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Die nächste Verfassungsbeschwerde

Marcel Fürstenau30. April 2013

Nach der umstrittenen Vergabe der Presseplätze für den NSU-Prozess rief eine türkische Zeitung das höchste deutsche Gericht an - mit Erfolg. Die Plätze wurden per Los neu vergeben - nun wehrt sich ein freier Journalist.

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Drei Akkreditierungsausweise von Journalisten zum NSU-Prozess - Foto: Stephan Jansen (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der stellvertretende Chefredakteur der türkischen Zeitung "Sabah", Ismail Erel, ist froh und erleichtert. Sein Blatt kann nun über den Prozess gegen die rechtsextremistische Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) berichten, der am 6. Mai vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München beginnen soll. "Natürlich sind wir sehr glücklich darüber, dass wir es durch viel Losglück geschafft haben, unter den akkreditierten Medien mit festen Sitzplätzen zu sein", sagte Erel der "Deutschen Presse Agentur" (dpa) nach der Auslosung am Montag (29.04.2013).

Dass "Sabah" nun dabei ist, erscheint Vielen wie eine gerechte Fügung des Schicksals. Schließlich hatte die Zeitung den Mut, gegen das von Beginn an umstrittene Akkreditierungsverfahren für Journalisten Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Das OLG hatte die 50 Presseplätze zunächst in der Reihenfolge des Eingangs der Anträge vergeben. Kein türkisches Medium war schnell genug. Fast allen ausländischen Medien erging es genauso. Die Karlsruher Richter folgten schließlich den Argumenten der Klägerin. Eine bestimmte Anzahl der Plätze sei für ausländische, insbesondere türkische Medien zu reservieren. Immerhin haben acht der zehn NSU-Opfer türkische Wurzeln und ein Opfer stammt aus Griechenland.

"Sabah" hatte Glück bei der Presse-"Tombola"

Das OLG München entschied sich im zweiten Anlauf für ein kompliziertes Losverfahren. Unter anderem gab es unterschiedliche Töpfe für Printmedien, Radio, TV-Sender und Agenturen. Wie viel Glück "Sabah" und andere geloste Medien haben mussten, zeigt ein Blick auf die Details. Für die Untergruppe "Auf Türkisch publizierende Medien" waren vier Plätze reserviert, es gab aber 36 Bewerber. Kein Wunder, dass schon vor der Auslosung unter Aufsicht eines Notars das Wort von der "Tombola" die Runde machte.

Die Schlagzeile "Türkische Presse nicht erwünscht" auf einer Ausgabe der "Hürriyet" vom 27.03.2013 - Foto: Daniel Naupold (dpa)
Hürriyet-Schlagzeile: Nach der ersten erfolglosen Akkreditierung herrschte in türkischen Medien EmpörungBild: picture-alliance/dpa

Sabah-Journalist Erel ist sich bei aller Genugtuung über die Schattenseite des Verfahrens im Klaren: "Ich kann die Enttäuschung der Medien verstehen, die beim ersten Mal dabei waren und jetzt nicht.", sagte er der dpa. Die Nachrichtenagentur selbst hatte sogar doppeltes Glück, denn sie ergatterte einen Platz für ihr deutschsprachiges Angebot und für das auf Englisch. Unter den Verlierern des zweiten Akkreditierungsverfahrens sind zahlreiche namhafte Medien, die beim ersten Anlauf einen festen Platz erhalten hatten. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und der Berliner "Tagesspiegel" haben ebenso das Nachsehen wie die "Zeit" und der "Stern".

"Der Herr gibt und der Herr nimmt"

Einen festen Platz hatte ursprünglich auch der freie Journalist Martin Lejeune. Im Losverfahren ging er aber leer aus, im übertragenen Sinne hat er eine Niete gezogen. Dagegen wehrt sich der Berliner nun mit rechtlichen Mitteln. Kurz nach der Bekanntgabe der Gewinner ließ er über einen Anwalt zunächst per Mail eine Verfassungsbeschwerde versenden. Auf rund 20 Seiten führt Lejeune aus, warum er sich benachteiligt fühlt. Der Vorsitzende Richter am OLG München habe übersehen, "dass den im vorigen Vergabeverfahren erfolgreichen Journalisten der Platz nicht einfach wieder weggenommen werden konnte".

