Die Holzkohle-Metropole
13. Juni 2013Rauch- und Geruchsbelästigung hin oder her - das Grillen hat Tradition in der Hauptstadt. Es ist, nach Meckern und Saufen, des Berliners liebste Beschäftigung. Obwohl das öffentliche und massenhafte Grillen im Tiergarten seit 2012 nicht mehr erlaubt ist, gibt es immerhin 18 offizielle Grillplätze in diversen Bezirken. Außerdem das geschätzte Zehnfache an Lokalitäten, wo Guerilla-Griller an jedem schönen Sommertag Feuer und Dampf machen, ohne dass sich jemand einen Pfifferling darum schert. Grünflächen und Parks werden zu großen, gemeinsamen Wohnküchen. Also ist meine erste Frage beim Planen eines Grillfestes immer: Wohin?
Essen mit Seele
Hart oder zart, das gilt nicht nur fürs Grillgut sondern auch für die Orte. Diejenigen, die sich für Ersteres entscheiden, gehen am besten in den Görlitzer Park in Kreuzberg, dem Pitbull unter den Berliner Grünflächen. All zu viel Grün dürfen Besucher nicht erwarten, die Anlage erinnert manchmal an eine vermüllte Mondlandschaft. Dafür gibt es eine bunte Mischung aus Touristen, Punkern und türkischstämmigen Familien.
Die ersten Gastarbeiter haben ihre Kochgewohnheiten in die deutsche Hauptstadt mitgebracht, und diejenigen, deren Vorfahren aus Anatolien kommen, sind ohne Konkurrenz die Ultras unter den Berliner Grillern. Grillgerichte seien Essen mit Seele, erzählt mir Eray, der am Kopfende einer langen Tafel mit seiner Familie sitzt. Die Cig-Köfte, die auf dem Grill liegt, basiere auf einem alten Rezept aus seiner Heimat am türkischen Mittelmeer und sei die beste der Welt, berichtet er stolz. Ob ich mich selbst überzeugen möge?
Mich muss man nicht zweimal fragen, und in der Tat schmecken die Bulgur-Hackfleischbällchen vorzüglich. Ob sie die besten der Welt sind, vermag ich nicht zu beurteilen, aber zwei Dinge habe ich gelernt. Das öffentliche Grillen fördert die Kommunikation - und einen gesunden Ehrgeiz.
Fleischberge statt Rosinenbomber
Das neue Epizentrum der Grillszene ist die Tempelhofer Freiheit, das 386 Hektar große Areal des 2008 stillgelegten Flughafens. Das Gelände protzt mit drei ausgewiesenen Grillstellen, und obwohl Altberliner motzen, dass der Tiergarten viel gemütlicher gewesen sei, pilgern heutzutage so viele Grillmeister zum ehemaligen Flugfeld, dass an den Wochenenden die Rauchschwaden bis zur nahe gelegenen Stadtautobahn ziehen.
Hier schleppen ambitionierte Gourmetbrutzler ihre teuren DeLuxe-Weber-Geräte an, manchmal werden ganze Spanferkel über lodernder Glut gedreht. Die Bratwurst mag wohl Königin unter den Grillgerichten bleiben, aber auch Fisch, Kaninchen, Känguru-Steaks, sogar Gemüse landen im mondänen Berlin auf dem Rost. Einige von den Tempelhof-Köchen haben sich ein paar asiatische Tricks im Preußenpark abgeguckt, wo seit Jahren thailändische Frauen halblegal Grillgerichte gegen kleines Geld für das hungrige Wilmersdorfer Publikum zubereiten.
Grillen, das finde ich auch, ist viel mehr als nur Nürnberger, Bier und Kohlen von der Tankstelle, aber gerade die Vielfalt an Möglichkeiten verwirrt mich immer noch. Glücklicherweise wird mir diesmal die Entscheidung abgenommen. Mein Kumpel Sascha hat sich gemeldet. Er feiere seinen Geburtstag am Wannsee. Mit einem Riesengrill.
Kreativität ist gefragt
Sascha und ich haben eine eigene Grillgeschichte. Letztes Jahr organisierte er anlässlich des Junggesellenabends das ungewöhnlichste Grillfest, das ich je erlebt habe: In einem UFO auf der Spree.
Im Ostberliner Stadtteil Treptow sowie am Wannsee kann man sogenannte Grillboote mieten - runde, orangene Wasserfahrzeuge, in denen bis zu zehn Menschen herumfahren und brutzeln können. Ausgestattet sind die lustigen schwimmenden Untertassen mit einem kleinen Motor und einem raucharmen Holzkohlengrill. Zwischen 45 und 55 Euro kostet der Spaß für einen Abend. Ein Bootsführerschein ist nicht erforderlich und Bier darf mit an Bord, obwohl der Vermieter augenzwinkernd erklärt, dass der Kapitän nüchtern bleiben muss.
Dieses Jahr werden Sascha und ich am und nicht auf dem Wasser feiern. Sascha hat einfach bei einem Segelboot-Verleiher angefragt, ob man seinen Grill am Ufer mieten könnte. Schwupps, hatte seine Fete eine geile Location. Jetzt liegt es an mir, etwas Geiles zum Speisen aufzutreiben.
Der gute alte Fleischladen
Gemessen an der Bevölkerungszahl gibt es nicht allzu viele traditionelle Schlachter in Berlin, aber die Fleischerei Gottschlich im Prenzlauer Berg ist eine hervorragende Grillgut-Adresse. Die Liebe zum Kochen merkt man dem Laden an, das eingelegte Fleisch liegt meilenweit über dem Supermarktstandard und Inhaber Christian Gottschlich erzählt seinen Kunden gerne, was auf dem Rost gut gelingt und was nicht. Nicht zu dick und genügend Fettgehalt, sagt er und empfiehlt scharf marinierte Hühnerspieße, Rinderrouladen am Stiel und Schweinebauch mit Knoblauch und Chili.
Weiter geht's zu El-Fi, einem der vielen türkisch-arabischen Supermärkte in Kreuzberg, wo ich Lamm, scharfe Paprikas und ein paar gefährlich aussehende Soßen besorge. Beim Bezahlen muss ich zweimal auf die Rechnung gucken, so niedrig sind die Preise hier.
Sommerzeit ist Brutzelzeit
Mit einigen zusätzlichen Euro im Portemonnaie und zwei Einkaufstüten voller Leckereien fahre ich raus zum Wannsee. Der Grill qualmt schon. Den etwa 50 Gästen ist Hunger und Vorfreude ins Gesicht geschrieben.
"Hey Mann, was hast du da?“ fragt Sascha zur Begrüßung. Er meint die Einkaufstüten, nicht die beiden eingewickelten CDs, die ich als Geschenk mitgebracht habe. Es geht an die Biertheke und dann - endlich - zum Grill.
Der Blick auf den Wannsee steht dem von einer Millionen-Villa nicht nach, das kalte Bier schmeckt gut und ich kriege langsam Hunger. Ohne das Grillen wäre ich wahrscheinlich nie an diesen Ort gekommen, und das ist eben das Schöne daran. Durchs Brutzeln kann man nicht nur die warme Jahreszeit und das Zusammensein mit Freunden genießen, sondern auch unbekannte Ecken von Berlin entdecken - seien sie hart oder zart, verräuchert oder verwunschen, gesellig oder gemütlich.