Die Westerplatte stinkt
9. Oktober 2019"Danziger Tschernobyl" nennen die Einwohner ihren Stadtteil Neufahrwasser. Ganz anders das Image des Viertels zu kommunistischer Zeit, als das Danziger Nachtleben hier zuhause war. Ein Ort für Kleinschmuggler, schicke Prostituierte und Seeleute mit Dollar in den Taschen. Als die freie Marktwirtschaft ab den 1990er Jahren Einzug hielt, ging der Boom zu Ende. Mit dem Niedergang kam auch der Gestank.
Zwar werden schon seit Jahren die Hafenabfälle hier entsorgt, die zusammen mit den Ausdünstungen der nahen Chemieindustrie die Luft belasten, dennoch ist der derzeitige Gestank nicht nur unerträglich, sondern auch ziemlich neu. Anwohner sehen den Grund dafür bei der Blum Beteiligungs GmbH, einer deutschen Firma, die hier ihre Sondermüllverbrennungsanlage Port Service betreibt.
Anwohner gehen auf die Barrikaden
Anwohner und Port Service verbindet inzwischen ein langer Streit. Es geht um das, was aus den Schornsteinen der Firma in den Himmel über Neufahrwasser ausgestoßen wird.
"Hier werden keine kleinen Säckchen verbrannt, verstehen Sie? Das ist eine Verbrennungsanlage für gefährliche Abfälle", betont Silbe für Silbe Herr Dominik, der lieber nicht mit seinem wirklichen Namen genannt werden möchte. "Abgelaufene Medikamente, verendete Tiere und auch Bioabfälle aus Krankenhäusern", zählt der Mann auf.
Die Anwohner sind inzwischen wahre Gestank-Experten. Im Internet tauschen sie ihre Erfahrungen im Umgang mit Kopfschmerzen und Brechreiz aus. Der Journalist Przemyslaw Kozlowski weiß vieles über die Verbrennungsanlage: "Hier erzählt man unglaubliche Geschichten. So hängen die Anwohner mit Spülmittel getränkte Laken in die Fenster, oder halten Gasmasken bereit."
"Je nach Farbe des Rauchs kann man erkennen, dass in Danzig irgendeine offizielle Delegation weilt. Die Öfen werden dann abgeschaltet und nachdem sie die Stadt wieder verlassen hat, spuckt der Schornstein wieder schwarzen Qualm aus", berichtet Lukasz Hamadyk, Lokalpolitiker und Stadteilabgeordneter, der von seiner Wohnung tagtäglich den Schornstein beobachtet.
Die Anfänge von Port Service in Polen
Es wird hartnäckig behauptet, dass die Idee zu diesem Geschäft von dem ehemaligen Boxweltmeister Dariusz Michalczewski - einem Deutschen mit polnischen Wurzeln - an die Gebrüder Blum herangetragen wurde. Seit 2003 bestimmen zwei Riesenkessel und ein Schornstein die Landschaft auf der Westerplatte. Brände und die wie Sektkorken explodierenden Fässer mit Chemikalien gehören dazu, sagen diverse Zeugen.
Doch das Fass zum Überlaufen brachte etwas Anderes: 2012 nahm Port Service gut 15.000 Tonnen Erde aus der Ukraine an, die von Pestiziden und krebserregendem Hexachlorbenzol (HCB), die die Leber und das Immunsystem schädigen können, verseucht war. Die Firma lagerte die kontaminierte Erde in circa 13.000 teilweise undichten Säcken. Port Service drohte eine horrende Geldstrafe über zwei Millionen Euro. Es wäre das Ende der Firma in Danzig gewesen. Doch es wurde nur eine symbolische Geldstrafe verhängt. Die Begründung: Abfälle wurden nicht dauerhaft, sondern laut Entscheidung nur "kurzfristig" gelagert. Port Service kassierte bei diesem Geschäft etwa sieben Millionen Euro. Der Imageverlust war beträchtlich.
