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Steinzeitkunst erzählt von unseren Vorfahren

6. August 2024

Steinzeitmenschen waren keinesfalls tumbe Höhlenbewohner. Zu was sie fähig waren, zeigen immer wieder atemberaubende Funde in den Höhlen des Donautals in Süddeutschland.

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Tierfigur ohne Kopf vor schwarzem Hintergrund.
Dieses 40.000 Jahre alte Artefakt soll einen Otter darstellen und ist etwa sechs Zentimeter langBild: Ria Litzenberg/Universität Tübingen

Liegt die Wiege des modernen europäischen Menschen auf der Schwäbischen Alb? Mehrere dort gefundene, 40.000 Jahre alte Figuren aus Mammutelfenbein scheinen dies zu bestätigen. Archäologen bezeichnen die Funde als Sensation - und nun hat eine weitere Entdeckung im Gestein des "Hohle Fels" bei Blaubeuren diese Vermutung bekräftigt. Bei Grabungen hat ein dänischer Student eine Tierfigur gefunden. Sie ist nur knapp sechs Zentimeter lang und ohne Kopf, dennoch sind sich die Forscher sicher, dass es sich um die Darstellung eines Otters handelt. Für den Archäologieprofessor Nicholas J. Conard von der Universität Tübingen ist das kleine Tierchen der "Fund des Jahres".

Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb

Archäologische Sensation

Und dies war nicht der erste Fund. Bereits vor mehr als 20 Jahren, im Dezember 2003, vermeldete das Team der Universität Tübingen, es hätte die ältesten Kunstwerke der Menschheit auf der Schwäbischen Alb gefunden - drei kleine Figuren, geschnitzt aus Mammut-Stoßzähnen. Es war eine archäologische Sensation, ein Meilenstein in der Erforschung der Geschichte des Menschen. Das Alter der Figuren - 35.000 bis 40.000 Jahre - markiert nach Ansicht der Wissenschaftler die wichtigste Schwelle der menschlichen Entwicklung: die Fähigkeit zur bildlichen und figürlichen Darstellung.

In einer Höhle steht ein Mann, hinter ihm graben zwei weitere Männer in der Erde.
Der Archäologe Nicholas Conard mit seinem TeamBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

In der Jungsteinzeit, also vor etwa 45.000 Jahren, kam der Homo Sapiens von Osten her in die Donauregion und lebte zunächst neben dem damals dort ansässigen Neandertaler. Das wurde durch die Ausgrabungen deutlich - denn ursprünglich nahm die Fachwelt an, der Homo Sapiens sei mehr im heutigen Frankreich aktiv gewesen, was zahlreiche Funde von Höhlenmalereien in Frankreich belegten. Von daher brachten die Figuren, die auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurden, wichtige neue Erkenntnisse über die Ausbreitung und das Leben der Steinzeitmenschen in Europa.

Auch die Nazis hatten Interesse

Mitte des 19. Jahrhunderts untersuchten Archäologen erstmals die Höhlen der Schwäbischen Alb zwischen den Flüssen Donau, Ach und Lone. An zahlreichen Fundorten wurden durch die Ausgrabungen Stein- und Knochengeräte sowie Schmuck- und Kunstobjekte freigelegt, die das Leben der Neandertaler und das der frühen Menschen dokumentierten.

Eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt zwei Männer, die mit Schaufel und Spitzhacke in einer Höhle stehen
Eine historische Aufnahme von 1937: Archäologen am Eingang der Hohlenstein-Stadel, einem der Fundorte von Steinzeit-ArtefaktenBild: Wolfgang Adler/Museum Ulm/dpa/picture alliance

Auch die Nationalsozialisten hatten später großes Interesse an den Höhlen und begannen 1937 mit den Grabungen. Dahinter stand unter anderem die NS-Organisation "Ahnenerbe", eine Institution, deren Aufgabe es sein sollte, "Raum, Geist, Tat und Erbe des nordrassischen Indogermanismus zu erforschen". Kurz: Man wollte mit den Funden aus der Steinzeit beweisen, dass die "arische Rasse" auf diese Zeit zurückzuführen ist. Ende August 1939 fanden die Nazi-Archäologen in einer Höhle hunderte Elfenbeinsplitter, mussten sie jedoch zurücklassen - der Zweite Weltkrieg begann, und auch die Archäologen wurden an die Front berufen.

