Die Verzahnung von Katastrophen
9. September 2021Obwohl sie durch Grenzen und Ozeane getrennt sind und die unterschiedlichsten Arten oder gar Ökosysteme betreffen, haben die unterschiedlichsten Naturkatastrophen mehr Gemeinsamkeiten als den meisten Menschen bisher bewusst war. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse eines Berichts der Universität der Vereinten Nationen (UNU).
"Wenn die Menschen Katastrophen in den Nachrichten sehen, scheinen sie oft weit weg zu sein", sagt Zita Sebesvari, eine leitende Wissenschaftlerin der UNU und eine der Hauptautorinnen des Berichts. "Aber selbst Katastrophen, die Tausende von Kilometern voneinander entfernt sind, hängen oft miteinander zusammen."
Wirbelsturm trifft auf Pandemie
Als ein Beispiel nennen die Expertinnen und Experten einen tödlichen Wirbelsturm in Bangladesch, dessen Auswirkungen das asiatische Land bis ins Mark getroffen hatte. Als der Sturm das Land erreichte, waren viele Landarbeiter wegen der Coronavirus-Pandemie in Notunterkünften unter Quarantäne gestellt. Diese seien aber eigentlich als Schutzräume in Zeiten von Stürmen gedacht gewesen.
Jack O'Connor, leitender Wissenschaftler an der UNU und einer der Hauptautoren des Berichts, sagt: Ereignisse wie diese "bedingen sich gegenseitig". Wenn zum Beispiel Notunterkünfte zum Schutz vor extremen Wetterbedingungen zur Unterbringung von Coronavirus-Patienten genutzt würden, könnten - oder wollten - weniger andere Menschen sie nutzen. Dadurch seien mehr Menschen dem Sturm ausgesetzt gewesen. Diejenigen, die sich in die Notunterkünfte geflüchtet hätten, seien dem Virus stärker ausgesetzt gewesen.
"Dann schlägt der Wirbelsturm zu und beschädigt obendrein noch Krankenhäuser und unterbricht Versorgungsleitungen, die eigentlich für die Behandlung der Patienten benötigt werden". Dadurch würde sich die Situation noch mehr verschlimmern. "Bei der Planung von Zyklon-Schutzmaßnahmen denkt man nicht an eine Pandemie", so O'Connor. "Aber genau das müssen wir in Zukunft tun."
Zunehmende Wetterextreme
Der UNU-Bericht erscheint nur eine Woche nachdem die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) eine Analyse veröffentlicht hatte, aus der hervorgegangen war, dass sich in den letzten 50 Jahren im Durchschnitt jeden Tag eine wetterbedingte Katastrophe ereignet hatte. Jeden Tag, so der Bericht, seien bei Katastrophen wie Hurrikanen oder Dürren 115 Menschen ums Leben gekommen und finanzielle Schäden in Höhe von 170 Millionen Euro entstanden.
Diese dramatischen Zahlen werden durch einen im August veröffentlichten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) gestützt. Demzufolge hat der Mensch bereits seit den 1950er Jahren die Wahrscheinlichkeit von "zusammenhängenden Extremereignissen" erhöht. So würden beispielsweise Hitzewellen und Dürren weltweit immer häufiger gemeinsam auftreten. In einigen Regionen seien ähnliche Trends bei Starkregen, Sturmfluten oder Bränden zu beobachten.
Die IPCC-Prognosen für die Zukunft lesen sich düster: Sollte sich die Erde um vier Grad Celsius über die vorindustriellen Temperaturen hinaus erwärmen, würden Hitzewellen, die früher einmal alle 50 Jahre aufgetreten seien, 39 Mal häufiger auftreten. Obwohl sich führende Politiker der Welt verpflichtet hätten die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf idealerweise 1,5-Grad zu begrenzen, sei ihre derzeitige Politik auf dem besten Weg, diesen Wert zu verdoppeln.
Ökologische und Klimakrisen
Der UNU-Bericht nennt drei konkrete Beispiele für ökologische Krisen, die auch eng mit dem Klimawandel zusammenhängen. Zum einen seien Korallenriffe weltweit gefährdet. Das läge zwar primär am Klimawandel, allerdings könne die Widerstandsfähigkeit eines Riffs auch von Belastungen wie Verschmutzung und Überfischung abhängen.
