Die große Show - die Schach-Welt streitet über "Freestyle"
13. Februar 2025"Mega!" - hanseatische Zurückhaltung ist Jan Henric Buettners Sache nicht. Der Start seiner Schach-Turnierserie, der "Freestyle Chess Grand Slam Tour", sei megamäßig gelungen, findet der Hamburger Unternehmer. Seit gut einem Jahr hat sich der umtriebige und Buettner als Sponsor und Investor in der Schachszene einen Namen gemacht hat. Für eine Woche hat er die besten Schachspieler der Welt in seine Luxus-Hotelanlage an der Ostsee eingeladen. Umschwirrt von dauerberichtenden Schach-Influencern aus aller Welt treten dort zehn Schach-Profis gegeneinander an. In den nächsten Monaten soll es u.a. in Paris und New York ähnlich glamourös weitergehen.
Neue Zielgruppen für den Schachsport
"Wir machen ein Schach-Produkt für Nicht-Schachspieler," beschreibt Buettner das Konzept im Gespräch mit der DW. Ausgestattet mit 20 Millionen Euro Risikokapital will Buettner dem traditionsreichen Denksport ein neues, massentaugliches Image verpassen. Aushängeschild der Veranstaltung ist Ex-Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen, aber auch der neue Champion Dommarjaju Gukesh aus Indien ist dabei und als "Local Hero" Deutschlands Nummer eins, Vincent Keymer. Dem Deutschen gelang sogar das Kunststück, Superstar Carlsen aus dem Rennen zu werfen. Allerdings wird an der Ostsee nicht klassisches Schach gespielt, sondern "Freestyle", eine Variante, bei der die Aufstellung der Figuren vor jeder Partie ausgelost wird.
Doch die schachsportlichen Aspekte stehen bei dem Event in der weitläufigen Hotelanlage gar nicht im Mittelpunkt. "Wir wollen eine ganz neue Zielgruppe erreichen. Die ganzen Regeln interessieren die Leute gar nicht", findet Veranstalter Buettner. Doch genau um diese Regeln hat es in den letzten Wochen viel Streit gegeben. Denn für das Regelwerk im Schachsport sieht sich der Weltverband FIDE in der Verantwortung. "Uns geht es um die Integrität der Schachwelt", sagt FIDE-Präsident Arkadi Dworkowitsch der DW, "wir wollen Weltmeister-Titel im Schach weiterhin nach den Regeln der FIDE organisieren."
Verhandlungen per WhatsApp
Stein des Anstoßes: Die Idee, am Ende der Buettnerschen Turnier-Serie einen Freestyle-Weltmeister zu küren. Seit Jahresbeginn verhandelte der deutsche Millionär mit dem Verbandspräsidenten, der früher einmal stellvertretender Ministerpräsident Russlands war und seit 2018 die FIDE anführt: Vertrags- und Pressetexte gehen hin und her, WhatsApp-Nachrichten werden ausgetauscht. Immer wieder schaltet sich der Buettner-Partner und Ex-Weltmeister Magnus Carlsen mit FIDE-kritischen Äußerungen ein. Am Ende dann der große öffentliche Knall: "Es fehlte einfach das Vertrauen", fasst Dworkowitsch das Ende der Gespräche zusammen. "Zeitverschwendung! Ich habe gar nicht mit dem Präsidenten gesprochen, sondern mit dem Hausmeister", heißt es weniger diplomatisch an der Ostsee.
Für die Spieler wie Vincent Keymer stellt der Streit zwischen Freestyle und FIDE ein Dilemma dar. Für die Top-Spieler ist das neue Format interessant und eine gute Einnahme-Quelle. Aber Keymer und seine Kollegen wollen auch weiter um den WM-Titel im klassischen Schach mitspielen. "Das wäre natürlich ein großes Thema für mich gewesen, wenn ich mich zwischen den FIDE-Turnieren und den Freestyle-Wettkämpfen hätte entscheiden müssen", sagte Keymer der DW Anfang des Jahres.
