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Deutschland setzt auf Quantencomputer

Kristie Pladson
16. Juni 2021

Der Industrie- und Forschungsstandort Deutschland drohte im Quantencomputing den Anschluss zu führenden Nationen zu verlieren. Ein neuer Quantenrechner im Südwesten der Republik soll jetzt für neue Dynamik sorgen.

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IBM-Quantencomputer
Bild: Ross D. Franklin/AP Photo/picture alliance

Deutschland will in ein neues Quantenzeitalter aufbrechen und zu den Branchenführern China und USA im Quantencomputing aufschließen. Schon jetzt ist klar, dass diese Technologie den Volkswirtschaften, die sie beherrschen, enorme strategische Vorteile bieten kann.

Der US-Technologiekonzern IBM und die Münchner Fraunhofer-Gesellschaft haben am Dienstag (15.06.) eine Zusammenarbeit im Bereich Quantencomputing bekannt gegeben. Im Mittelpunkt steht der neue IBM Quantum System One Computer (Artikelbild), der jetzt der leistungsfähigste Quantencomputer in Deutschland und Europa ist.

Die Zusammenarbeit wurde nur wenige Tage nach der Ankündigung von zehn großen Industrieunternehmen in Deutschland gestartet, die sich zu einem Konsortium zur Erforschung industrieller Anwendungen für das Quantencomputing zusammengeschlossen haben. Das Ziel des Konsortiums mit dem Namen Quantum Technology and Application Consortium (QUTAC) ist es, vielversprechende industrielle Anwendungen für Quantencomputing zu testen. Zu der Initiative gehören BASF, BMW, Boehringer Ingelheim, Bosch, Infineon, Merck, Munich Re, SAP, Siemens und Volkswagen.

"Das wirtschaftliche Potenzial ist enorm, und wir müssen alles tun, um im internationalen Wettbewerb eine Rolle zu spielen", unterstreicht Nicole Hoffmeister-Kraut, Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg, wo die neue Maschine steht. Sie verweist auf eine Studie der Boston Consulting Group, die dem Bereich der Quantentechnologien bis zum Jahr 2035 ein Wertschöpfungspotenzial von 57 Milliarden Euro zutraut. Klar, dass die deutsche Wirtschaft da mitmischen will.

Warum Deutschland auf die Quantentechnologie setzt

China und die USA halten weit mehr Patente im Bereich der Quantencomputer-Technologie als Deutschland, obwohl es hier eine wenig bekannte, aber sehr aktive Forschungslandschaft auf diesem Gebiet gibt.

"Ich würde sagen, wir sind lange Zeit unter dem Radar geflogen", sagt Christian Ospelkaus, Professor für Quantenphysik an der Leibniz Universität Hannover. Das liege unter anderem daran, dass die Forschung in der Vergangenheit unter anderen Überschriften lief, erklärt er gegenüber der DW.

"Da hieß es nicht: Wir bauen einen Quantencomputer, sondern: Lasst uns einen hochverschränkten Zustand mit 20 Ionen untersuchen." Doch jetzt haben QUTAC und der IBM Quantum System One diese Expertise öffentlich gemacht.

In allen Bereichen, die man für den Bau von Quantencomputern braucht, ist Deutschland schon lange stark, sagt der Professor. Jetzt gehe es vor allem darum, kräftig durchzustarten. 

"Wir brauchen in Deutschland eigene Hardware, Hardware, die wir selbst entwickeln, nicht Hardware, die wir uns von jemandem aus der Ferne aufschwatzen lassen", sagt er.

"Wir sind extrem stark in all diesen Technologien, die man dafür braucht, um solche Maschinen zu bauen, und wir müssen es jetzt einfach tun. Damit es nach vorne geht, muss auch ein entsprechender Markt da sein, der die Entwicklung dieser Geräte stimuliert. Und da kann die Industrie natürlich viel tun."

Was ist Quantencomputing?

Im Gegensatz zu Standardcomputern, die Funktionen binär verarbeiten und Aufgaben ausführen, die Datenfragmente verwenden, die immer nur eine 1 oder eine 0 sind, können Quantencomputer die Implikationen von 1 und 0 gleichzeitig berücksichtigen. Die Datenfragmente auf einem Quantencomputer, die so genannten Qubits (kurz für "Quantenbits"), erhöhen seine Rechenleistung erheblich. Mit Hilfe subatomarer Teilchen können Quantencomputer Berechnungen mit weitaus höherer Geschwindigkeit durchführen als existierende Supercomputer.

