Kirgisistan: Naturschutz per Smartphone-App
25. Mai 2022Kirgisistans uralter Walnusswald erstreckt sich über Zehntausende von Hektar an den Flanken des Babash-Alta-Gebirges. Seit Generationen erstreckt sich an den Rändern der Wälder ein ausgedehntes Netz von Dörfern, die unter dem Namen Arslanbob bekannt sind.
Im Oktober ziehen die Dorfbewohner traditionell für ein paar Wochen in den Wald, um die Walnüsse zu sammeln. Die Ernte wird auf Handelsrouten über lokale Märkte in der Region Jalalabad in Kirgisistan entlang der alten Seidenstraße bis in die Türkei, nach Russland und in den Iran verschickt.
Doch die Wälder geraten durch den Klimawandel, durch Bodenerosion und zunehmend auch durch Überweidung unter Druck. Lokale Initiativen versuchen, den Wald zu erhalten, indem sie die Dorfbewohner in eine bessere Bewirtschaftung nicht nur des Waldes selbst, sondern auch der umliegenden Weiden einbinden.
Gestresste Weiden - gestresste Wälder
Traditionell bleibt das Vieh während der Wintermonate in der Nähe des Dorfes, während die Dorfbewohner ihre Tiere im Sommer auf die Sommerweiden ins Hochland oberhalb des Waldes treiben. Doch die mehrtägige Reise lohnt sich immer weniger, denn die Weiden dort sind längst nicht mehr so üppig wie früher.
Deswegen lassen die Dorfbewohner ihre Tiere immer öfter auf den näher gelegenen Winterweiden grasen. Die Folge: Am Ende des Sommers bleibt nicht mehr genügend Futter für die kalten Monate übrig - und so wird das Vieh zum Weiden in den Wald getrieben.
Und das sei ein Problem, erklärt Hayat Tarikov, der sich als Förster sein ganzes Berufsleben um den Walnusswald gekümmert hat. Denn im Frühling fräßen die Tiere die Knospen junger Bäume und Sträucher ab, was es dem Wald erschwere, sich zu regenerieren und zu gedeihen. Die Nüsse auf dem Waldboden, seien für das Vieh dagegen uninteressant. "Wenn die Menschen ihre Tiere von September bis Mai aus dem Wald fernhalten würden, könnte sich die Flora auf dem Waldboden erholen", sagt der pensionierte Förster.
Digitale Daten für bessere Weidehaltung
Weiderechte werden in Kirgisistan über regionale Weideausschüsse vergeben, die sich aus Dorfvorstehern und Hirten zusammensetzen.
Auch Aziz Chirmashev erhält jedes Jahr eine Genehmigung zur Nutzung von Hochlandweiden. Wenn die Weidesaison im Frühsommer beginnt, reist er mit einer 200-köpfigen Herde von Schafen, Ziegen, Pferden und Kühen, die den Dorfbewohnern in Arslanbob gehören, dorthin. Je länger der Sommer dauert, desto höher treibt er seine Herde, um frisches Gras zu erreichen. "Unsere Weiden werden immer schlechter", sagt Chimarshev.
Um herauszufinden, wie schlecht es genau es um die Weideflächen bestellt ist und wo die degradierten Flächen liegen, testet die zentralasiatische Nichtregierungsorganisation Camp Alatoo eine Smartphone-App, mit der der Zustand der Weiden in der Region erfasst werden kann. Die Leiter der Weidekomitees sammeln und übermitteln Daten zu Steinen, Flechten, kahlem Boden und Pflanzenbewuchs. Anhand dieser Informationen lässt sich feststellen, wie stark und wie lange jedes Gebiet beweidet werden kann.
"Von einem Jahr auf das andere, kann man Zustand einer Weide nur schwer vorhersagen", erklärt Zhyrgal Kozhomberdiev, Leiter des Weidemanagements im Camp Alatoo, "aber fünf Jahre an Daten sind ein guter Ausgangspunkt, um Rückschlüsse auf die Veränderungen eines Weidegebiets oder einer Region zu ziehen." Die Daten könnten dann von den Ausschüssen an Hirten wie Chirmashev weitergegeben werden, so Kozhomberdiev, und ihnen dabei helfen, noch nicht übernutzte Weideflächen zu erreichen.
Regionales Saatgut für mehr Resilienz
Das kirgisische Landwirtschaftsministerium plant außerdem, Saatgut von Pflanzen zu produzieren, die typischerweise auf gesunden Weiden zu finden sind, und diese auf degradierten Flächen auszusäen, auf denen die Überweidung nur ungenießbare Pflanzen hinterlassen hat.
Mit den Initiativen zur Wiederherstellung von Weideflächen und zur besseren Erschließung abgelegener Weideflächen hofft man, dass die Hirten nicht mehr in die Wälder ausweichen, um ihre Tiere zu weiden.
Gleichzeitig werden auch direktere Maßnahmen ergriffen, um die Gesundheit des Waldes zu verbessern. So berichtet Kozhomberdiev, dass Förster vor einem Jahr begonnen haben, sich auf die Suche nach den Walnussbäumen begeben, die sich als widerstandsfähiger gegen Bodenerosion und unregelmäßige Regenperioden erwiesen haben.
Ihr Plan: Nüsse dieser widerstandsfähigen Mutterbäume zu sammeln und daraus Setzlinge zu ziehen, die dann in den Wald gepflanzt werden. Aber das ist keine schnelle Lösung. Im Durchschnitt brauchen Walnusskeimlinge fünf Jahre lang gute Bedingungen, bevor sie Früchte tragen - Jahre, in denen sie besonders anfällig für hungrige Rinder und Ziegen sind.
"Der Wald ist ihr Zuhause"
Kozhomberdiev hofft, dass die schlechten Walnussernten der letzten Jahre den Hirten und Dorfbewohnern als Warnung dienen, um sich "an den Rhythmus des Landes zu erinnern und das Weiden der Tiere zu begrenzen".
Heutzutage wird der Lebensrhythmus in Arslanbob nicht nur von der Waldernte bestimmt, oder dem Viehauftrieb auf die Hochweiden. Mittlerweile führt es viele Dorfbewohner als Saisonkräfte ins benachbarte Kasachstan oder nach Russland.
Aber viele von ihnen, so berichtet Ex-Förster Tarikov, ziehe es zurück mit dem Wunsch, den alten Wald zu erhalten. "Dieser Wald ruft sie nach Hause".