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Musik

Dirigent Keast: "Eher hässlicher Moment für die USA"

Rick Fulker
4. November 2020

Fremdenhass und Kulturkürzungen machen den Künstlern in Amerika zu schaffen. Dennoch bleibt der in Berlin lebende Dirigent Garrett Keast optimistisch.

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Dirigent Garrett Keast mit Taktstock vor Orchester
Dirigent Garrett KeastBild: ZUMA PressImago Images

Deutsche Welle: Welche Auswirkung hat Ihrer Einschätzung nach eine Präsidentschaft von Joe Biden auf die Künste? Oder alternativ, eine Fortführung der Präsidentschaft Trumps?

Garrett Keast: Darüber denke ich die ganze Zeit nach. Als Dirigent, der auch in den USA arbeiten möchte, bin ich dort auf Menschlichkeit angewiesen. Man muss viel mehr Zeit damit verbringen, Kontakte mit Sponsoren zu pflegen, als es in Europa der Fall ist. Diese Angelegenheiten zu organisieren, ist okay, doch man muss aufpassen, was man sagt und dass man niemanden verletzt. Keiner möchte viel über die Auswirkungen der Politik auf die Künste sprechen. Ich denke aber schon, dass Bidens Präsidentschaftbesser wäre für die Künste. 

Corona spaltet die Gesellschaft in den USA

Was das Coronavirus anbelangt, so ist dies eine meiner größten Enttäuschungen: Ich sehe in Trumps Präsidentschaft keine Strategie, wie er die Pandemie in den Griff bekommen will. Das könnte dem Land schaden und den Status der Kultur schwächen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die für die Verbesserung der Künste eintritt. Es sind unruhige Zeiten. 

Trump hat sich dafür eingesetzt, dass Gelder für die staatliche Stiftung "National Endowment for the Arts (NEA)" (Anm. d. Red.: eine staatliche Institution für Kulturförderung) sowie für die "Corporation for Public Broadcasting (CPB)" (Anm. d. Red.: Staatliche Finanzierungsstelle für nichtkommerzielle Radio- und Fernsehsender und zugehörige Online-Angebote) gestrichen werden. Doch ist dies nur ein kleiner Teil, aus dem sich die Kultur finanziert. Wie sehen Sie den Einfluss eines Präsidenten auf die Kultur - egal wie die Wahl ausgeht?  

Wenn es um die Künste in den USA geht, ist meine größte Sorge der Schaden durch Corona. Orchester haben es schwer zu überleben. Es ist noch schwieriger als sonst, weil sie für sechs Monate oder sogar ein, zwei Jahre nicht auftreten können. 

Leere Sitzreihen in der Metropolitan Oper in New York
Die Pandemie trifft Kulturinstitutionen hart. Im Bild: Die von Mitte März bis September 2021 geschlossene Metropolitan Opera in New YorkBild: picture alliance/dpa/Metropolitan Opera/J. Tichler

Ich habe meine Karriere als Gastdirigent an der New York City Opera begonnen. Dieser Ort ist nur so in sich zusammengebrochen. Das kann jetzt vielen anderen auch passieren. 

Was ist Ihre Erfahrung als in Europa lebender Amerikaner - werden Sie oft darum gebeten, die US-Politik zu erklären oder für selbige Rechenschaft abzulegen?

Fast jeder im kulturellen Bereich in Europa - 85 Prozent - sind allgemein für die Demokraten. Sie sind immer geschockt und sagen: 'Wie konnte dieser Mann Trump euer Präsident werden? Er klingt kein bisschen so, wie ich mir Amerika über die Jahre vorgestellt habe.' 

Können Sie verstehen, woher die Unterstützung für Trump rührt?

Meiner Meinung nach hat das Argument, dass die Medien voreingenommen sind und die Linke begünstigen, gezogen. Diese Anti-Medien-Haltung, die von der Rechten verbreitet wird, und die Behauptung, alles Negative über Trump sei Fake, haben erstaunlich gut funktioniert. Ich finde das sehr bedauernswert. Als in Europa lebender Amerikaner denke ich, dass die "liberalen Medien" - also im Wesentlichen die freie Presse in den USA - generell ehrlich und aufrichtig sind - und dass sie Normen und Standards der internationalen Presse entsprechen. 

Was ist mit der amerikanischen Kultur im weiteren Sinne, von der Unterhaltungsindustrie bis zu den bildenden Künsten? Wird sie noch mit einem Gefühl der Offenheit aufgenommen?

Der Komponist Anthony Davis am Klavier
Anthony Davis gilt als Meister unter den afroamerikanischen OpernkomponistenBild: Imago Images/ZUMA Press/N. Cepeda

Ja, das denke ich. Ich dirigieren zum Beispiel am liebsten amerikanische Musik. Sie ist durch Offenheit und neue Ideen geprägt. Der Spirit ist positiv und optimistisch. Ich liebe diesen Aspekt amerikanischer Kultur, und der wird auch nicht verschwinden. Ein europäisches Publikum ist daran immer interessiert. Und ich denke, dass es im Moment viel jenseits des Standards zu erkunden gibt. Ein Beispiel wäre Anthony Davis' Oper "Central Park Five", die gerade den Pulitzer Preis gewonnen hat. 

Wenn wir auf die letzten vier Jahre zurückblicken: Sehen Sie eine positive oder eine negative Auswirkung auf die Künste?

Die Trump-Regentschaft hat uns die Gelegenheit gegeben, uns auf andere Teile unserer Geschichte zu konzentrieren, wie es die Black Lives Matter Bewegung tut. Ich nehme stark wahr, dass viele Amerikaner sich mit den Rechten von Minderheiten auseinandersetzen möchten. Themen wie diese rücken mehr und mehr in den Vordergrund.

Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Einiges von diesem Nationalismus und dieser fremdenfeindlichen Haltung wird nicht für immer bleiben. Das ist eher ein hässlicher Moment für die USA. Ich denke überhaupt nicht, dass Trump uns von unserer besten Seite zeigt, im Gegenteil denke ich, er fördert einige unserer schlimmsten Tendenzen zutage. Aber ich bleibe optimistisch, was die Zukunft unseres Volks und unseres Landes anbelangt. Es ist eine faszinierende Zeit. Ich bin eine sehr optimistische und zugleich realistische Person. Man muss cool und ruhig bleiben und das Langfristige im Auge haben, die Stürme überstehen und dann können sich die Dinge in der Regel recht gut entwickeln.

Garrett Keast stammt aus Houston, Texas, und lebt seit 2011 in Berlin. Nach Stationen an der Pariser Oper und der Deutschen Oper Berlin ist er derzeit europaweit als freischaffender Dirigent tätig.

Adaption: Verena Greb