Für 2025 ist das vom Tisch, bestätigt Arkadi Dworkowitsch: "Ich hoffe, dieses Thema kommt im Laufe des Jahres oder 2026 nicht wieder hoch, und wir können das im Dialog lösen." Ganz ausschließen will auch Kontrahent Buettner weitere Gespräche nicht. Aber: "Die werden so einen guten Deal nicht noch einmal kriegen." Gut möglich, dass sich demnächst Gerichte mit dem Thema befassen werden.
In Zukunft Zufallsschach?
Fest steht: Der in der Öffentlichkeit ausgetragene Streit um die WM-Rechte hat Buettners Grand Slam und die bisher wenig gespielte Schachvariante "Fischer Random" bzw. "Freestyle" erst richtig ins Gespräch gebracht. Als Erfinder gilt der 2022 verstorbene frühere Weltmeister Bobby Fischer. Da die Aufstellung der Figuren zu Beginn ausgelost wird, spielt die im normalen Schach so wichtige Eröffnungsvorbereitung keine Rolle mehr. Die zugelosten Stellungen sind auch für Profis gewöhnungsbedürftig: "Das ist selbst für mich schwer verständlich", sagt Josefine Heinemann.
Die deutsche Nationalspielerin weist auch darauf hin, dass zu den Freestyle-Aktivitäten derzeit nur wenige Spitzenspieler von Buettner eingeladen würden.: "Ich hätte es gut gefunden, wenn sie auch die Frauen eingebunden hätten. Aber das scheint jetzt nicht der Plan zu sein." Das Thema stehe auf der To-do-Liste, versichert Buettner auf Nachfrage der DW: "Wir planen auch die Beteiligung von Schachspielerinnen." Insgesamt glaubt Frauen-Großmeisterin Heinemann eher nicht, dass sich für diese Form des Schachspiels ein Millionenpublikum begeistern lässt: "Wenn schon ich kaum etwas verstehe, dann werden es die meisten Zuschauer noch viel weniger verstehen."
Freestyle-Impresario Jan Henric Buettner sieht das ganz anders. Das Publikum sei wie bei der Formel 1 eher an dem Drumherum interessiert: "Wir machen ja nichts für das Schach. Wir konzentrieren uns darauf, was der Massenmarkt will." Den Massenmarkt will Buettner vor allem im Internet erreichen. Die Abrufzahlen der Online-Videoübertragungen hätten sich im Vergleich zur Premiere im Vorjahr mehr als verdoppelt, sagt Buettner. Details gibt er aber noch nicht preis: "Wir sind ganz am Anfang und wollen erst einmal gucken, wie sich das entwickelt. Aktuell wollen wir noch keine Zahlen herausgeben." Ziel sei es aber, ein "Milliarden-Unternehmen" zu werden.
FIDE hat Chance verpasst
"Es scheint mir herausfordernd, ausgerechnet mit Freestyle Schach insgesamt populärer zu machen," schätzt der Chef des Berliner Schachverbands und eSport-Experte Paul Meyer-Dunker die Chancen Buettners ein. Auch er findet, dass die wechselnden Startaufstellungen eine weitere Hürde für die Nicht-Schachspieler darstellen.
Dennoch ist Meyer-Dunker der Meinung, dass der Weltschachverband in den letzten Wochen eine große Chance verpasst habe: "Ich sehe nur Verlierer bei der FIDE. Im Ergebnis wurde außer Blockaden nichts erreicht." Der Streit habe sicher auch nicht das Vertrauen der Spieler in den Weltverband gestärkt, meint der Funktionär.
"Die FIDE hat ja durchaus einen Punkt: Eine WM sollte nicht abgekoppelt sein wie ein Privatturnier", sagt Meyer-Dunker der DW. Doch der große Freestyle-Streit habe vor allem eines demonstriert: "Die Schachwelt und ihre Funktionäre sind leider zu oft darauf fixiert, wie es war und wie es bleiben soll." Für Veränderungen seien jedoch auch Impulse von außen nötig, so Meyer-Dunker: "Freestyle kann so eine Veränderung sein, die von außen kommt."