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Die Wahrheit ans Licht bringen

Pandeli Pani4. August 2015

Das Parlament von Kosovo hat der Einrichtung eines Tribunals zur Ahndung von Kriegsverbrechen der albanischen Kämpfer während des Kosovo-Krieges zugestimmt. Es war eine schwere Geburt.

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UCK-Kämpfer 1999 ARCHIV (Foto: picture-alliance/dpa/B. Slatensek)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Slatensek

Kriegsverbrechen von Albanern? Genau das ist der Punkt, der die Gemüter in Kosovo erhitzt. Ungerecht finden das viele Menschen. In der allgemeinen Wahrnehmung hat der Krieg der Befreiungsarmee des Kosovo UÇK (1998/99) dem Land die lang ersehnte Unabhängigkeit gebracht. Dieser Vorgang gilt als beinahe heilig. Das ist auch einer der Gründe, warum es rund fünf Jahre gedauert hat, bis das Parlament in Prishtina der Verfassungsänderung zugestimmt und den Weg für das Sondergericht frei gemacht hat.

Seit 2011 hat eine EU-Sonder-Ermittlungsgruppe stichhaltige Beweise gegen frühere Befehlshaber der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK während des Krieges und in der Zeit unmittelbar danach gesammelt. Jetzt können Anklagen erhoben werden. Die Beweise sollen jetzt vor dem neuen Sondertribunal behandelt werden. Den langen Arm der Justiz müssen nun aber vermutlich nicht nur frühere Befehlshaber der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK, sondern auch einige gegenwärtige Politiker und Volksvertreter, befürchten.

Lange haben sie sich daher dagegen gewährt: bei der ersten Abstimmung Ende Juni wurde im Parlament die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt. Und auch heute wird das Tribunal nur als "Fachkammer" oder als das "Büro eines Sonderstaatsanwaltes" beschönigend bezeichnet.

Das Parlament des Kosovo macht Weg für das Sondertribunal frei (Foto: AP Photo/Visar Kryeziu)
Das Parlament des Kosovo macht den Weg für das Sondertribunal freiBild: picture-alliance/AP Photo/V. Kryeziu

Opfer und Täter

Jahrelang glaubten die meisten Menschen im Kosovo, dass Kriegsverbrechen nur die anderen, die Serben und ihre Kollaborateure, begangen haben. Von den Kriegsverbrechen der UÇK war kaum die Rede. Alles änderte sich erst als der frühere Sonderberichterstatter des Europarates, Dick Marty, in einem Bericht im Dezember 2010 die schwerwiegenden Vorwürfe gegen die UÇK-Führung erhob. Diese habe während und nach dem Kosovokonflikt Ende der 90erJahre Kriegsverbrechen an Angehörigen der serbischen Minderheit, an Roma und sogenannten albanischen Kollaborateuren verübt, behauptete der Schweizer Diplomat.

Die Rede ist nicht nur von Morden, Verschleppungen, Vertreibungen oder Vergewaltigungen, von der Zerstörung von Kirchen oder von dem Handel mit Drogen. Für die meisten Schlagzeilen in den internationalen Medien sorgte Martys Behauptung, UÇK-Kämpfer hätten lebenswichtige Organe von Gefangenen auf dem Schwarzmarkt verkauft. Stichhaltige Beweise dafür lieferte der Berichterstatter des Europarates jedoch nicht. Auch Hashim Thaçi, heute Außenminister der Republik und von 2008 bis 2014 erster Ministerpräsident des Landes, wird in Martys Bericht schwer beschuldigt.

Prishtina nannte damals diese Anschuldigungen "unwahr und von Serbien und Russland fabrizierte Äußerungen, um den gerechten Krieg des kosovarischen Volkes für Freiheit und Unabhängigkeit zu schaden." Später aber signalisierte Thaçi doch die Bereitschaft Kosovos, sich dem Ermittlungsprozess zu stellen.

Angeklagt werden Personen, nicht der Staat

Fünf Jahre später ist der Weg für ein Sondertribunal nun geebnet. In einer ersten Reaktion sagte der Sonderbeauftragte der EU und Leiter des EU-Büros im Kosovo Samuel Žbogar, dass das Sondergericht dazu dienen wird, "die schwarzen Wolken, die das Image Kosovos seit dem Bericht von Dick Marty betrüben, zu vertreiben." Wegen vermutlicher Verbrechen wird nicht Kosovo als Staat angeklagt. Anklagen richten sich vielmehr an einzelne Personen, betont Žbogar. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bezeichnete den Beschluss als "nicht einfach, aber notwendig, um die Wahrheit ans Licht zu bringen."

Lotte Leicht, EU-Direktorin vom Human Rights Watch, nannte den Beschluss des Kosovo Parlaments "die richtige Entscheidung für Justiz und Gerechtigkeit" im Land. "Das ist ein wichtiger Schritt für die Opfer und für Kosovo, um mit dem Muster der Straflosigkeit abzubrechen und endlich Vorwürfe wegen schweren Post-Konflikt-Verbrechen zu untersuchen." Sie forderte die Regierung im Kosovo auf, mit der EU zusammen zu arbeiten und das Sondergericht nun auch tatsächlich schnell zu gründen. Die EU-Direktorin vom Human Rights Watch betont aber auch die Notwendigkeit eines internationalen Zeugenschutzprogramms, damit das Gericht glaubwürdig und wirksam arbeiten kann.

Als Zeuge lebt es sich gefährlich

Trotz der offiziell verkündeten Bereitschaft der Vertreter des Kosovo alles Mögliche zu tun, um "eine sichere und angemessene Umgebung für die Arbeit des Sondertribunals zu sichern", wie die Präsidentin Ahtifete Jahjaga versichert, wird der Hauptsitz des neuen Kriegsverbrechertribunals nur formell im Kosovo sein. Ein zweiter Hauptsitz wird in Den Haag sein.

Wie die EU-Sonder-Ermittlungsgruppe, wird auch dieses Gericht ausschließlich von internationalen Richtern geleitet und den Großteil seiner Arbeit in Den Haag erledigen. Der Grund hierfür dürfte nicht nur in der Tatsache liegen, dass der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien seinen Sitz dort hat. Vielmehr hängt die Auslagerung nach Den Haag damit zusammen, dass es im Kosovo nur sehr unzureichenden Zeugenschutz gibt, obwohl vor Jahren bereits ein Gesetz dazu verabschiedet wurde. In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Zeugen, die bereit waren, gegen frühere Kommandanten und Mitglieder der UÇK auszusagen, massiv eingeschüchtert oder umgebracht.

"Hier kennt jeder jeden oder er ist mit jemandem verwandt oder verschwägert, der wiederum andere kennt", sagt Journalist und Publizist Milaim Zeka im Gespräch mit der DW. So wird durch informelle Kanäle auf die möglichen Zeugen Einfluss ausgeübt. Es werden aber auch Journalisten unter Druck gesetzt und bedroht, wenn sie über die Erhebung von Anklagen gegen frühere Befehlshaber der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK berichten. Ein weiteres großes Problem für die Arbeit der Justiz im Kosovo sieht Zeka auch bei dem mangelnden Verständnis von Falschaussagen als Straftat – viele halten das für ein Kavaliersdelikt. Dementsprechend wurden bisher die Fälle von Falschaussagen im Kosovo nicht geahndet.

Dick Marty (Foto: AP Photo/Francois Mori)
Prangerte die Gräueltaten der UCK-Kämpfer an - Dick MartyBild: AP