Die NATO vor der Erweiterung
27. April 2006Die Gründe für die Erweiterung haben sich seit 1955, als die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde, radikal geändert. Ging es bis in die 1980er Jahre darum, durch mehr Mitglieder den Schutz vor dem kommunistischen Block zu verstärken, so geht es jetzt darum, fast 17 Jahre nach dem Mauerfall, die ehemals kommunistischen Staaten in die westliche Allianz einzugliedern.
Ostblockstaaten
2004 wurden in einer großen Runde gleich sieben ehemalige Ostblockstaaten beziehungsweise Sowjetrepubliken aufgenommen. Der damalige NATO-Botschafter Bulgariens, Emil Dimitrov Valev, sagte, durch diesen Schritt fühle sich sein Land enorm aufgewertet. Die teilweise schmerzlichen Reformen in Staat, Gesellschaft und Militär seien belohnt worden. Und auch die NATO hat von der Erweiterung bislang profitiert, so Botschafter Valev: "Wir sind überzeugt, dass die letzte Runde der NATO-Erweiterung nach Süden die ganze Region Südosteuropa stabilisiert hat und sicherer gemacht hat", sagte Valey. Südosteuropa werde die erste Verteidigungslinie Europas gegen neue Bedrohungen. Terrorismus bekämpfen heiße nicht nur die Terroristen zu fangen, sondern nach Menschenhandel, Drogen- und Waffenschmuggel einzudämmen, fügte Valey hinzu.
Balkanstaaten hoffen auf Aufnahme
Kroatien, Mazedonien und Albanien sind die nächsten Staaten auf dem Balkan, die voraussichtlich erst beim übernächsten NATO-Gipfel im Jahr 2008 eingeladen werden, dem Bündnis beizutreten. Noch hält sich die NATO mit konkreten Zusagen bedeckt, da die Fortschritte in Albanien in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch nicht als hinreichend angesehen werden. Kroatien wäre dagegen schon heute beitrittsreif. Die USA als führendes NATO-Land möchten aber alle drei Staaten en bloc aufnehmen. Auf dem nächsten NATO-Gipfel in Riga im Herbst will die NATO zumindest ihren politischen Willen bekräftigen, die Balkanstaaten aufzunehmen, so NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer: "Ich weiß, dass die Staaten, die sich in unterschiedlichen Phasen bemühen, NATO-Mitglieder zu werden, ein Signal von der Allianz in Riga erwarten. Die NATO diskutiert, ob es ein solches Signal geben und wie es aussehen soll. Er glaube, die Antwort werde ein "Ja" sein, sagte de Hoop Scheffer.
Auch die verbleibenden weißen Flecken auf der NATO-Landkarte sollen auf dem Balkan irgendwann verschwinden. Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro sollen Mitglied werden können, sobald die ethnischen Konflikte innerhalb der Staaten gelöst sind und NATO- beziehungsweise EU-Truppen aus Bosnien und dem Kosovo abgezogen werden können. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg, so NATO-Diplomaten in Sofia. Für den Balkan hat die NATO ein besonderes Partnerschaftsprogramm entworfen, um die Staaten an die Allianz heranzuführen. Stabilität- und Sicherheit sollen sozusagen in die Region exportiert werden. Viele Staaten der Region verstehen die Mitgliedschaft in der NATO auch als eine Art Vorstufe zur wirtschaftlich attraktiven Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
USA setzen auf viele Mitglieder
Vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika drängen darauf, möglichst viele Staaten möglichst schnell in die Allianz aufzunehmen, um möglichst viele Ressourcen im Kampf gegen den globalen Terrorismus zu sammeln. Die USA möchten bereits in diesem Jahr die Ukraine in das "Heranführungsprogramm zur Mitgliedschaft" (membership action plan) aufnehmen, was soviel bedeutet wie ein Zusage für die Mitgliedschaft, ohne ein konkretes Datum zu nennen. Frankreich und einige andere NATO-Staaten zögern und sehen zu große Belastungen auf die Allianz zukommen. Russland hat bereits, wie bei allen Erweiterungsrunden um ehemalige Satelliten der Sowjetunion, starke Bedenken angemeldet. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer geht aber davon aus, dass man sich mit Moskau verständigen können wird: "Das bedeutet aber nicht, dass es eine Art Handel geben könnte. Niemand anderes als die 26 NATO-Mitglieder werden die Entscheidung über eine Erweiterung treffen. Natürlich wissen wir, dass unsere russischen Freunde an diesem Thema ein Interesse haben. Deshalb brauchen wir eine enge Partnerschaft mit Russland."
Langer Weg für Georgien
Auch Georgien bemüht sich um die Mitgliedschaft in der NATO. Allerdings, so NATO-Diplomaten, sei der Weg Georgiens trotz Reformanstrengungen zu einer NATO-tauglichen Demokratie noch weit. Der Aufnahme stehen ethnische Konflikte im Land, aber auch starke Einwände aus Russland im Wege. Es scheint so gut wie sicher, dass Georgien bis 2008 höchstens einen verstärkten Dialog angeboten bekommt, was in der Diplomatensprache soviel heißt wie "Warteschlange".
Terroristische Bedrohung
Die führende NATO-Militärmacht USA geht in ihren Überlegungen über Europa hinaus. Washington bemüht sich auch, asiatische und pazifische Staaten wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland enger an die eigentlich nord-atlantische Allianz zu binden. Strategische Planspiele sehen auch Israel langfristig in der NATO. In den letzten Jahren hat die NATO versucht, ihre Fühler in alle möglichen Richtungen auszustrecken. Staaten in Europa, auf dem Kaukasus und Zentralasien, die nicht Mitglieder werden wollen oder können, sind in die so genannte Partnerschaft für den Frieden eingebunden. Mit einigen Staaten am persischen Golf und rund um das Mittelmeer sucht die NATO verstärkte militärische Zusammenarbeit, vor allem bei der Abwehr von terroristischer Bedrohung.