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Politik

Die WM in Russland - Keine Putin-Spiele

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto
15. Juli 2018

Die Weltmeisterschaft bietet in vielerlei Hinsicht Überraschungen. Die größte und schönste ist die fröhliche Stimmung in Russlands Städten. Die Russen sind wunderbare Gastgeber, meint DW-Reporter Juri Rescheto.

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Fußball WM 2018 Russischer Fan mit Bodypainting
Bild: Imago/ActionPictures/P. Schatz

Hat diese WM Russland verändert? Ja. Nachhaltig? Wohl nicht. Aber das Turnier machte das Land zumindest für einen Monat bunt statt grau, fröhlich statt grimmig, mutig statt ängstlich. Sowohl für die Außenwelt als auch für die Menschen, die hier leben. Selbst wenn ich dieser Tage unter den vielen Farben der Fans das Grau der russischen Polizei sah, kam mir als Erstes ausnahmsweise nicht die Einschränkung der Meinungsfreiheit in den Sinn. Sondern der Gedanke an die Sicherheit des größten Sportfests, das Russland gemeistert hat. Mit Erfolg.

Russlands Metropolen wie europäische Städte

Diesen Erfolg machte vor allem die einzigartige Mischung aus Sicherheit und Ausgelassenheit aus, die Moskau und die anderen WM-Orte zu wirklich europäischen Städten gemacht hat. Das war nämlich nicht das flächendeckende Wifi-System, nicht die Live-Übertragung der Spiele in der U-Bahn, nicht die kostenlosen Fan-Züge der russischen Eisenbahn und auch nicht die Hightech-Bushaltestellen, an denen man sein Mobiltelefon laden konnte. Davon konnten zwar auch alle profitieren. Aber viel wichtiger war etwas ganz anderes: das Gefühl so sein zu können, wie man sein wollte.

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Juri Rescheto leitet das DW-Studio Moskau

Auf einer Bar-Terrasse "Goal!" schreien, wenn ein Tor fiel. Spontan Fremde umarmen - aus Freude oder zum Trost. Auf dem Bürgersteig tanzen, singen und, ja, auch Alkohol trinken zu können, ohne seine Flasche in Zeitungspapier einwickeln zu müssen. Mit Brasilianern flirten - den Warnungen der Moralapostel in der Duma zum Trotz. Mit Mexikanern in der Datscha auf den Weltfrieden trinken und dann verkatert auf einem Traktor in die Stadt zurückzutuckern. Die letzten Brocken Schulenglisch zusammenkratzen, um einem irritierten Fan aus Saudi-Arabien zu erklären, dass Nowgorod, wo er gerade gelandet war, nicht Nischni Nowgorod ist, wo er eigentlich hätte landen sollen, um das Spiel seiner Mannschaft zu sehen. Diesem Fan dann helfen, sein Ticket umzubuchen, ein Glas selbsteingelegter Gurken in die Arme drücken und gute Reise ins richtige Nowgorod wünschen - das alles war diese WM, die vor allem dem Volk und nicht dem Staat gehörte.

Das Volk - das waren Zehntausende freiwillige Helfer, Hunderttausende ausländische Gäste und Millionen russische Fußballfans. Für sie war es eine WM der sicheren Städte, der modernen Stadien, des fantastischen Wetters, des leckeren Biers und - ganz wichtig - der sensationell guten russischen Mannschaft, der niemand zuvor den Einzug ins Viertelfinale zugetraut hätte. Letzteres hat zur Stimmung im Land natürlich wesentlich beigetragen.

Der Fußball hat Hoffnung gegeben

Und: Es war nicht die WM des Wladimir Putin, oder gar die Putin-Spiele, wie das Turnier im Vorfeld oft genannt wurde. Denn auch wenn Präsident Putin als Staatsoberhaupt die Gesamtverantwortung für die Organisation trug, konnte er seinen Landsleuten und den Fans doch nicht staatlich verordnen, so fröhlich, gastfreundlich und gutherzig zu sein. Es stimmt natürlich, dass Putin - im Westen politisch isoliert und sanktioniert - vom Erfolg des Turniers international profitiert hat. Aber eben nicht nur er. Und für die Legitimation seines Systems im eigenen Land braucht der russische Präsident gewiss nicht die Fußballweltmeisterschaft.

Bei aller Euphorie: Diese WM macht das Leben der Russen auf Dauer nicht leichter. Weder politisch noch wirtschaftlich. Im Gegenteil. Die Regierung hat vor und während der WM gleich mehrere Gesetze durchgedrückt, die den Alltag eher erschweren. Aber der Fußball hat Hoffnung gegeben: Hoffnung darauf, dass dieses Land eines Tages nicht mehr nur mit Skripal, dem Donbass und Sanktionen in Verbindung gebracht wird. Hoffnung darauf, dass kurz nach dem Finale nicht wieder etwas passiert, was an die dramatischen Ereignisse nach den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 erinnert, als sich Russland plötzlich die Krim einverleibte. Dass der russische Theaterregisseur Kirill Serebrennikow, der unter Hausarrest steht, nicht ins Gefängnis gesteckt wird und dass der ukrainische Regisseur Oleg Senzow, der in einem russischen Straflager einsitzt, doch noch gegen russische Gefangene in der Ukraine ausgetauscht wird. Dass Russland, das der Welt sein lächelndes Gesicht präsentierte, nicht plötzlich dieser Welt wieder die Zähne zeigt.

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Juri Rescheto Studioleiter Riga