2015 beschwerte sich der damalige Bürgermeister Adamowicz erneut bei der Staatsanwaltschaft wegen des Geruchs. Erfolglos: In Polen gibt es keine Vorschriften gegen Luftbelastung, die in Westeuropa längst Standard sind.
In Polen Bösewichte, in Deutschland "Öko-Engel"
Auch wenn die Danziger den Namen Blum mit nichts Gutem verbinden, gelten die Gebrüder Blum in Deutschland als "Öko-Engel". So gehört Guido Blum etwa die Firma German-Oekotec GmbH & Co. KG., die Reinigungsmittel auf Basis von Mineralien und abbaubaren Stoffen herstellt. Die Gebrüder engagieren sich auch karitativ für krebskranke Kinder. Im Jahr 2013 finanzierten sie einen Marsch des Aktivisten Steve McCormick vom Kinderhospiz in Syke zum onkologischen Kinderhospiz in Danzig.
Der Werbespruch der Firma "Für eine natürlich saubere Zukunft" klingt für Joanna Harper, die in Deutschland und in Danzig-Neufahrwasser wohnt, wie Hohn. Fast jede Nacht wird sie um 3 Uhr wegen des unerträglichen Gestanks wach.
Trotz der vielen Skandale und Affären präsentiert sich Port Service als "Umwelt-Messias" der Stadt. "Es ist uns zu verdanken, dass rund 20.000 Tonnen medizinischer und sonstiger Abfälle jährlich entsorgt werden", schreibt als Antwort auf eine Anfrage die Pressesprecherin der Firma, Alicja Nadarzyńska. Die Anlagen, die den Anwohnern ein Dorn im Auge sind, bezeichnet die Firma als "Technologieanlage für den Umweltschutz".
Danzig sei eine moderne Stadt, die ihre Position der Industrie verdanke, die sich in der Nähe des Hafens unaufhörlich weiterentwickele. Die Entwicklung der Unternehmen, die sich in den Sparten Chemie-, Erdöl-, und Metallverarbeitung und des Schiffsbaus und der Arzneimittelherstellung betätigen, bedeuteten eine große Chance für die Stadt, hört man von Vertretern der Firma.
"Das kann alles sein, jedoch nicht auf der Westerplatte und nicht auf Kosten der Gesundheit und des Lebens", entgegnet der Lokalpolitiker Lukasz Hamadyk. Er glaubt weder den Beteuerungen der Firma, noch den Untersuchungen des Umweltschutzamtes, die keine akute Umweltverschmutzung feststellen können.
"Die größte Aktivität entwickelt der Schornstein zum Wochenende und nach Feierabend der Behörden", berichtet er weiter und plädiert zugleich für die Erstellung einer Studie, die die Zunahme von Krebserkrankungen dokumentieren soll.
Die Zukunft von Port Service
Die Pacht für das Firmengelände endet im Jahr 2024 und die Stadtverantwortlichen haben den Einwohnern zugesichert, diese nicht mehr verlängern zu wollen. Die Einwohner plädieren für eine sofortige Auflösung des Pachtvertrages. Auf die Frage, wie hoch eine Konventionalstrafe ausfallen könnte, bekam die DW keine Antwort der Behörden.
"Aber Port Service will sich auf keinen Vergleich einlassen", so die Stadtratsabgeordnete Beata Dunajewska. "Dann könnten die Kosten auf bis zu zwei Millionen Euro explodieren." Die Stadt könne das nicht stemmen. Es sei denn, der Staat würde einspringen.
Mit einem Sondererlass hat die polnische Regierung erwirkt, dass das historische Gelände der Westerplatte unter die Verwaltungshoheit der Regierung übergeht. Auf dem Gelände soll ein modernes Museum entstehen. Auch ein Riesenrad nach dem Vorbild des London Eye ist im Gespräch.
"Eine Achterbahn mit dem stinkenden Feuerschein von Port Service? Toll", meint Herr Dominik ironisch. Derzeit investieren die Gebrüder Blum in Polen munter weiter. Ihre neueste Investition: Bes-Blum Environmental Services. Dabei gehe es um eine gute Sache, so Port Service.