1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Niederlande rücken nach rechts

16. Mai 2024

Er ist gegen Migration und für eine Aufweichung des Tempolimits auf Autobahnen: In den Niederlanden bildet Rechtspopulist Geert Wilders seine erste Koalitionsregierung. Bernd Riegert berichtet.

https://p.dw.com/p/4fufp
Geert Wilders tritt vor die Mikrofone der Presse
Am Ziel: Erstmals führt die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders eine Koalition in den NiederlandenBild: Robin Utrecht/picture alliance

In den Niederlanden ist dem Rechtspopulisten Geert Wilders gelungen, wovon die in Teilen rechtsextreme AfD in Deutschland noch träumt. Wilders kann eine Koalition mit zwei rechten und einer liberalen Partei bilden und erstmals die Regierungsgeschäfte bestimmen.

Schon vor 18 Jahren zog Wilders in das nationale Parlament ein. Offiziell hat seine "Partei für die Freiheit" (PVV) nur ein Mitglied: ihn selbst. Alle anderen PVV-Mandatsträger sind technisch gesehen parteilos und werden von Wilders selbst aus dessen Unterstützerkreis rekrutiert. Trotz vieler Rückschläge hat er über die Jahre sein europaskeptisches und xenophobes Programm populär gemacht. Jetzt ist er am Ziel. Bei den Wahlen vor sechs Monaten wurde Wilders' PVV mit knapp 24 Prozent stärkste Kraft. Seinen Anspruch auf den Posten des Regierungschefs musste er jedoch aufgeben. Das wäre für die anderen Koalitionsparteien, besonders für die bislang führende rechtsliberale VVD des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, eine zu große Zumutung gewesen.

Menschen demonstrieren unter dunklem Himmel in Amsterdam gegen die PVV
Am Wahlabend im November 2023 gab es in Amsterdam noch Demonstrationen gegen Wilders PVV. Seither ist seine Popularität weiter gewachsenBild: Ramon van Flymen/IMAGO/ANP

Die vier Koalitionsparteien einigten sich auf die Bildung einer Regierung, die zu einer Hälfte aus Parteipolitikern und zur anderen Hälfte aus Experten oder Technokraten bestehen soll. Wer den entscheidenden Posten als Ministerpräsidenten bekommen soll, ist noch unklar. Das Personaltableau für ihre Regierung müssen die Fraktionen in den beiden Kammern des Parlaments in Den Haag noch ausknobeln.

"Strikteste Asylpolitik in Europa"

Das Regierungsprogramm, das die rechtspopulistische Koalition unter Führung von Geert Wilders festgelegt hat, hat es in sich. "Die Niederlande müssen strukturell zu der Kategorie Mitgliedsstaaten mit den strengsten Zulassungsregeln von Europa gehören", heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Eine radikale Wende in der Asyl- und Migrationspolitik stehe an, die Zahl der Ankünfte müsse stark sinken, heißt es von den Koalitionären. "Wir werden die strikteste Asylpolitik aller Zeiten haben", kündigte Parteiführer Wilders am Mittwochabend an. Und mit Bezug auf Vorwürfe, dass Zuwanderer zu hohe Sozialleistungen erhielten, sagte er, Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung müssten auch mit Gewalt abgeschoben werden: "Die Niederländer kommen wieder zuerst".

Vor dem Antragszentrum für Asylsuchende in Ter Apel wartet ein Mann, der sich in eine Decke gehüllt hat
Überfordertes Asylsystem in den Niederlanden wie hier in Ter Apel 2022? Die Migrantenzahlen sollen sinkenBild: Vincent Jannink/ANP/picture alliance

An einer Verschärfung der Migrationspolitik war Ministerpräsident Rutte von der VVD 2023 gescheitert. Seine damalige bürgerlich-liberale Koalition wollte eine Einschränkung des Familiennachzugs nicht mittragen. Im vergangenen Jahr haben rund 70.000 Menschen in den Niederlanden einen neuen Asylantrag gestellt, fast so viele im Jahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen in der EU.