Quantencomputer fangen heute gerade erst an, das zu übertreffen, was Standardcomputer noch können, sagt Ospelkaus, aber nicht unbedingt in dem Maße, dass es einen Mehrwert gibt. Stattdessen denken sich Wissenschaftler oft Problemstellungen aus, die ein klassischer Computer nicht lösen kann, ein Quantencomputer aber schon.

Man habe dann ein Problem bearbeitet, das der klassische Computer nicht gelöst hat, aber das Problem an sich sei 'noch' nicht sinnvoll gewesen, erklärt Ospelkaus. "Aber jetzt kommen wir an den Punkt, wo diese Maschinen für sehr ausgewählte Fälle wirklich sinnvolle Ergebnisse ausspucken."

Warum nutzt es der Industrie?

Es sind diese nützlichen Ergebnisse, an denen die Industrie in Deutschland seit Jahren interessiert ist.

Viele Unternehmen des QUTAC-Konsortiums hätten schon Quantenspezialisten auf ihrer Gehaltsliste und diese Teams würden immer wichtiger, sagt Ospelkaus. Ein LinkedIn-Post über QUTAC des IT-Chefs von Volkswagens habe sogar einen Link zu einer Stellenausschreibung, in der ein Quantenspezialist gesucht wird. Der soll dem Autobauer dabei helfen, potenzielle Anwendungen für die Quantentechnologie zu identifizieren, "letztendlich mit dem Ziel, einen operativen Vorteil für Volkswagen zu erringen".

Es gibt viele Ideen, wie Quantencomputing der Industrie helfen kann. Ein Video von BMW zeigt, wie Quantencomputer Industrieroboter dabei unterstützen könnten, den effizientesten Weg zu finden, um Dichtungsmaterial auf die Nähte eines Autos aufzutragen. Damit könnte BMW gleichzeitig Zeit, Material und Kosten einsparen..

Andere Anwendungen für Quantencomputer umfassen die Identifizierung der effizientesten und kostengünstigsten Routen für den Transport von Gütern und Materialien; sie könnten das maschinelle Lernen verbessern, indem sie Rechnern helfen, natürliche Sprache besser zu verstehen oder ihre Fähigkeit zu erhöhen, Objekte zu "sehen" und zu identifizieren, die sie mit ihren Kameras erfassen. Quantencomputer könnten außerdem dabei helfen, leichtere und robustere Materialien oder Batterien mit längerer Lebensdauer zu entwickeln.

Viele Experten weisen auch darauf hin, dass Quantencomputer erwiesenermaßen in der Lage sind, verschlüsselte Nachrichten zu knacken. Die Technologie könnte so zur Entwicklung von sichereren Alternativen zur Verschlüsselung führen. Die Meinungen über das tatsächliche Risiko dieser Anwendungsmöglichkeiten gehen dabei aber weit auseinander. Allerdings liegt noch viel Forschungsarbeit vor den Wissenschaftlern, bis diese Visionen Wirklichkeit werden.

Wie geht es weiter?

Als großes und angesehenes Forschungsinstitut wird die Fraunhofer-Gesellschaft den neuen Quantencomputer für Tests im Bereich des maschinellen Lernens und zur Prozess-Optimierung nutzen. Industrie-Unternehmen, auch außerhalb von QUTAC, und andere Interessierte können sich bei den Fraunhofer-Forschern anmelden, um eigene Experimente durchzuführen und sich mit der Technologie vertraut zu machen.

Das QUTAC-Konsortium wird jetzt in einem ersten Schritt mögliche industrielle Anwendungen für das Quantencomputing identifizieren.

Deutschland scheint auf dem Weg zu sein, ein "umfassendes Quanten-Ökosystem" zu entwickeln, wie es Ospelkaus nennt. Er verweist auf Initiativen wie das Quantum Valley Niedersachsen, die in ganz Deutschland aus dem Boden schießen.

"Letztendlich werden wir in Deutschland ein Quanten-Ökosystem sehen, in dem Industrie und Wissenschaft, Anwender und Hardware-Entwickler, Systemintegratoren und Zulieferer, kleine und große Unternehmen zusammenarbeiten, um die Entwicklung dieser Technologie voranzutreiben."

Ein "echter Quantenvorteil" sei relativ bald zu erwarten, fügt er hinzu, wobei eine breite Anwendung noch fünf bis zehn Jahre entfernt sei.

"Und am weitesten entfernt ist wahrscheinlich tatsächlich die Kryptographie", sagt er. "Ich mache mir jedenfalls noch keine Sorgen um meine RSA-Verschlüsselung."

Aus dem Englischen adaptiert von Thomas Kohlmann