Han Kang nimmt den Literaturnobelpreis entgegen
10. Dezember 2024Han Kang war kurz davor, in die schwedische Hauptstadt zu reisen, um dort ihren Nobelpreis entgegenzunehmen, da brach in ihrer Heimat eine politische Krise aus. Die 54-Jährige zeigte sich schockiert über die Unruhen in der Hauptstadt Seoul, ausgelöst durch die zeitweise Verhängung des Kriegsrechts. Der Anblick von Demonstranten, Polizei und Militär auf den Straßen habe sie an ihre Kindheit erinnert, so Han Kang vor Journalisten in Stockholm.
Tatsächlich schien sich die Geschichte zu wiederholen: In Gwangju, der Heimatstadt der Schriftstellerin, fand im Jahr 1980 ein Aufstand von Studenten und Arbeitern statt, der blutig endete. Han Kang schrieb darüber den Roman "Menschenwerk". Er handelt von der brutalen Niederschlagung der Proteste gegen die damals herrschende Militärdiktatur und das von ihr verhängte Kriegsrecht. Auch forderten die Studierenden die Freilassung des Oppositionspolitikers Kim Dae-jung, der später Präsident der Republik Südkorea wurde. Eine deutsche Übersetzung des Buchs "Der Junge kommt" erschien 2017 unter dem Titel "Menschenwerk".
Dunkle Erinnerungen geweckt
Die jüngsten Ereignisse in Südkorea dürften bei vielen Südkoreanern dunkle Erinnerungen geweckt haben. Die anhaltenden Demonstrationen gegen den seit 2022 amtierenden Präsidenten Yoon Suk-yeol - der sich mittlerweile wegen Hochverrats verantworten muss - dürften Ausdruck dessen sein. Bis heute gilt der Gwangju-Aufstand als Symbol für die Unterdrückung der Demokratiebewegung im Südkorea der 1980er-Jahre. Die Aktualität ihrer diesjährigen Preisträgerin mag dem Nobel-Komitee gefallen haben, vorhersehbar war sie nicht.
Han Kang ist eine mehr als würdige Literatur-Nobelpreisträgerin. Ausgezeichnet wird sie für "ihre intensive poetische Prosa", die historische Traumata zur Sprache bringe und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens bloßlege, wie der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Verkündung der Nobel-Entscheidung sagte. Die Autorin, so Malm, beleuchte die "Verbindung zwischen Körper und Seele, den Lebenden und den Toten", und sei mit ihrem "experimentellen Stil" eine Erneuerin der zeitgenössischen Prosa, urteilten die Mitglieder der Schwedischen Akademie.
Wer Bücher von Han Kang gelesen hat, kann das sofort unterschreiben. Sie bedient sich einer klaren, fast einfachen Sprache. Dabei taucht sie tief in die Gefühls- und Erlebniswelt ihrer Protagonisten ein, entwirft zuweilen ungewohnte Gedankengebäude.
Erfolgreiches Prosa-Debüt
Han Kang ist die Tochter des Schriftstellers Han Seung-won (Han Sŭngwon) und wurde 1970 in Gwangju geboren, wuchs jedoch ab ihrem elften Lebensjahr in Seoul auf. Sie studierte an der Yonsej University in Seoul Koreanische Literatur und graduierte dort im Jahr 1993. Han debütierte mit Gedichten, die in der Zeitschrift "Literatur und Gesellschaft“ erschienen, bekannt wurde sie jedoch als Prosaschriftstellerin.
So gewann sie 1994 mit der Kurzgeschichte "Rotes Segel“ den Literaturpreis der Zeitung Seoul Shinmun. Danach veröffentlichte sie mehrere Bände mit Erzählungen. Im Jahre 1999 gewann sie einen Preis für den besten koreanischen Roman, 2000 den "Preis für junge Künstler von heute“ des Ministeriums für Kultur und Tourismus und schließlich 2005 den Yi-Sang-Literaturpreis.
Außerdem arbeitete Han Kang als Journalistin für die Zeitschriften "Wasser der tiefen Quelle“, "Journal der Publikationen“ und "Quelle“. Ihr Debütroman "Die Vegetarierin“ (2007) wurde 2010 verfilmt. Der Kurzroman "Baby Buddha“ diente als Grundlage für den Film "Scar“. Aktuell lehrt Han Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts.
Erster Literaturnobelpreis für Südkorea
Für ihren Roman "The Vegetarian" erhielt sie 2016, zusammen mit ihrer Übersetzerin ins Englische, Deborah Smith, den renommierten Man Booker International Prize. Der Roman erzählt von der südkoreanischen Hausfrau Yeong-hye, die eines Tages beschließt, sich nur noch vegetarisch zu ernähren. Sie entfernt alle tierischen Produkte aus dem Haushalt. Ihre Rebellion nimmt immer groteskere Ausmaße an, als sie sich in der Öffentlichkeit zu entblößen beginnt und von einem Leben als Pflanze träumt, was auf Unverständnis und Gegenwehr ihrer Familie stößt. 2009 wurde das Werk von Regisseur Lim Woo-seong verfilmt. Der Roman erschien im August 2016 unter dem Titel "Die Vegetarierin" auch auf Deutsch, ein Buch, das lange nachhallt. Bereits 2014 war in Südkorea Han Kangs Roman "Menschenwerk" erschienen.
Seit er 1895 aus der Taufe gehoben wurde, ist der Literatur-Nobelpreis mehrheitlich an männliche Autoren aus Europa verliehen worden. Unter den 120 bisher Ausgezeichneten waren nur 17 Frauen, acht davon in den vergangenen 20 Jahren. Mit der Entgegennahme der Nobel-Medaille zieht nun auch die Südkoreanerin Han Kang in den literarischen Olymp ein. Von der verhältnismäßig jungen Autorin dürfte noch einiges zu erwarten sein.