Wilders lässt Islamkritik außen vor

In der Vergangenheit hatte sich Geert Wilders auch international als harter Kritiker des Islam profiliert. Er drehte islamkritische Filme, forderte eine Steuer für das Tragen von Kopftüchern. Der Islam ist für ihn keine Religion, sondern ein politisches Programm. Diese radikale Kritik hat er bei den Koalitionsgesprächen ausgeblendet. "Wir werden nicht über den Koran, Moscheen und islamische Schulen reden", hatte Wilders angekündigt und sich ungewöhnlich konziliant gezeigt. 2018 ermittelte die niederländische Polizei, weil ein radikaler Islamist offenbar einen Anschlag auf Geert Wilders plante.

Auf einer Autobahn in den Niederlanden weist ein Schild darauf hin, dass zwischen sechs und 19 Uhr Tempo 100 gilt
Die 100 sollen fallen. Das Tempolimit, als Klimaschutz-Maßnahme 2020 eingeführt, soll auf 130 steigenBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

130 auf Autobahnen und Atomkraftwerke

Für die Autofahrer hat die neue Koalition in Niederlanden auch etwas zu bieten. Das Tempolimit auf niederländischen Autobahnen wird von tagsüber 100 Stundenkilometern wieder auf 130 heraufgesetzt. Die Bauern sollen Erleichterungen bei Umweltauflagen bekommen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll sparen, Beamtenstellen sollen abgebaut werden. Investieren will die rechte Wilders-Regierung in den Wohnungsbau und den Bau von zwei Kernkraftwerken. Die von der PVV ursprünglich geforderte Volksabstimmung über den Austritt der Niederlande aus der EU findet sich im Koalitionspapier nicht, aber sicher wird die neue Regierung der Integration der EU und auch der Erweiterung um weitere Staaten auf dem Westbalkan kritischer gegenüberstehen. Die Niederlande sind der drittgrößte Nettozahler in die Kasse der Europäischen Union, nach Deutschland und Frankreich.

Nächstes Ziel: Europa

Mit einer neuen nationalen Regierung im Rücken kann Geert Wilders mit noch mehr Schwung in den Europawahlkampf gehen. In den Umfragen liegt seine Partei in den Niederlanden für die Europawahl vom 6. bis 9. Juni bereits mit 22 Prozent der Stimmen auf Platz eins. Er würde sieben der 31 niederländischen Sitze im Europaparlament erringen. Bislang ist Wilders dort mit keinem Abgeordneten vertreten. Im Europaparlament würde sich seine PVV der Rechtsaußen-Fraktion "ID" anschließen, zu der auch Wilders langjährige Verbündete Marine Le Pen mit dem "Rassemblement national" aus Frankreich, die rechtspopulistische FPÖ aus Österreich und die deutsche AfD gehören. Alle vier Parteien führen in ihren Ländern die Umfragen zur Europawahl an. Sie lehnen einen harten Kurs der Europäischen Union gegen Russland ab und setzen auf einen eher China-freundlichen Weg.

Marine Le Pen lächelt in die Kamera, neben ihr Geert Wilders, der ein Handyphoto macht
Schon seit langer Zeit ein rechtes Paar: Marine Le Pen, Frankreich, (l.) und Geert Wilders 2014 im Europäischen ParlamentBild: DW/A. Noll

Ein Experiment

Das neue "Kabinett der Hoffnung", wie sich die vier Koalitionsparteien selbst bezeichnen, ist selbst für die an Koalitionen gewöhnten Niederlande ein politisches Experiment. Das neue rechte Bündnis hat viele programmatische Sollbruch-Stellen und will mit wechselnden Mehrheiten im Parlament arbeiten. Die niederländische Zeitung "De Volkskrant" meint dazu: "Vieles wird von den Führungsqualitäten des künftigen Ministerpräsidenten abhängen, der ein funktionierendes Kabinett zusammenstellen muss. Wenn dies gelingt, wird es einzigartig in der niederländischen Parlamentsgeschichte sein. Wenn es scheitert, bräuchten keine weiteren Alternativen mehr geprüft zu werden. Dann würde es Neuwahlen geben."

Neuwahlen wären für die drei kleineren Koalitionspartner aber höchst unattraktiv. Sie sind in den Werten weiter gesunken. Nur Geert Wilders hat in der Beliebtheit weiter zugelegt. Würde am Sonntag neu gewählt, würden 31 Prozent der Niederländerinnen und Niederländer seine Ein-Mann-Partei wählen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union