Dass der Sitzungssaal in Anbetracht des weltweiten Medieninteresses zu klein ist, war bereits vor dem ersten Akkreditierungsverfahren allgemein kritisiert worden. Eine Videoübertragung in einen anderen Raum lehnte das OLG ab und weiß in diesem Fall das Bundesverfassungsgericht auf seiner Seite. Deshalb dürfte auch eine Klage der "Tageszeitung" (taz) wenig Aussicht auf Erfolg haben, über die Chefredakteurin Ines Pohl nachdenkt. Die taz war beim ersten Akkreditierungsverfahren am schnellsten und deshalb auf Platz eins gelandet. Dieses Mal gehört sie zu den vielen Verlierern unter den weit über 300 Medien, die einen Antrag auf Akkreditierung gestellt, aber keinen sicheren Presseplatz erhalten haben.

Martin Lejeune - Foto: privat
Beim ersten Anlauf akkreditiert, jetzt außen vor: Martin LejeuneBild: privat

Kläger Lejeune argumentiert grundsätzlich und meint, der kleine Gerichtssaal in München werde dem Informationsrecht der Presse gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes "nicht gerecht". Und weil sein Mandant seinen festen Presseplatz aus dem ersten Verfahren verloren hat, schreibt Lejeunes Anwalt in der Verfassungsbeschwerde nun, der Vorsitzende Richter dürfe nicht nach dem Motto verfahren: "Der Herr hat es gegeben, und der Herr hat es genommen."

Dieses Mal dürfen Medien Plätze abtreten

Lejeune verweist außerdem auf eine aus seiner Sicht materielle Benachteiligung. Mit seinem festen Platz habe er sich darauf eingestellt, über den gesamten Prozess zu berichten, sagte er der DW. Und der wird nach allgemeiner Einschätzung mindestens bis weit ins Jahr 2014 hinein dauern. Lejeune hatte nach dem für ihn erfolgreichen ersten Verfahren Kontakt zu Medien aufgenommen, die keinen festen Platz hatten, um eine Berichterstattung anzubieten. Auch die Deutsche Welle war interessiert. Wie viele andere hatte sie zwar eine Akkreditierung erhalten, DW-Reporter wären aber nur als Nachrücker in einer absehbar sehr langen Warteschlange tatsächlich in den Saal gekommen.

Beim nunmehr erfolgten Losverfahren haben sich die öffentlich-rechtlichen Medien schon vorher arrangiert. Für die wenigen zur Verfügung stehenden Plätze haben sie gemeinsame Bewerbungen abgegeben, um ihre Chancen zu erhöhen. Im Unterschied zum ersten Verfahren ist es dieses Mal auch ausdrücklich erlaubt, dass Medien zusammenarbeiten. Demnach kann jeder akkreditierte Journalist "jederzeit im Einvernehmen mit einem Medium, das einen reservierten Sitzplatz erhalten hat, für dieses den reservierten Sitzplatz einnehmen", heißt es von Seiten des OLG München.

"Sabah" kooperiert aus Dankbarkeit mit der "AZ"

Für viele Medien ist das ein akzeptabler Kompromiss, für den freien Journalisten Martin Lejeune hingegen nicht. "Diese Konstruktion leistet in unverantwortlicher Weise einer schrankenlosen Kommerzialisierung Vorschub", kritisiert er in seiner Verfassungsbeschwerde. Soll heißen: Interessierte finanzkräftige Medien ohne festen Platz beim NSU-Prozess könnten auf die Idee kommen, sich durch entsprechende Vereinbarungen mit Dritten im wahrsten Sinne des Wortes einen Presseplatz zu kaufen.

Ganz abwegig ist dieser Gedanke - zumindest theoretisch - nicht. Im ersten Verfahren wäre es unmöglich gewesen, dass ein Journalist seinen festen Presseplatz anderen überlässt. Zahlreiche Medien wollten damals aus Solidarität mit türkischen Kollegen auf ihre Plätze verzichten. So hätte die "Abendzeitung" (AZ) ihren Platz gerne der "Sabah" überlassen. Doch das OLG München gab sich aus rechtlichen Gründen unbeeindruckt. Beim jetzt erfolgten Losverfahren ist die Situation umgekehrt: "Sabah" hat Glück gehabt, die "AZ" Pech. Deshalb kündigte die türkische Gazette an, während des NSU-Prozesses mit der Abendzeitung zu kooperieren. "Das sind wir den Kollegen schuldig", sagte der stellvertretende Chefredakteur Ismail Erel.