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Gesellschaft

Hat die katholische Kirche ausgedient?

Alexander Görlach
13. Oktober 2020

Die Kirchen, insbesondere die katholische, werden immer mehr zu anachronistischen Institutionen. Den Bezug zu den Gläubigen und ihren Bedürfnissen haben sie verloren, schreibt Alexander Görlach.

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DW-Kolumnist Alexander Görlach
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Das Bild hat zumindest in Europa Seltenheitswert: ein Teenager, der begeistert von Kirche und Religion ist. Carlo Acutis war so einer. Er galt in seiner Schule als ein Computergenie, das regelmäßig zur Messe ging. Er soll ein fröhlicher, hilfsbereiter Zeitgenosse gewesen sein. Im Jahr 2006 verstarb der damals 15-Jährige an einer besonders heimtückischen Art der Leukämie.

Am vergangenen Sonntag wurde er in Assisi selig gesprochen. Damit ist er aufgenommen in die große Schar der Frauen und Männer, denen Katholiken auf der ganzen Welt eine besondere Nähe zum lieben Gott unterstellen. Der Akt der Seligsprechung war auch ein emphatischer Ausdruck dafür, einem unermesslichen Leiden einen tieferen Sinn abzutrotzen.

Die Heiligsprechung von Carlo Acutis in Assisi
Emphatisch und menschlich: Die Seligsprechung Acutis war ein Schritt in die richtige Richtung, aber reicht das aus?Bild: Massimiliano Migliorato/Catholic Press/picture-alliance

Die Kirche muss sich reformieren

Die katholische Kirche braucht in dieser Zeit nichts mehr als ein emphatisches, menschliches Antlitz wie das eines Carlo Acutis. Sie befindet sich in der schwersten Krise seit der Reformation und droht in dieser geschichtlichen Stunde auseinander zu brechen.

An nichts wird das mehr deutlich als an dem verkorksten Pontifikat von Papst Franziskus. Intellektuell bringt er nicht die Bandbreite auf die Straße, seine Reformideen theologisch zu begründen und kirchlich zu verorten. Das sagt nicht zugleich, dass er ein schlechter Priester oder ein unzulänglicher Mensch sei. Ein solches Urteil steht letztendlich dann, wenn überhaupt, doch nur Gott zu. 

Als oberster Hirte seiner Kirche aber wurde ihm bei seiner Wahl eine Mammut-Aufgabe aufgetragen, an der er gescheitert ist. Bisweilen erinnert Papst Franziskus mich an Barack Obama in seiner zweiten Amtszeit. Damals gaben die Republikaner als Devise aus, dass alles, wirklich alles, was der Präsident angehe, nicht gelingen dürfe. Es dürfe keine Zusammenarbeit, keinen Deut breit an Zugeständnis für seine Politik geben. So auch in der katholischen Kirche: es sind gerade jene erzkonservativen Soutanenträger, die der Kirche durch den Missbrauch an Kindern und Jugendlichen die Krise eingebrockt haben, die jetzt alles tun, um den Papst und seine Versuche, die Kirche zu erneuern, zu unterlaufen.

Geschiedene zur Kommunion? Niemals! Verheiratete Priester? Oh Gott, dann ist ja der ganzen Welt klar, dass der halbe Klerus homosexuell ist (was nicht schlimm ist, aber das hat sich leider noch nicht in der Kirche herumgesprochen)! Frauen in Leitungsfunktionen (diese sind in der Kirche ausschließlich und grundsätzlich mit der Weihe verbunden. Ohne Weihe, keine Macht)? Niemals! Christus war ein Mann, da seht ihrs. Franziskus hat das richtige Gespür dafür, was sich ändern muss, er kann aber keine Mehrheiten organisieren. 

Die Kirchen erreichen die Menschen nicht mehr

In Deutschland verdichtet sich dieses Trauerspiel auf eigene, deutsch-schwerfällig-tragische Weise: die geplante Reform der Kirche im Land der letzten großen Kirchenspaltung will auf den Vertrauensverlust bei den Gläubigen reagieren und gleichzeitig solche Strukturen schaffen, in denen Kirche menschlich erlebbar und organisierbar bleibt. Natürlich steht der rechte Rand mit beiden rot-samtbeschuhten Füßen auf der Klerikerbremse und versucht, auch nur jede kleine Reform zu diskreditieren. 

Dem protestantischen Theologen Ernst Troeltsch (1865-1923) wird die Sentenz zugesprochen, wonach es um die Kirchen wie folgt bestellt sein wird: die evangelische werde zu einer Art Kirche der Innerlichkeit, wo der Einzelne Glaube und Spiritualität mit sich verhandele. Das ist, zumindest in Deutschland, weitestgehend eingetreten. Die katholische Kirche, so Troeltsch weiter, werde hingegen zu einer Sekte.

Die Kirchtumspitze des Doms in Osnabrück
Die katholische Kirche durchlebt dunkle und schwierige ZeitenBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Nur Machterhalt im Blick

Und genau auf diesem Weg ist die katholische Kirche. Die Gläubigen haben schon vor mehr als einem halben Jahrhundert begonnen, sich von ihr abzuwenden: die weltfremde Art, menschliche Sexualität zu denken, die Ablehnung von Familienplanung waren hier der Treiber. Letztendlich hat die Kirche nichts mehr zu dem zu sagen, was die Menschen bewegt.

Heute wird die Kirche von innen heraus von denen zertrümmert, die sich jedem Wandel entgegenstellen. Das Menschliche (Empathie mit Geschiedenen zum Beispiel) wird zum Feind stilisiert und als Relativismus und Abkehr vom wahren Glauben bezeichnet. Dabei geht es ihnen nur um Machterhalt. Wer sich aber nicht erneuert, geht unter. Deshalb betet auch niemand mehr zu den alt-ägyptischen Göttern.

Carlo Acutis soll, so hört man, vom Papst zum Patron des Internet ernannt werden. Hoffentlich verbauen die Erzkonservativen ihm auch nicht noch diesen kühnen Schritt. Schließlich gab es ja kein Internet, als Christus auf Erden wandelte.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

Der synodale Weg