1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikTürkei

Die Türkei, die Kurden und die PKK

25. Oktober 2024

Fünf Menschen wurden bei einem Anschlag auf ein Rüstungsunternehmen in Ankara getötet, zu dem sich die PKK bekannt hat. Die Tat wirft die Frage auf: Wer ist die PKK und wofür steht sie?

https://p.dw.com/p/4mDMc
Kurdische Flagge | Symbolbild PKK
Diese Flagge wird von PKK-Anhängern genutzt - in Deutschland ist sie verbotenBild: Alain Pitton/Imago Images

Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) hat die Verantwortung für den Angriff auf das türkische Rüstungsunternehmen TUSAS übernommen, wie die PKK-nahe Agentur ANF berichtet. Laut der Meldung führte das "Unsterblichkeitsbataillon", eine autonome Einheit des militärischen Arms der PKK, die Aktion durch. Der Anschlag erfolgte kurz nach einem Vorstoß der ultranationalistischen MHP zu einer möglichen Freilassung des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, sollte sich dessen Organisation entwaffnen. Allerdings bestreitet die PKK einen direkten Zusammenhang. Doch wer ist die PKK und welche Ziele verfolgt sie? 

Entstehung der PKK

Der gesellschaftliche Frieden zwischen Türken und Kurden ist ein dauerhaftes Thema in der Türkei. Seit Jahrzehnten fordern die Kurden mehr kulturelle und politische Rechte von dem zentralistisch organisierten türkischen Staat, der solche Forderungen oft als Bedrohung für die nationale Stabilität sieht.

Schätzungen zufolge machen Kurden etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung der Türkei aus. Obwohl sie im ganzen Land leben, konzentrieren sich die größten Gemeinschaften im Südosten. Kurdische Gruppen leben ebenfalls in den Nachbarstaaten Syrien, Irak und Iran. Im Irak besitzen die Kurden mit der Autonomen Region Kurdistan einen semi-autonomen Status, während in Nordsyrien bestimmte Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) stehen. Diese regionalen Entwicklungen verstärken die Befürchtungen der Türkei, dass in der Region theoretisch ein kurdischer Staat entstehen könnte.

In der Türkei gibt es zwei Hauptakteure, die die Interessen der Kurden vertreten wollen: die Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM Parti) und eben die PKK. Die DEM Parti ist im Parlament vertreten und setzt auf eine friedliche, politische Lösung. Die marxistisch-leninistisch geprägte PKK hingegen ist bewaffnet, und ihre Mitglieder betrachten sich als Guerillakämpfer.

Angehörige trauern um die Opfer des Anschlags in Ankara
Angehörige trauern um die Opfer des Anschlags in Ankara Bild: Adem Altan/AFP

Was möchte die PKK?

Die 1978 gegründete PKK befindet sich seit 1984 im bewaffneten Konflikt mit dem türkischen Staat, den einige Politikwissenschaftler als "Krieg niedriger Intensität" bezeichnen. Dieser langanhaltende Konflikt hat auf beiden Seiten zahlreiche zivile und militärische Opfer gefordert, wobei bei Anschlägen der PKK Tausende Zivilisten getötet wurden. Die PKK ist in den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft.

Ursprüngliches Ziel ihres Kampfes war die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates. Seit 1995 strebt die Organisation jedoch Autonomie und kulturelle Rechte für Kurden innerhalb der Türkei an und hat ihre Unabhängigkeitsforderung zugunsten eines Systems der Selbstverwaltung aufgegeben. 

Es wird vermutet, dass die PKK eine Mitgliederbasis von etwa 60.000 Personen hat, darunter aktive Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten. Ihr wichtigstes Rückzugsgebiet sind die Kandil-Berge im Nordirak, wo sie militärische Operationen und Logistik organisiert. Die Türkei bombardiert regelmäßig Stellungen kurdischer Gruppen im Irak und auch in Syrien. Die Angriffe der Türkei richten sich vor allem gegen die PKK und ihre verbündeten Gruppen, insbesondere gegen die Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien, die die Türkei als Teil der PKK betrachtet.

PKK-Gründer Öcalan befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der stark bewachten Imrali-Insel im Marmara-Meer. Im selben Jahr wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Bevor die Strafe vollstreckt wurde, schaffte die Türkei 2002 die Todesstrafe ab, und seine Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Aus dem Gefängnis übt Öcalan weiterhin Einfluss auf die Organisation aus - vor allem durch öffentliche Botschaften, die über Anwälte oder Vermittler übermittelt werden.

