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"Die Atomvereinbarung ist ein Riesenfehler"

Wolfgang Dick14. Juli 2015

Die historische Einigung im Atomstreit mit dem Iran setzt die falschen Signale. Der Westen hätte härter verhandeln müssen, erklärt der Politikwissenschaftler Gerald Steinberg von der Bar-Ilan-Universität in Jerusalem.

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Wien Atomgespräche Iran mit Javad Zarif (Foto: Ali Mohammadi/ UPI /LANDOV)
Bild: picture-alliance/Landov/A. Mohammadi

Deutsche Welle: Wie wird sich die Einigung auf den Nahen Osten auswirken?

Gerald Steinberg: Jede Einigung, die das Nuklearprogramm legitimiert, verletzt den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag. Es gab eine Menge Aktivitäten, die jetzt vertuscht werden sollen. Es gibt keine volle Rechenschaft und kein Versprechen, dass dies nicht wieder passiert. Die Leute, die das alles taten, verhandeln weiter den ganzen Prozess, wie zum Beispiel Hassan Rohani (der Präsident der islamischen Republik Iran seit 2013 – Anm.d.Red.) und andere.

Diese ganze Vereinbarung muss viel sorgfältiger betrachtet werden, sie ist sicher nicht eine Quelle der Unterstützung für den Nichtverbreitungsvertrag (NPT). Sie verursacht eine weitere Beschädigung. Inzwischen sehen wir andere Länder wie Saudi Arabien, die Türkei und Ägypten, die ebenfalls solche Fähigkeiten verfolgen, wie sie der Iran entwickelt. Ich will nicht gerade von einem Desaster sprechen, aber das Ganze ist ein Riesenfehler.

Was ist besonders gefährlich ?

Wir haben es mit einem Regime zu tun, das Terrorismus unterstützt. Es unterstützt die Hisbollah, es stützt das Assad-Regime in Syrien. Iran hat effektiv auch die Kontrolle über den Jemen mit all dem Blutvergießen dort. Das iranische Regime ist Teil der Bürgerkriege im Mittleren Osten, also auch im Irak. Dieses Regime zu stärken im Iran, indem man ihnen diesen Prozess ermöglicht, destabilisiert jeden in der Region. Wir sehen da keine Veränderung der iranischen Rhetorik. Was wir hören, ist: "Tod den USA!" und "Tod für Israel!". In den letzten Tagen brannten wieder Fahnen dieser Länder. Dieses Regime möchte man nicht mit nuklearen Fähigkeiten sehen.

Prof. Gerald Steinberg Foto: Bar Ilan University Jerusalem
Prof. Gerald Steinberg: "Der Atomstreit wird weitergehen".Bild: Bar Ilan

Welche Auswirkung wird die Einigung im Atomstreit auf den Streit zwischen Schiiten und Sunniten haben ?

Der Konflikt wird sich in der Region verstärken. Sunnitisch geprägte Länder wie Saudi Arabien und Ägypten sehen jetzt den Aufstieg Irans und seiner Macht sowie seiner Akzeptanz und wollen ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen. Ähnlich ist es zwischen Indien und Pakistan. Wir hören Gespräche über eine "islamische Bombe". All das ist sicher nicht gut für den Mittleren Osten und das internationale System. Das iranische Modell folgt dem Modell in Nordkorea und wird sicher andere Länder und Diktaturen anregen, in eine ähnliche Richtung zu steuern.

Wird sich der Iran an die jetzt getroffenen Vereinbarungen halten?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Iran so viele Verletzungen der Vereinbarungen begehen wird wie möglich ohne erwischt zu werden. Dafür sprechen die der Welt bekannt gewordenen Verletzungen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, die vielen Experimente mit Urananreicherungen in den letzten Jahren und auch der Aufbau geheimer Fabrikationsanlagen.

So lange keine strenge Abschreckung da ist, werden Vertragsverletzungen erfolgen, die wir in diesem Fall im Verlauf der Verhandlungen nicht gesehen haben. Hinzu kommt, dass viele Formulierungen, die für die Einigung gefunden wurden, so mehrdeutig sind, dass über sie gestritten werden wird. Wir haben das schon in den Abrüstungsverhandlungen in den 1970ern und 1980ern zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion erlebt. Geheimdienste haben dann offenbart, was wirklich geschah – trotz der Vereinbarungen. Da dürfte viel auf Zeit gespielt werden – etwa mit langen Überprüfungszeiten von vermeintlichen oder tatsächlichen Vertragsverstößen mit einer Dauer von mindestens 60 Tagen. Das haben wir früher erlebt, es wird jetzt nicht anders sein.

Hätte man besser verhandeln können ?

Alle Verhandlungsteilnehmer sagen, es sei besser, diese Einigung zu haben, die eine Art von Kontroll-Inspektionen beinhaltet, als gar keine Vereinbarung. Die Frage ist aber, ob man nicht eine bessere Einigung hätte erzielen können. In den Prozess der 5+1-Verhandlungen wurde leider ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht. Für alle Verhandlungen im Mittleren Osten gilt eine strengere Gangart. Sie müssen schon sagen: das sind meine Bedingungen, unter die ich nicht gehe, sonst gehe ich ohne eine Einigung. Aber der Westen hat die ganze Zeit signalisiert, dass er so ziemlich alles von iranischer Seite akzeptiert. Er wollte unbedingt und dringend eine Vereinbarung. Das war von Anfang an der Fehler.

Wie wirkt sich die Atom-Vereinbarung mit dem Iran auf das Verhältnis zwischen US-Präsident Obama und Israels Ministerpräsident Netanjahu aus?

Die Vereinbarung hat alles verschlimmert. Es wird mehr Reibereien geben. In den Augen Netanjahus haben die USA kapituliert. In näherer Zukunft wird die politische Distanz zwischen Israel und den USA bleiben.

Wie wird Israel jetzt reagieren? Gibt es immer noch die Option eines präventiven militärischen Schlages gegen den Iran?

In den israelischen Medien gibt es dazu eine Diskussion. Aber ich bin da vorsichtig. Wenn es ein Fenster für eine derartige militärische Intervention gegeben hätte, dann wäre die Gelegenheit dafür vor zwei, drei Jahren gewesen. Die Diskussion geht also mehr darum, dass Netanjahu diese Möglichkeit verstreichen ließ. Wahrscheinlicher ist jetzt, dass es mehr Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes geben wird, Verletzungen der Atom-Einigung schnell aufzudecken. Da wird man gerade Deutschland einiges intensiver zuspielen, weil Deutschland eine zentrale Rolle als Garantieträger der Vereinbarungen spielt.

Gerald Steinberg wurde in England geboren, promovierte 1981 in den USA und lehrt seit 1982 an der Bar Ilan Universität in Israel politische Wissenschaften. Steinberg begründete dort das Programm für Krisen- und Konfliktmanagement sowie Konflikt-Verhandlung. 1995 war Steinberg Israels Delegierter der Internationalen Atomenergie Organisation IAEO, um die Vorschläge für einen Mittleren Osten als Zone ohne Massenvernichtungswaffen zu prüfen.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.