Die "Brücke"-Kunst: Ohne den Kolonialismus nicht denkbar
Nolde, Pechstein, Kirchner: Die Ausstellung "Whose Expression?" im Berliner Brücke-Museum zeigt den deutschen Primitivismus in seinem kolonialen Kontext.
Die Kunstrichtung des Primitivismus
Leuchtende, kontrastreiche Farben, vereinfachte Formen und die Rückbesinnung auf ein vermeintlich ursprüngliches, von der Industrialisierung unberührtes Leben: Das sind einige Merkmale des Primitivismus, für den Ernst Ludwig Kirchners "Stillleben mit Blumen und Skulpturen" (1912) ein Beispiel ist. In Deutschland erlebte die künstlerische Stilrichtung ihren Höhepunkt während des Kolonialismus.
Dauergäste im Völkerkundemuseum
Durch die massenhafte Ausfuhr von Objekten aus den Kolonien kamen die Künstler der expressionistischen "Brücke"-Vereinigung auch in Deutschland ganz einfach in Kontakt mit außereuropäischer Ästhetik. Diese Skizze von Ernst Ludwig Kirchner entstand nach dem Studium von Bronzereliefs aus dem Königreich Benin, die - ihrem ursprünglichen Kontext entrissen - im Völkerkundemuseum in Dresden lagerten.
Inspiration oder Aneignung?
Ein Objekt im Dresdener Völkerkundemuseum interessierte die expressionistische Gruppe ganz besonders: Ein verzierter Dachbalken aus einem palauanischen Versammlungshaus, dessen "Entdeckung" im Museum die Brücke-Künstler später sogar als ihre Initialzündung bezeichneten. Die Menschen im Hintergrund dieses Ölgemäldes von Max Pechstein sind ein direktes Zitat der auf dem Balken dargestellten Figuren.
Das Vorbild: Paul Gauguin
Für den deutschen Primitivismus der Brücke-Gruppe war der französische Maler Paul Gauguin sicherlich das wichtigste Vorbild. Seine Südseebilder inszenieren eine natürliche Ursprünglichkeit und brachten Gauguin posthum großen Ruhm ein. Dieser Erfolg sowie die Aussicht auf finanzielle Gewinne waren sowohl für Emil Nolde als auch für Max Pechstein ein Grund, selbst in die Südsee aufzubrechen.
Kirchners Atelier: Fremdes Zuhause
Ob Ozeanien, Indien, West- oder Zentralafrika: In seinem Atelier in Berlin war Ernst Ludwig Kirchner (hier zu sehen mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling) umgeben von "exotischen" Skulpturen, Wandteppichen, Stoffen oder Möbeln. Einige davon stammten aus den Kolonien, andere gestaltete Kirchner selbst. Dabei war Kirchner nie in einem der Ländern gewesen.
Die Suche nach den Urhebern
Dieser hölzerne Sitz mit Leopardenmotiv wurden lange für eine Arbeit Ernst Ludwig Kirchners gehalten. Dabei stammte die Schnitzerei aus dem heutigen Kamerun, wo sie ein Prestigeobjekt höfischer Eliten darstellte. Eines der Ziele der Berliner Ausstellungen ist es, die Herkunft von wahrscheinlich geraubten Stücken zu recherchieren, um sie wieder in ihrem ursprünglichen Kontext verstehen zu können.
Lisa Hilli: More Than Just His Tolai Wife
Die Ausstellung im Brücke-Museum wird von einer zweiten Ausstellung im benachbarten Kunsthaus Dahlem begleitet, die den Kolonialisierten selbst wieder eine Stimme geben soll. Die Künstlerin Lisa Hilli zum Beispiel überschreibt ein Archivfoto von einem Weißen und "seiner Tolai-Frau" mit ihrem Namen, laWarwakai, und holt die Indigene so aus ihrer Rolle als Untergebene in den Vordergrund.
muSa Michelle Mattiuzzi: Abolition Garden
Die Installation der brasilianischen Künstlerin soll unter anderem an die Vasen erinnern, die Oppositionelle als Zeichen der Solidarität für die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien in ihre Fenster stellten. Mit den dreieckigen Formen unter freiem Himmel möchte die Künstlerin eine Hommage an den Schwarzen Feminismus formulieren, der die Kritik an Rassismus und Sexismus miteinander verbindet