Kriminalisierung der kurdischen Politik

In den letzten zehn Jahren hat die AKP-Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die kurdische Politik in der Türkei zunehmend kriminalisiert. Die DEM Parti und andere Parteien werden mit der PKK in Verbindung gebracht, obwohl sich die DEM Parti offiziell für eine friedliche Lösung einsetzt und sich von der PKK distanziert. 

Viele kurdische Politiker, darunter der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas, sitzen heute wegen Terrorismusvorwürfen im Gefängnis. Einzelne HDP-Mitglieder haben familiäre Verbindungen zur PKK, wie etwa Ömer Öcalan, der Neffe von PKK-Gründer Abdullah Öcalan. Die HDP beteuerte in der Vergangenheit, dass solche Verbindungen individuell sind und nicht ihre Politik widerspiegeln.

Öcalan vor einem türkischen Gericht in einem Glaskasten, daneben zwei Sicherheitskräfte
Öcalan im Glaskäfig im Mai 1999: Ursprünglich wurde er zum Tode verurteilt, die Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandeltBild: Mustafa Abadan/AA/picture alliance

Ist Frieden am Horizont?

In der Vergangenheit gab es mehrere Initiativen, um Frieden zu schaffen. Besonders in den ersten Jahren der AKP-Regierung erhielten Kurden neue Rechte, darunter Bildungsangebote in ihrer Muttersprache und kurdischsprachige staatliche Medien. Doch ein dauerhafter Frieden wurde bisher nicht erreicht.

Anfang dieses Monats sorgte der langjährige MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli für eine Überraschung, als er im Parlament den Vertretern der pro-kurdischen DEM Parti die Hand schüttelte und dies als "vollkommen normal für eine Partei der Einheit in der Türkei" bezeichnete. Bahçeli, der im Regierungsbündnis mit der AKP als wichtiger Verbündeter Erdoğans gilt, richtete am 15. Oktober einen überraschenden Appell an Öcalan, die PKK zur Waffenabgabe zu bewegen.

Am 22. Oktober forderte er Öcalan sogar auf, die Auflösung der PKK im Parlament zu verkünden: "Die Türkei braucht ehrliche Schritte zur Stärkung der tausendjährigen Brüderlichkeit. Das Problem der Türkei sind nicht die Kurden, sondern die separatistische Terrororganisation. Er soll ins Parlament kommen und laut sagen, dass die PKK aufgelöst wird."

Am 24. Oktober antwortete Öcalan aus dem Gefängnis: "Ich habe die Macht, den Konflikt und die Gewalt zu beenden und sie auf eine gesetzliche und politische Ebene zu bringen.“

Was steckt dahinter?

Experten zufolge haben regionale Entwicklungen den Kurswechsel der Türkei gegenüber der kurdischen Frage beeinflusst.

Die Politikwissenschaftlerin Sezin Öney sieht jedoch "keine echte Friedensinitiative" in diesen Schritten. "Man versucht vor allem, die Bedrohung durch bewaffnete Gruppen wie die PKK zu minimieren", erklärt sie. Öney betont zudem die wirtschaftlichen Einschränkungen: "Die Türkei hat weder die politische noch die wirtschaftliche Grundlage, um einen neuen Krieg zu finanzieren."

Der Politikwissenschaftler Eren Aksoyoğlu, ehemaliger Berater im Parlament, ergänzt: "Die Türkei sieht den Israel-Hamas-Krieg als Bedrohung. Vor diesem Hintergrund möchte die Regierung die kurdische Bewegung in die 'große Türkei' integrieren und alle inneren Akteure unter Kontrolle bringen. So werden die 'Terroristen von gestern' in den Augen des Regierungsbündnisses zu 'akzeptablen Bürgern'."

Ein AKP-Politiker, der anonym bleiben möchte, bestätigte, dass die geopolitische Lage die Türkei dazu zwingt, eine einheitliche Innenpolitik anzustreben und Konflikte im Land zu lösen. Dies betreffe nicht nur die Kurdenfrage, sondern auch andere innenpolitische Spannungen.

"Freiheit für Öcalan": Eine pro-kurdische Demonstration in Köln
Eine pro-kurdische Demonstration in Köln am 17. Februar 2024: Teilnehmer forderten die Freilassung ÖcalansBild: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

Doch nur ein Tag nach Bahçelis Appell am 22. Oktober wurde die Hauptstadt Ankara von dem Anschlag auf TUSAS erschüttert. In der türkischen Öffentlichkeit sehen viele den Anschlag als einen Versuch, die Friedensversuche zu untergraben. 

Mitarbeit: Berrak Güngör, Kayhan Ayhan

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.