Die neue Lust am Burlesque
6. Juli 2013Zehn Frauen mit High Heels stehen auf dem Parkettboden einer kleinen lauschigen Tanzschule im Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli und warten, dass es losgeht. Normalerweise laufen sie in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen rum, jetzt sollen aus ihnen schillernde "Glamour Girls" werden.
Um die Stimmung zu lockern - und zum "Warmwerden" - stehen zur Begrüßung zwei Flaschen Sekt und selbst gebackene Muffins auf einem Tisch. Die Trainerin nennt sich "Golden Treasure" und sagt zunächst einmal ein paar Worte zum Hintergrund des Burlesquen Tanzes. "Das Wort 'Burlesque' kommt aus dem Italienischen und heißt im Grunde Parodie." Zwar gehe es schon um Striptease, aber ebenso würden kleine Gimmicks wie ein Fächer oder Hütchen zu einer guten Burlesque-Tänzerin dazugehören. Die baut sie wie kleine Gags in ihren Tanz ein - stets mit einem sexy Augenzwinkern, versteht sich.
Neue Form der Weiblichkeit
Die Stimmung des Workshops ist ausgelassen. Die meisten Teilnehmerinnen - von der Unternehmensberaterin bis zur Altenpflegerin ist alles dabei - wollen im Arbeitsleben möglichst wenig weiblich wirken. Ihre Angst: Ihre Kompetenz könnte infrage gestellt werden. Und genau das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb sie hier sind: Burlesque sehen sie als neue Form der Weiblichkeit, hier können sie sich in geschütztem Raum von ihrer femininen Seite zeigen, hoffen auf ein neues Selbstbewusstsein. Dieser Striptease habe nichts Anrüchiges, im Gegenteil, er sei erotisch, so der allgemeine Tenor.
Eine Meinung, die offenbar viele Frauen teilen, denn Burlesque Workshops werden inzwischen in ganz Deutschland angeboten und finden auch in Hamburg guten Anklang.
Victory Rolls und Wasserwelle
Dabei ist der Weg zu einer guten Tänzerin im Stil der 1930er und 1940er Jahre kein leichter. Da sind zunächst die Frisuren: Mit Kamm und Heißwicklern setzen sich die langhaarigen Frauen vor eine große Spiegelwand, "Golden Treasure" gibt Anweisungen. Tagsüber arbeitet sie als Friseuse, abends tritt sie als Burlesque Tänzerin auf. Ihren bürgerlichen Namen verrät sie den Teilnehmerinnen nicht. Die können sie einfach "Golden" nennen. "Scheitel ziehen und dann langsam einrollen." Das Ziel sind große Locken, sogenannte Victory Rolls, eine beliebte Damenfrisur in den vierziger Jahren. Da haben es die Kurzhaarigen schwerer. Sie sollen sich selbst eine "Wasserwelle" legen. Ein mühsames Unterfangen mit mäßigem Erfolg. Golden ermuntert: "Frisuren müssen wachsen, die kommen nicht einfach so."
Fehlt noch die Schminke: Lidstrich und knallrote Lippen. Dann folgt das Wichtigste: die obligatorischen "Nipple Pasties". Das sind kleine paillettenbesetzte Spitzenhütchen, die direkt auf die Brüste geklebt werden. An ihnen baumeln Quasten, die bei jeder Bewegung lustig hin und herschaukeln und beim Burlesque nie abgenommen werden. Sofort müssen alle lachen und hüpfen auf und ab. Von Scham keine Spur, man ist ja unter sich.
Von der Couch-Potatoe zum Glamour Girl
Einige Minuten später sind Korsage, BH, Strapse, Rock und High Heels angezogen. Ein Hauch von Glamour weht plötzlich durch den Raum. "Golden" wirft die Musikanlage an, dann beginnt der etwas andere Gymnastikkurs. Einzelne Elemente des Burlesque werden geübt. Zum Beispiel das typische Po- und Brustwackeln. "Gar nicht so einfach, wenn man wenig Busen hat", stellt eine Ingenieurin selbstironisch fest.
Dann werden die langen schwarzen Handschuhe langsam ausgezogen: Erst ein Finger, dann der nächste "und ziehen, ziehen, ziehen", sagt Golden mit schönstem Wimpernaufschlag und leicht wippend zur Seite gedreht wie ein Pin-Up-Girl. Bei manchen wirkt es allerdings noch etwas hölzern.
Fast alle Hüllen fallen
Golden macht es vor: Die BH-Träger rutschen herunter, dabei sagt sie mit einem neckischen Blick über die Schulter: "Ach, hallo, du bist auch da, guck mal, leichtes Runterdrehen, jaaa!"
Nach einer Stunde wird alles mit Musik geübt. Stück für Stück entsteht eine vierminütige Choreografie, in der sich die Frauen einiger Kleidungsstücke entledigen. Nicht ganz so einfach ist das lässige Aufknöpfen der Bluse, doch nach dem fünften Mal geht auch das zügig und im Takt der Musik. Alle sind konzentriert, drehen sich und laufen schon nach kurzer Zeit anmutig auf den zentimeterhohen Absätzen. "Obwohl das schon echt schwer ist", wie eine von ihnen anmerkt.
Zwischendurch lachen die Teilnehmerinnen immer wieder laut los. Die Stimmung ist heiter und gelöst, und mit jeder weiteren Minute scheint eine jede an Selbstbewusstsein zu gewinnen."Man fühlt sich schon wohl danach, einfach weil es so ein Akt der Weiblichkeit ist, der hier zelebriert wurde", zieht eine Teilnehmerin nach dem Kurs Bilanz. Eine andere freut sich auf flache Schuhe, und zwei können sich sogar vorstellen, professionelle Burlesque-Tänzerinnen zu werden. "Aber bis dahin müssen wir noch ganz schön üben", sind sie sich einig.
Nach rund sechs Stunden sind alle erledigt - aber zufrieden, etwas für sich getan zu haben. Sie haben einen Teil ihrer Weiblichkeit wieder gewonnen und auch ein großes Stück an Selbstvertrauen.