Jack O'Connor ist ausgebildeter Meereswissenschaftler und kennt Korallenriffe in- und auswendig. Eigentlich sei dort unten "alles voller Farben und Leben". Wenn man aber ein Riff besuche, das aufgrund der steigenden Meerestemperaturen ausgeblichen sei, fühle es sich dort an wie auf einem Friedhof: "Alle Tiere ziehen von dort weg."
Selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht würde, seien die Prognosen düster: 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe würden verschwinden. Bei einer Erwärmung von zwei Grad würden praktisch alle Riffe der Welt verloren gehen.
Der Amazonas wandelt sich zur Trockensavanne
Beim zweiten Beispiel steht der Amazonas-Regenwald im Fokus. Dort seien schon jetzt riesige Mengen an Bäumen verbrannt und abgeholzt worden um die weltweite Nachfrage nach Fleisch zu befriedigen. Zum einen habe man Platz für die Viehzucht schaffen müssen, zum anderen Anbauflächen für Soja anlegen müssen, um Viehfutter anzubauen. Die Konsequenz: Die Menge an belastetem Kohlenstoff, die der Wald aus der Atmosphäre speichern könne, sei massiv verringert worden.
Das Fazit der Autorinnen und Autoren ist klar: Wenn sich Abholzung und globale Erwärmung in gleicher Weise fortsetzten, werde der Wald bald absterben und sich der Amazonas in eine Trockensavanne verwandeln.
Äonen überlebt - und am Menschen gescheitert
Für das dritte Beispiel haben die Expertinnen und Experten einen Blick nach China geworfen. Im Jangtse-Fluss, nach dem Nil und dem Amazonas der drittlängste Strom der Welt, sei der Chinesische Stör, eine mehrere Millionen Jahre alte Fischart, im letzten Jahr ausgerottet worden. Neben der jahrzehntelangen Überfischung und Umweltverschmutzung hätte letzten Endes der Bau mehrerer Dämme den wenigen verbliebenen Fischen den Rest gegeben. Die Dämme hätten die Fische von ihrem Laichgebiet flussaufwärts abgeschnitten und somit das Sichern ihrer Art unmöglich gemacht.
Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das auch wegen der möglichen Konsequenzen tragisch. Wie im Falle der Korallenriffe könne der Verlust einer einzigen Art in einem Ökosystem ausreichen, um das gesamte System zusammenbrechen zu lassen.
Lösungsansätze aufzeigen
So dramatisch sich das auch liest, wollen die Autorinnen und Autoren ihren Bericht nicht als Abrechnung mit politischen Entscheidungen verstanden wissen. Vielmehr solle er politisch Handelnden auch Lösungsansätze aufzeigen wie sie Katastrophen verhindern, Emissionen reduzieren oder eine naturverträglichere Gestaltung der Infrastruktur schaffen könnten.
Sowohl im Amazonasgebiet als auch am Jangtse, so die Autoren, hätten die Menschen bisher Landschaften verändert, um wirtschaftlich wertvolle Ressourcen zu nutzen. Dabei hätten sie es aber allzu oft versäumt, die Umweltkosten zu berücksichtigen.
Dass die Gemengelage komplex ist, wird im Bericht allerdings schon alleine am Beispiel der Dämme deutlich, die zum Tod des Jangtse-Störs beigetragen haben. Diese seien nämlich gebaut worden, um Wasserkraft, also saubere Energie, zu produzieren und seien somit eine Alternative zur Verbrennung fossiler Brennstoffe.
In einigen Fällen, so ein weiteres Fazit des Berichts, gäbe es wohl keine wirklich gute Lösung. In vielen anderen Fällen könne eine gezielte Politik jedoch den Schaden an der Natur erheblich minimieren. Oder, um es mit den Worten von Jack O'Connor, zu sagen: "Wir können es uns nicht mehr leisten, kurzsichtige Lösungen zu wählen. Wir müssen besser werden."
Adaption aus dem Englischen: Daniel Heinrich