Islam Angst
20. Januar 2013Die Kassiererin im Supermarkt trägt Kopftuch. In den Fußgängerzonen der Innenstädte werden Korane verteilt. Die einst unsichtbaren Hinterhofmoscheen verschwinden mehr und mehr. Statt ihrer rücken immer öfter repräsentative Bauten in die Innenstädte und damit in die Mitte der Gesellschaft. Der Islam gehört zur Lebenswirklichkeit der Deutschen – und das macht vielen Angst. "Ganz ehrlich? Jahrzehntelang haben wir für Gleichberechtigung gekämpft, haben einiges erreicht. Und jetzt ziehen Frauen freiwillig Kopftücher an. Das will ich nicht und das macht mir Angst", sagt eine 39-jährige Kölnerin mit akademischem Hintergrund. Haltungen wie diese sind keine Seltenheit. In der Debatte um die Kölner Großmoschee etwa, treten teils massive Ängste der Bevölkerung vor einer bisher fremden Religion zu Tage – und diese sind offenbar weit verbreitet.
'Gefährder' eine reale Gefahr
Der CDU-Politiker Wolfang Bosbach sieht zwar keine generelle Angst vor dem Islam innerhalb der Gesellschaft, wohl aber die berechtigte Sorge vor gewaltbereitem Islamismus. In Deutschland lebten etwa 40.000 Islamisten. Eine kleine, aber doch beachtliche Zahl von ihnen gelte als gewaltbereit. Diejenigen, "die wir als 'Gefährder' bezeichnen, die also aus einer religiös-extremistischen Gesinnung heraus agieren, stellen eine reale Gefahr für die Sicherheit Deutschlands dar". Hier gehe es also nicht um Einbildung, sondern um ganz konkrete Gefährdung. Acht vereitelte oder missglückte Attentate in Deutschland machten deutlich, dass die Bedrohung real sei, so Bosbach. Verfassungsschützer sprechen in diesem Zusammenhang von einem sehr kleinen Personenkreis. Weniger als ein Prozent der Muslime werden dem islamistischen Spektrum zugeordnet. Aber: Sie prägen offenbar Negativbilder vom Islam und den Muslimen, tragen zu weit verbreiteten Vorurteilen und einer diffusen Angst bei, die bis hin zur Islamfeindlichkeit führen kann.
Überfremdungsängste weit verbreitet
Zehn Jahre lang hat die Universität Bielefeld eine Umfrage durchgeführt, wo es um die verschiedenen Facetten von Menschenfeindlichkeit ging. Thematisiert wurde auch der Islam mit dem Fazit, dass die Angst vor dieser Religion in Deutschland relativ weit verbreitet sei. Nur 19 Prozent der Deutschen sind der Meinung, der Islam passe gut zur deutschen Kultur. "Das ist die geringste Zustimmung in Europa, die wir vorgefunden haben", sagt der Sozialpsychologe Andreas Zick, der die Studie mit betreut und ausgewertet hat. 46 Prozent aller Deutschen hätten Überfremdungsängste, bei rund 30 Prozent seien spezifische Ängste vorhanden – etwa vor Terroranschlägen. Der ganz überwiegende Teil der in Deutschland lebenden Muslime ist jedoch friedliebend. Warum ist dann die Angst vor dem Islam so weit verbreitet? Und woher kommen diese Ängste? Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, so Andreas Zick, hätten sich bestimmte Stereotype – also Meinungen über bestimmte Eigenschaften von Muslimen – in der Gesellschaft tief verankert. "Es ist auch so viele Jahre nach den Terroranschlägen kaum zu entkoppeln, dass viele Menschen den Islam oder die Muslime mit Terror, mit der Scharia, mit einer fremden Religion, die nicht zu Deutschland passt, assoziieren." Das sei problematisch. Ein Teil der Menschen empfinde tatsächlich so etwas wie Angst und habe das Gefühl, da komme etwas auf sie zu, was nicht kontrollierbar sei. Ein großer Teil aber lasse sich von Populismus anstecken: "Wir haben seit dem Terroranschlag ja auch neue politische Bewegungen, die unglaublich mit der angeblichen Gefahr des Islams und der Gefahr durch Muslime agitieren", sagt Andreas Zick.
Populismus schürt Phobien
Ein Beispiel dafür sind die rechtsextremen Parteien „Pro NRW“ oder "Pro Deutschland", die sich mit aggressiven Plakaten und grenzwertigen Parolen gegen den Moscheeneubau in Köln-Ehrenfeld oder anderswo wehren. Die Botschaft zwischen den Zeilen ist klar: Der Islam ist gefährlich und in Deutschland ist kein Platz für Muslime. Nicht nur von Islamisten sondern auch von Rechtspopulisten wird die Religion des Islam politisch missbraucht – und verunglimpft. Der Religionssoziologe Detlef Pollack vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster rät an dieser Stelle zu einer Differenzierung der Begriffe "Angst" oder "Islamophobie" und "Islamfeindlichkeit". Denn die recht weit verbreitete Angst vor dem Islam sei im Wesentlichen ein sehr diffuses Gefühl, während Islamfeindlichkeit ein Urteil sei, das auf bestimmte Bewertungen zurückgehe. Parallelen der Fremdenfeindlichkeit Anfang der 1990er Jahre und der heutigen Islamophobie sieht der Religionssoziologe insofern, als dass beide auch sozialstrukturell bedingt seien: "Das heißt, Menschen, die das Gefühl haben, benachteiligt zu sein, die neigen stärker zu solchen Überfremdungsgefühlen oder auch zu Islamophobien."
Tabuisierung der Angst, eine deutsche Eigenschaft?
Warum aber ist im wirtschaftlich gut aufgestellten Deutschland die Angst vor dem Islam weiter verbreitet, als in anderen europäischen Ländern? Das könne etwas mit den Makrostrukturen zu tun haben, sagt Detlef Pollack: "Vieles was in Deutschland im Zusammenleben mit verschiedenen Ethnien oder religiösen Identitäten als problematisch empfunden wird, wird nicht offensiv in der Öffentlichkeit diskutiert. "Spezifisch deutsch sei vielleicht die Eigenschaft, sich besonders korrekt verhalten zu wollen und dazu zu neigen, Probleme nicht direkt anzusprechen. Dann würden sie tendenziell unter den Teppich gekehrt. "Und man ist dann ganz verwundert, dass es ein so hohes Maß an Vorurteilen, an Ängsten, an Bedrohungsgefühlen gibt." Wenn aber Ängste nicht deutlich artikuliert werden, können sie auch nicht korrigiert werden.
Ein konstruktiver Umgang mit Ängsten könne dadurch erfolgen, dass sie durch vernünftige Argumente beeinflusst werden und so ihren bedrohlichen Charakter verlieren. Viel Aufklärungs- und Bildungsarbeit sei ebenso wichtig, wie Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion. Die bevorstehende Eröffnung der repräsentativen Kölner Moschee, geplant in diesem Frühjahr, könnte ein Stück weit zum Abbau von Ängsten beitragen, wenn sie in einem Klima des Vertrauens und der Offenheit geschieht.