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Die Krähen erobern Deutschlands Hauptstadt

Lydia Heller7. Oktober 2012

Herbst in Berlin - das ist die Zeit der Saatkrähen. In großen Scharen kommen sie aus Osteuropa und konkurrieren mit den heimischen Nebelkrähen um Futter. Und die Berliner erzählen sich Kampfkrähen-Geschichten.

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Krähen auf einem Berliner Dach (Foto: Henning Onken)
Bild: Henning Onken

Samstagabend, Berlin-Alexanderplatz: Hoch über dem Gewimmel aus Passanten, Touristen und Partyvolk kreist ein Krähenschwarm im grauen Herbsthimmel, verschwindet langsam in Richtung Regierungsviertel. Dort ist es abends ruhig und dunkel, ein guter Platz zum Schlafen für Scharen von Krähen. Hunderte Vögel sitzen Abend für Abend in den Bäumen rund ums Kanzleramt, am Flughafen Tegel, in der Jungfernheide, im Mauerpark, im Tiergarten. Und jagen vielen Berlinern regelmäßig kalte Schauer über den Rücken.

"Wenn ich die Krähen auf den Dächern sehe, muss ich an Hitchcocks 'Die Vögel' denken", so hört man oft, wenn man Passanten nach einer "Krähengeschichte" fragt. Fast jeder hat davon gehört, dass einmal ein Mann im Prenzlauer Berg von Krähen attackiert wurde oder davon, dass schon einmal der Platz vor dem Deutschen Theater wegen Krähenangriffen gesperrt worden war.

Krähen schützen ihren Nachwuchs

Wo genau, wann und vor allem wie heftig die Krähenattacken waren, das wird in den Geschichten allerdings gern vergessen oder wild durcheinandergebracht, erzählt Ornithologe Jens Scharon vom Naturschutzbund NABU. Zwar kenne er Berichte über aggressive Krähen seit ungefähr zehn Jahren, Angriffe auf Passanten kämen aber fast nur im Frühjahr vor. Dann sei die Brutzeit der Nebelkrähen, und die wollten zu der Zeit oft einfach ihren Nachwuchs schützen.

Eine Krähe im Flug (Foto:Saurabh Das/AP/dapd)
Gute Flugkünstler - auch wenn es um die Verteidigung der Brut gehtBild: dapd

Der Biologe schätzt , dass es nur etwa fünf bis zehn Fälle im Jahr, gebe. "Es sind nur einige Krähenpaare, die ein so starkes Revierverhalten zeigen, dass es zum Körperkontakt zwischen Tier und Mensch kommt. Das ist nicht die Regel." Häufig sei es so, dass die Jungkrähen, wenn sie flügge werden, bei ihren ersten Flugversuchen aus den Nestern fallen. Und dass Stadtbewohner, mit großem Herzen aber wenig Ahnung von Natur, dann meinen, die Jungvögel retten zu müssen. Kräheneltern – sehen dann rot und gehen zum Angriff über.

Seit rund 20 Jahren kommen immer mehr Nebelkrähen aus dem Umland nach Berlin – derzeit nisten etwa fünf- bis sechstausend Paare in der Hauptstadt. Aggressiv, so Jens Scharon, verhalten sich vor allem auch die Tiere, die sich im Laufe der Jahre stark an den Menschen gewöhnt haben. An einem bekannten Spazierweg am Tegeler See gab es zum Beispiel eine Zeitlang jedes Jahr Meldungen über Krähenangriffe. Dort, erzählt der Ornithologe, hatte ein Nebelkrähenpaar genistet, das die Scheu vor dem Menschen völlig verloren hatte. "An dieser Promenade werden viele Tiere von Spaziergängern regelmäßig gefüttert. Wie aber soll eine Krähe verstehen: der eine Mensch füttert mich und hat seine Freude dran, wenn ich ihm auf die Hand springe und das Futter nehme. Und der andere sieht es als Bedrohung an."

