"Die Deutschen trauern lieber still und zurückgezogen"
14. April 2006Es kommt oft vor, dass Joachim Gerhardt mit dem Tod in Berührung kommt. Wenn er zum Einsatz gerufen wird, dann muss er häufig dabei zusehen, wie ein Mensch stirbt. Joachim Gerhardt ist Pfarrer. In seiner Arbeit als Krankenhausseelsorger hat er schon vielen Menschen in ihren letzten Lebensstunden zur Seite gestanden: "Als Seelsorger merke ich, dass es das Allerwichtigste ist, dass andere Menschen dabei sind. Im besten Fall die Verwandten, die noch da sind, die engsten Angehörigen."
Deutsche trauern privat
Seelsorger wie Joachim Gerhardt versuchen, manchen der einsamen Sterbenden beizustehen. Er bleibt bei ihnen, betet und begleitet sie bis zum letzten Moment. Nach dem Tod eines Menschen geht seine Arbeit aber noch weiter. Er hilft auch den Angehörigen der Verstorbenen, ihre Trauer zu verarbeiten. Das ist nicht immer ganz einfach, denn oft fällt es den Hinterbliebenen in dieser Phase nicht leicht, sich anderen gegenüber zu öffnen: "Deutsche trauern tendenziell eher privat. Ich glaube, in den letzten Jahren hat das noch einmal zugenommen, dass man über Trauer nicht spricht und Trauer öffentlich nicht zeigt."
Trauerbewältigung durch moderne Rituale
Nach dem Tod eines Menschen müssen sich die Angehörigen nicht nur mit ihrer Trauer auseinandersetzen - es müssen auch viele bürokratische Dinge erledigt werden. Diese Organisationsphase gehört für Dagmar Hämel zur Trauerbewältigung dazu. Sie ist Volkskundlerin und hat sich damit beschäftigt, wie in verschiedenen Kulturen mit dem Tod umgegangen wird: "Ich denke, ein wichtiges Trauerritual ist die gesamte Bestattung. Das könnte man als ein modernes Ritual bezeichnen, dass man sich mit Sachen wie Krankenkassen und Standesämtern auseinandersetzt. Und natürlich auch mit dem Bestattungsunternehmer, den es hier in Deutschland gibt." Bei einer Bestattung ist meist ein Pfarrer zugegen, der eine Ansprache hält, worin er auf einige wichtige Eckpunkte im Leben des Verstorbenen eingeht. Nicht-religiöse Menschen können auch einen neutralen Grabredner bestellen. Trauerrituale wie Beerdigungen helfen dem Trauernden, die schwierige Zeit nach dem Tod eines Familienmitglieds oder Freundes zu strukturieren.
Klassische Bräuche
Direkt nach einer Beerdigung kommen die Trauernden noch einmal zusammen, um sich gegenseitig Trost zu spenden, beschreibt Gerhardt: "Da gibt es anschließend das, was früher Leichenschmaus hieß, dass man sich noch mal zurückzieht, in eine Gaststätte, in ein Gemeindehaus mit der Trauergemeinde." Verwandte und Freunde werden in Deutschland meist schriftlich zu einer Beerdigung eingeladen. Entfernte Bekannte werden durch eine offizielle Anzeige in der lokalen Zeitung über den Tod und den Zeitpunkt der Beerdigung informiert. Ein klassischer Brauch in Deutschland ist auch die Trauerwoche, in der sich die Hinterbliebenen schwarz kleiden. Im katholischen und im evangelischen Glauben gibt es einmal im Jahr je einen Tag im November, der den Toten gewidmet ist. An diesem Tag gehen viele Menschen in Deutschland zu den Gräbern ihrer Verstorbenen und zünden Kerzen an.
"Der Tod hat nicht das letzte Wort"
Aber nicht immer waren deutsche Trauerrituale so ruhig, sagt Joachim Gerhardt: "Es gibt ein ganz altes Ritual, das wir im Grunde verloren und vergessen haben. Das ist nämlich ein Lachen auf den Gräbern. Man ist auf die Gräber gezogen, zum Beispiel ganz bewusst auch zu Ostern und hat gesagt: Der Tod hat nicht das letzte Wort, wir lachen den Tod aus."
Getanzt und gefeiert wird heute nicht mehr bei deutschen Beerdigungen. Doch seit einigen Jahren gibt es andere Trauerrituale: Viele Hinterbliebene wollen den Abschied von ihren Verstorbenen so individuell wie möglich gestalten. Da wird zum Beispiel ein Lied von einer Musikgruppe gespielt, die dem Verstorbenen besonders gefiel, ein selbst geschriebenes Gedicht vorgetragen, oder der Sarg mit den Lieblingsfarben des Verstorbenen bemalt. Es kommt nicht darauf an, welcher Ritus es ist, sagt Joachim Gerhardt: "Ich denke der Mensch braucht Rituale. Und das Thema Leben, Tod und Sterben ist umfassend und kann den Menschen im Grunde auch überfordern. Es ist schon gut, wenn man äußeren Halt hat."