Die richtige Antwort auf die Anschläge
23. Mai 2014Es ist bereits der fünfte Anschlag in den letzten acht Monaten. 31 Tote diesmal und fast 100 Verletzte in der Unruheprovinz Xinjiang tief im Westen an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan. Und die Abstände werden immer kürzer. Ende Oktober vergangenen Jahres fuhr ein Jeep in eine Menschenmenge an Pekings Tiananmen Platz. Kurz darauf ging der mit Benzinkanistern beladene Jeep in Flammen auf. Zwei Touristen und die drei Insassen kamen dabei ums Leben. Damals reagierte Peking noch zurückhaltend: Die Regierung verfügte, dass an Tankstellen fortan nur noch an Leute Benzin verkauft werden darf, die ihren Personalausweis vorzeigen. Im März dann die nächste, ungleich heftigere Attacke. Im südchinesischen Kunming stürmten eine Gruppe mit Langmessern bewaffneter Männer und Frauen in den Hauptbahnhof und tötete über 30 Menschen. Einen Monat später, Ende April, als Chinas Präsident Xi Jinping in der Problemregion Xinjiang unterwegs war und für härteres Vorgehen gegen den Terrorismus aufrief, bekam er prompt die Antwort: Am Hauptbahnhof von Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang, töteten Terroristen einen Passanten und sprengten sich daraufhin selbst in die Luft. Eine Woche später gab es wieder einen Angriff auf einen Bahnhof. In der südchinesischen Stadt Guangzhou verletzte ein Mann sechs Passanten mit einem Messer, bevor er von der Polizei gestellt wurde. Der globale religiös fanatische Terrorismus, der die Welt schon seit zwei Dekaden immer mehr überzieht, ist nun auch in China angekommen. Der asymmetrische Krieg hat das Reich der Mitte erreicht. Ein Krieg also, in dem China einzelnen Gruppen, die aus dem Ausland agieren, ausgeliefert ist.
Der Terror rückt näher
Lange beschränkten sich die Attacken auf die Region Xinjiang und waren im chinesischen Alltag als kleiner Schreck schnell wieder vergessen. Die letzten Monate allerdings werden nicht so schnell vergessen werden. Nicht nur die Regierung in Peking, auch die Menschen merken, dass der Terror nun nicht mehr nur in den Nachrichten zu sehen ist, sondern auch am heimischen Bahnhof. Viele Chinesen sind verunsichert und fragen sich, ob die Regierung noch für ihre Sicherheit garantieren kann. So sehr sogar, dass die Pekinger Zensoren die Diskussionen darüber in den sozialen Netzwerken unterbinden ließen. Sehr erfolgreich sind die chinesischen Sicherheitsbehörden, wenn es darum geht, ihr Volk vor "gefährlichen" Meinungen zu schützen. Doch es geht wirklich um die Sicherheit in der Bevölkerung. Viele Maßnahmen wurden ergriffen: Denn nachdem sich die Attacken in den vergangenen Monaten gehäuft haben, wird längst nicht mehr nur die Benzinausgabe an den Tankstellen kontrolliert. Sicherheitskräfte sind nun viel sichtbarer in China. Allein in Peking hat die Regierung 150 Anti-Terror Einheiten auf die Straßen geschickt, die maximal drei Kilometer Abstand zu einander haben dürfen, damit sie jeden Ort innerhalb von drei Minuten erreichen können. Ab nächstem Semester soll in Peking ein neuer Studiengang zur Terrorismusbekämpfung angeboten werden. Und die Rhetorik von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping klingt ganz danach, als sei China bereit für einen Krieg gegen den Terror: "In Friedenszeiten mehr schwitzen um in Kriegszeiten weniger zu bluten", motivierte er Polizisten und Soldaten bei seiner Reise durch Xinjiang. Kurz darauf wurde sogar ein Kopfgeld auf Menschen aus Xinjiang mit exzessivem Bartwuchs ausgesetzt. So einfach ist es natürlich nicht.
Attacken auch von Einzeltätern
Im Westen genauso wie in den USA mischen sich die Haupterwerbsterroristen mit Verrückten und Fanatikern. Wenn schon Norwegen mit gerade einmal fünf Millionen Einwohnern auf einen Attentäter wie Anders Peter Breivik kommt, wie viele Irre solchen Kalibers laufen dann wohl unter 1,4 Milliarden Chinesen rum? Jede Messerattacke gleich auf eine Terrorzelle zu schieben, geht also nicht. Allerdings ist es schon auffällig, dass die Anschläge in China zunehmen, seitdem die Amerikaner sich aus Afghanistan zurückgezogen haben – ganz so, als ob nun Kapazitäten freigeworden wären. Gleichzeitig ist aber offensichtlich: Noch sind es keine professionellen Terroristen, die ihr blutiges Spiel in China treiben. Es sind fanatische Einzeltäter oder kleine Gruppen, die es auf Chinesen im Alltag abgesehen haben. Sie tragen Dolche statt Maschinengewehre und ihre Bomben sind selbst gebastelt. Ihre Pläne sind nicht so ausgereift, ihre Ziel bei weitem nicht so spektakulär, wie beispielsweise die der Al Qaida Gruppen, die von der arabischen Halbinsel aus operieren und zu den technisch fähigsten Terrorzellen gehören.
Nicht provozieren lassen
Insofern steht China erst am Anfang einer Entwicklung unter der die USA schon länger leidet. Die Führung in Peking macht sich keine Illusionen. Auch noch so gute Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen können nicht verhindern, dass Maschinenpistolen und Panzerfäuste aus Pakistan und Afghanistan nach China geschmuggelt werden, dass in einigen Jahren Terrorprofis das Töten übernehmen. Das Wichtigste ist, dass Peking Ruhe bewahrt und sich von schlimmeren Attentaten nicht provozieren lässt. Dabei können sie von den Fehlern, aber auch Leistungen der Amerikaner lernen. Es war sicher ein Fehler nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme am 11. September 2001 in Irak und Afghanistan einzumarschieren. Das war teuer und hat viele amerikanische Soldaten das Leben gekostet - ohne dass die Welt sicherer geworden ist.
Osama Bin Laden ist es gewissermaßen gelungen, den US-Tiger aus den sicheren Bergen in die weit gefährlichere Ebene zu locken, um es mit einem chinesischen Sprichwort zu formulieren. Anderseits ist den Amerikanern gelungen, durch Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Land zu verhindern, dass nach dem 11. September weitere große, langfristig geplante Anschläge in den USA verübt wurden. Für Peking sind militärische Aktivitäten in Nachbarländern bisher undenkbar. Waren statt Waffen ist ihr Motto. Doch wirtschaftlicher Aufbau in Afghanistan und Pakistan wird diesen Terrorismus nicht unterbinden können. Auch die Modernisierung Xinjiangs wird nicht verhindern können, dass sich Menschen einen Sprengstoffgürtel umschnallen. Einen Effekt jedoch hat wirtschaftliche Entwicklung: Es wird schwieriger für die Terroristen zu operieren. Denn mit steigendem Wohlstand schwindet ihr Rückhalt in der Bevölkerung. Denn die Menschen haben dann mehr zu verlieren.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.