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Neufindung nach Kölner Ausschreitungen

Elizabeth Grenier/ jb14. Januar 2016

Das neue Jahr 2016 begann mit schockierenden Bildern von Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof. Jetzt diskutierten Journalisten und Experten bei der CIVIS-Konferenz über die Rolle der Medien in der Flüchtlingsfrage.

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CIVIS Medienkonferenz 2016: Ulrich Deppendorf im Gespräch mit. Copyright: CIVIS/Ziebe
Ulrich Deppendorf im Gespräch mit Aydan Özoguz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und IntegrationBild: CIVIS/Ziebe

Einen Tag nach dem Selbstmordanschlag in Istanbul am 12. Januar 2016, bei dem zehn deutsche Touristen den Tod fanden, waren die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Brandenburger Tor in Berlin intensiver als zuvor. Rund 20 Polizeifahrzeuge und Sicherheitsbeamte sicherten den Ort, an dem viele Botschaften angesiedelt sind. Auch die Akademie der Künste, in der die CIVIS-Medienkonferenz abgehalten wurde, liegt dort.

CIVIS ist eine Stiftung, die seit fast 30 Jahren Netzwerke gründet und Medienbeobachtung mit Blick auf Migration, Integration und kulturelle Vielfalt durchführt. Die diesjährige Konferenz unter dem Motto "Das neue WIR. Deutschland verändert sich" war die achte Veranstaltung dieser Art durch CIVIS.

"Es gibt ein Vor-Köln und ein Nach-Köln"

Zwar wurde das Thema der Konferenz lange vor den Kölner Ausschreitungen festgelegt, dennoch bestimmten die aktuellen Ereignisse weite Strecken der Diskussion. "Es gibt ein Vor-Köln und ein Nach-Köln," erklärte die Chefredakteurin des Westdeutschen Rundfunks, Sonja Seymour Mikich. Obwohl die Politiker bestrebt seien, ihr Gesicht zu wahren, gäbe es einen immer tiefer werdenden politischen Graben in der deutschen Gesellschaft.

Einerseits war man in der Welt angetan von der sogenannten Willkommenskultur in Deutschland, die 2015 rund 1,1 Millionen Flüchtlinge empfing. Andererseits formierte sich mit der islamfeindlichen Bewegung PEGIDA und dem Erstarken der als rechts eingestuften Partei AfD (Alternative für Deutschland) eine zunehmend ausländerfeindliche Stimmung.

CIVIS Medienkonferenz 2016
Die heftige Medienschelte im Netz war auch Thema der Diskussionsrunden: mit dabei Blogger Sascha Lobo (2.v.li)Bild: CIVIS/Ziebe

Viele sehen in den Ereignissen der Silvesternacht einen Wendepunkt in der Debatte. "Ist unser neues Wir schon halb gescheitert?" fragte Professor Dr. Wolfgang Kaschuba, Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt Universität Berlin. Ebenso wie die Politiker stehen Wissenschaftler und Journalisten vor schwierigen Fragen.

Althergebrachte Stereotypen

Die Diskussion beinhaltete diverse Aspekte der stärker werdenden politischen Polarisierung, wie zum Beispiel die Frage nach der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Die Ausschreitungen am Kölner Hauptbahnhof mit organisiertem Raub und verabredeten sexuellen Übergriffen auf Frauen durch junge Männer aus dem nordafrikanischen Raum machen die Diskussion um die Rolle der Medien in diesem Zusammenhang notwendig – darin waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig.

Prof. Dr. Kaschuba glaubt, dass die Vorstellung davon, was deutsch sei, in den letzten 200 Jahren dazu geführt habe, zwischen einem "uns" und "denen" zu unterscheiden. Er bedauerte, seine These in dem aktuellen Cover der Zeitschrift "Focus" bestätigt zu finden: Dort sind schwarze Handabdrücke auf weißer, weiblicher, nackter Haut zu sehen. Die Deutschen müssten ihre Ikonografie von Ausländern verändern, so der Wissenschaftler.