Vögel finden immer weniger Futter im Umland

Eine Bedrohung für die Menschen oder gar eine Plage seien die Hauptstadt-Krähen nicht, sagt Guntram Meier, Biologe und Experte für invasive Tierarten. Vielmehr spiegelten sie das veränderte Verhältnis zwischen Stadt und immer urbaner werdendem Umland wider. Zum einen sei Berlin geradezu ein Schlaraffenland für Kulturfolger wie Krähen – mit seinen Fast-Food-Buden, offenen Mülleimern und der "Picknick-im-Park-Kultur", bei der Menschen nach dem Grillabend ihre Essensreste oft einfach an Ort und Stelle liegen lassen. Zum anderen gebe es immer weniger Rieselfelder und Brachflächen in der Umgebung und für Vögel daher immer weniger Alternativen zur Nahrungssuche in der Stadt.

Ein Krähenschwarm in Russland (Foto: MIKHAIL MORDASOV/ AFP/ Getty Images)
Die Saatkrähen kommen aus Osteuropa nach Berlin, um nach Futter zu suchenBild: MIKHAIL MORDASOV/AFP/Getty Images

Auch die Saatkrähen, die jedes Jahr im Herbst zu Tausenden aus Osteuropa in die Metropole kommen, sind auf Futtersuche. "In der Vergangenheit war die Saatkrähe sehr nützlich für die Landwirtschaft, weil sie Schädlinge, Engerlinge, Larven und Käfer, gefressen hat. Heute gibt es aber im näheren Berliner Umland immer weniger Felder und immer weniger Schädlinge auf den Feldern. Die Tiere müssen ihr Futter jetzt auch in der Stadt finden."

Plagegeister mit Spieltrieb

Und wenn sie dann im Herbst und Winter alle da sind – die heimischen Nebelkrähen und die Saatkrähen – dann können sie doch ziemlich nerven. Das geben sogar die Tierschützer zu. Scheibenwischer und Dachgepäckträger von Autos etwa, erzählt Guntram Meier, nutzten die gelehrigen Rabenvögel schonmal als Werkzeuge, um Nüsse zu knacken. "Ich hab eine Krähe gesehen, die hatte einen Zweig von einem Haselstrauch in einen Dachgepäckträger geklemmt. Und hat dann darauf herumgehackt, um an die Nüsse zu kommen. Dabei ist sie natürlich auch mal abgerutscht mit dem Schnabel und hat in den Lack gehackt."

Vor zwei Jahren pickten Krähen Dichtungen aus dem Dach des Berliner Hauptbahnhofs bis es durchregnete, erzählt Jens Scharon. Zuvor hatten sich die Tiere schon am Dach des Olympiastadions zu schaffen gemacht. Oder sie hatten Steine der Dachbekiesung vom Radisson-Hotel in Berlin Mitte geworfen. Und zwar genau auf das Glasdach der Passage darunter. "Dabei sind dann Scheiben geplatzt, die pro Stück so 5000 Euro gekostet haben", erinnert sich Ingenieur Uwe Abraham. "Und es sah wirklich manchmal so aus, als ob die Krähen es gemocht haben, wenn die Scheiben platzen. Die wollten spielen, die wollten Mist bauen, so wie kleine Jungs auch immer Mist bauen wollen."

Eine Krähe stochert mit ihrem Schnabel nach essbarem (Foto: Ajit Solanki/AP/dapd)
Stets auf der Suche nach InteressantemBild: dapd

"Man muss sich in die Tiere hineindenken"

Was also tun? Krähen jagen oder ihre Nester zerstören – das verbietet in Deutschland das Tierschutzgesetz. Aber "Vergrämung" ist gestattet, sagt Guntram Meier: "Man kann Netze spannen oder auf beliebten Sitzplätzen Dornen aufstellen. Damit die Tiere da nicht mehr sitzen können." Manchmal helfe es auch schon, Bäume zu beschneiden, die Mülltonne woanders hinzustellen oder eine kaputte Straßenlaterne zu reparieren, damit sie eine Ecke beleuchtet, die als Krähenschlafplatz diente, weil sie so schön dunkel war. "Aber um Erfolg zu haben, muss man sich mit den Tieren beschäftigen, muss sich in sie hineindenken."

Auf Guntram Meiers Rat hin tauschte Uwe Abraham auf dem Dach des Radisson-Hotels seinerzeit die krähenschnabel-gerechten Originalkiesel einfach gegen größere Steine aus. "Jetzt kriegen sie die nicht mehr in den Schnabel. Die haben es ein paarmal probiert, es ging nicht. Das Spielzeug war weg – das Problem war gelöst."