Erst 30 Jahre später konnten Spezialisten aus den Splittern eine Figur rekonstruieren: einen Löwenmenschen, etwa 31 Zentimeter hoch. Vielleicht stellte er einen Schamanen dar - ein Hinweis auf mögliche schamanistische Praktiken in der Steinzeit.

Löwen und Mammute

Richtig Fahrt aufgenommen hatten die Grabungen noch einmal 1995 durch Nicholas Conard und sein Team. Nach acht Jahren stellte sich mit dem Fund der drei Figuren der Erfolg ein: ein Pferdekopf, ein Wasservogel und ein weiterer Löwenmensch, nur etwa zwei Zentimeter groß. Die meisten Figürchen sind etwa fünf bis sechs Zentimeter groß, viele von ihnen weisen eine Öse auf - zum Aufhängen oder als Schmuck. Die Tierfiguren, darunter Bären, Pferde, Höhlenlöwen und Mammute lassen einen Rückschluss auf die Tierwelt des steinzeitlichen Europa zu.

Steinzeitliche Hochkultur

Eine weitere interessante Entdeckung war die "Venus vom Hohle Fels": eine etwa sechs Zentimeter große Frauenfigur mit üppigen Brüsten und einer großen Vagina, ohne Kopf und ebenfalls mit einer Öse versehen - wahrscheinlich war sie ein Symbol für Weiblichkeit und Fruchtbarkeit. Weitere etwa zehntausend Jahre jüngere Venusfiguren wurden in ganz Europa gefunden - einige Forscher vermuten, dass die Menschen damit Muttergottheiten verehrt hatten.

Eine hölzerne Figur in Form eines Frauenkorpus, genannt Venus vom Hohle Fels
Die "Venus vom Hohle Fels"Bild: Anne Pollmann/dpa/picture alliance

Von der hohen Kultur der Steinzeitmenschen zeugen weitere Funde, wie etwa Schmuckstücke und eine Flöte aus Schwanenhalsknochen, die als ältestes Musikinstrument der Welt gilt. Nun wissen wir also: Unsere Vorfahren waren keineswegs tumbe Höhlenmenschen, sondern Jäger und Sammler mit einer hohen Spiritualität und der Fähigkeit, sich in Kunst und Musik auszudrücken.

Höhlen sind UNESCO-Welterbe

Was der jüngst entdeckte kleine Otter nun zu bedeuten hat, das lässt Interpretationsspielraum. Nicholas Conard will sich nicht auf eine Symbolik festlegen; es könne aber sein, dass die Menschen die Fähigkeit des Fischotters beim Fischfang bewundert hätten. "Die Menschen haben damals viel Fisch gegessen." Zweifelsohne zeige der Otter, "dass sich die Menschen damals viel stärker mit Wassertieren auseinandergesetzt haben, als wir bislang dachten", so Conard bei der Präsentation des Fundstücks.

Blick in die archäologische Höhle "Hohle Fels", eine große Steinhalle, die von Scheinwerfern ausgeleuchtet wird
In der großen Halle der Höhle "Hohle Fels" werden Touren angebotenBild: Stefan Puchner/dpa/picture alliance

Seit 2017 zählen die Höhlen im Donau- und Lonetal zum UNESCO-Welterbe "Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb". Während Touristen durch die Höhlen geführt werden, gehen die Grabungen weiter. Jeder neue Fund bringt uns das Leben unserer steinzeitlichen Vorfahren näher.

 

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online