija Bogdanowitsch

Der Staatsanwaltschaft in der Stadt Gomel wurde der Fall Marija Bogdanowitsch übergeben. Ihr wird vorgeworfen, illegal Druckerzeugnisse hergestellt und verbreitet zu haben. Am 7. November, während der Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags der Oktoberrevolution, war Bogdanowitsch auf dem Lenin-Platz in Gomel festgenommen worden. Dort hatte sie die offiziell registrierte Zeitung Towarischtsch verteilt, die von der Kommunistischen Partei herausgegeben wird. Der Zeitung war ein Flugblatt beigelegt, auf dem die Tarife für die kommunalen Dienstleistungen der Jahre 2001 und 2004 verglichen wurden. Bei der Festnahme wurde Bogdanowitsch erklärt, die Verteilung eines Flugblattes, das kein Impressum enthalte, sei untersagt. Am 21. November wurde Bogdanowitsch zu einer Geldstrafe verurteilt.

Später wurde ihre Wohnung unter verschiedenen Vorwänden von Milizionären durchsucht. Am 26. November suchten sie in ihrer Wohnung nach illegal eingewanderten Vietnamesen. Später fanden Milizionäre angeblich in ihrer Wohnung zahlreiche Flugblätter mit der Überschrift „Volkskontrolle“. Bogdanowitsch erklärte der Deutschen Welle, sie habe die Flugblätter damals erstmals gesehen und sie kenne niemanden, der sie verbreite. Sie unterstrich: „Möglicherweise sind sie einfach eine Fälschung.“

Warnung an Opposition

Nach Ansicht des bekannten Menschenrechtlers in Witebsk, Walerij Schtschukin, der in Gomel die Aktivistin Bogdanowitsch unterstützte, sucht die Staatsanwaltschaft nach einem Anlass, ein Strafverfahren einzuleiten, obwohl keine Straftat vorliege. Er befürchtet, dass Frau Bogdanowitsch Opfer neuer verschärfter Gesetze werden könnte, die vom Oberhaus gebilligt wurden. Ihr Fall könnte zu einem Schauprozess werden, mit dem die Staatsmacht oppositionelle Aktivisten warnen möchte.

Wladimir Dorochow

DW-RADIO/Russisch, 8.12.2005, Fokus Ost-Südost