"Die innenpolitische Diskussion nach Köln liefert einen Vorgeschmack, was in den anstehenden Wahlkämpfen zu erwarten ist," sagte Deutsche Welle-Intendant Peter Limbourg in seiner Eröffnungsrede. "Jede schlechte Nachricht wird die innenpolitische Diskussion verschärfen und das Klima weiter aufreizen." Und weiter: "Die vielen internationalen Äußerungen machen klar, wie genau der deutsche Weg in der Flüchtlingsfrage beobachtet wird."

CIVIS Medienkonferenz 2016. Copyright: CIVIS/Ziebe
Interessierte Zuhörer der medienkritischen Diskussionen: DW-Intendant Peter Limbourg (2.v.li) neben TV-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich (WDR)Bild: CIVIS/Ziebe

Schwierige Gratwanderung

Bei der Berichterstattung über Flüchtlinge und Integration die richtige Balance zu finden, sei eine große Herausforderung für die Presse, so WDR-Chefredakteurin Sonja Seymour Mikich. Nach der Silvesternacht in Köln seien die Medien angeklagt worden, Teil des "Schweigekartells" zu sein. Andreas Zick von der Universität Bielefeld wies darauf hin, dass laut einer Studie der ARD gut 20 Prozent der Bevölkerung mit der Einstellung der rechten PEGIDA-Bewegung sympathisieren, wonach die Medien bewusst die Öffentlichkeit belügen. Das Schlüsselwort, so der Professor, laute dabei "Lügenpresse", ein Begriff aus der Nazi-Zeit.

Journalisten, die über PEGIDA berichten wollten, sähen sich immer stärker werden Angriffen ausgesetzt, ergänzte Zick. "Journalisten sind zum Teil mitten im Konflikt drin." Mit Blick auf die Kölner Ereignisse habe der eine oder andere vergessen, dass es 2015 887 Übergriffe, darunter 79 Brandanschläge, auf Flüchtlingsheime gegeben habe.

Was zählt bei der Berichterstattung?

Was sind die Werte, auf die sich eine pluralistische deutsche Gesellschaft stützen soll? Keine einfache Frage. Andreas Zick machte den Vorschlag, den Begriff "Deutsche Werte" durch "Europäische Werte" zu ersetzen. Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan vom Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität sagte, das Grundgesetz böte eine verlässliche Basis für den öffentlichen Diskurs strittiger Themen.

Fragen wie die nach der Religionsfreiheit sollten durch Politiker nicht emotionalisiert werden. Anstatt ein Konzept für die Gesellschaft der Zukunft zu entwerfen, meinte sie: " Wir müssen die Bevölkerung erst mal zu unserer Verfassung heranholen und erklären, was eigentlich drin steht."

Blick auf die Ursachen

Deutschland Frauen in Flüchtlingsunterkünften. Copyright: picture-alliance/dpa/B. Roessler
Stark veränderte Berichterstattung: die Ursachen für die Flüchtlingsströme kommen selten vorBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Alle Teilnehmer der Diskussion waren sich einig darüber, dass die Medien bei allem Bemühen, die aktuelle Situation darzustellen, den Blick auf die Ursachen der Flüchtlingsbewegung nicht vernachlässigen dürfen. Auch wenn die Journalisten das Gefühl hätten, es sei bereits alles zum Ursprung der Konflikte gesagt, sei die kontinuierliche Berichterstattung darüber unerlässlich, so DW-Intendant Peter Limbourg. "Die Berichterstattung hat sich verlagert. Die internationalen Gründe für die Flüchtlingsströme werden kaum noch diskutiert. Einzelne Schicksale oder Berichte über die gefährlichen Wege nach Europa finden sich in den deutschen Medien immer seltener."

Es scheine, führte er aus, dass zum Thema Flüchtlinge alles erzählt sei. "Wir sind wieder bei der reinen Nabelschau angelangt, die Jahre lang den Blick veränderte - ich halte das für gefährlich. Weiter über Fluchtgründe zu berichten, über gute und schlechte Entwicklungen, über individuelle Erfolge und Misserfolge bei der Integration, das wird extrem nötig sein, damit wir das ganze Bild im Kopf behalten."